piwik no script img

Folter in syrischen GefängnissenDeutscher verklagt das Assad-Regime

2018 saß der Entwicklungshelfer Martin Lautwein 48 Tage lang in syrischer Haft. Jetzt ist er einer Klage von Folterüberlebenden beigetreten.

Qamschli, Syrien: Hier wurde Martin Lautwein vom syrischen Geheimdienst festgenommen Foto: Sebastian Backhaus/imago

Berlin taz | Erstmals hat ein Deutscher den syrischen Geheimdienst angezeigt. Der Entwicklungshelfer Martin Lautwein ist 2018 in Syrien verhaftet worden und saß 48 Tage lang in Haft. Das teilte das European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) mit, das Lautwein unterstützt.

Demnach war der damals 27-jährige Lautwein im Juni 2018 als Techniker für eine Hilfsorganisation nach Nordsyrien gereist, um in den Kurdengebieten zu helfen. In der Grenzstadt Qamischli wurde er gemeinsam mit einem englischsprachigen Kollegen vom syrischen Geheimdienst festgenommen. Möglicherweise hielt man die beiden Männer für Geheimagenten. Sie wurden nach Damaskus in die so genannte Palästina-Abteilung des militärischen Geheimdienstes gebracht. Dort wurden die Männer getrennt inhaftiert.

Anders als andere Gefangene musste Lautwein keine Augenbinde tragen. Nach eigenen Angaben wurde er Zeuge von schweren Menschenrechtsverbrechen wie Folter in Form von Schlägen, Elektroschocks, dem so genannten deutschen Stuhl, dessen Lehne so weit nach hinten gebogen werden kann, dass der Rücken des Häftlings überstreckt, und auch von sexualisierter Gewalt. Lautwein berichtet außerdem von menschenunwürdigen Verhältnissen im Gefängnis. Zu dem, was ihm selbst angetan wurde, will sich Lautwein nicht äußern. Durch diplomatische Intervention sind die beiden Entwicklungshelfer schließlich entlassen worden.

Jetzt hat Lautwein sich mit Unterstützung ECCHR einer Strafanzeige von syrischen Folterüberlebenden in Deutschland angeschlossen. Das ECCHR setzt sich seit vielen Jahren dafür ein, dass die Verantwortlichen für Folter und Kriegsverbrechen nicht ungestraft davonkommen. „Nur wegen meines deutschen Passes konnte ich nach Hause. Tausende Menschen sind in Syrien verschwunden, mit mir gefangen waren Minderjährige, Mütter und Väter“, sagt Lautwein. In der Haft sei er vermutlich besser behandelt worden als andere Gefangene. „Jetzt will ich mein Privileg dafür nutzen, Menschen in Deutschland darauf aufmerksam zu machen, was in Syrien jeden Tag passiert.“

„Deutschland muss handeln“

Die Strafanzeige, der Lautwein beigetreten ist, haben 13 Folterüberlebende aus Syrien 2017 beim Generalbundesanwalt erstattet, gemeinsam mit den syrischen Menschenrechtsaktivisten Anwar al-Bunni und Mazen Darwish sowie dem ECCHR. Die Anzeige richtet sich gegen hochrangige Funktionäre der syrischen Geheimdienste.

„Lautweins Aussage ist für die Aufarbeitung der Verbrechen in Syrien wichtig“, sagt Rechtsanwalt Patrick Kroker, Leiter des Syrienteams des ECCHR. „Bisher konnten Zeugen vor allem von Taten bis zum Jahr 2015 berichten, doch sein Fall belegt: Auch 2018 herrschten dieselben Zustände – vermutlich ist es bis heute so. Deutschland muss diese Beweise ernst nehmen und handeln.“

Der internationale Haftbefehl des Bundesgerichtshof gegen den ehemaligen Leiter des syrischen Luftwaffengeheimdienstes Jamil Hassan von 2018 sei nur ein erster Schritt, sagt Kroker, genauso wie das so genannte Al-Khatib-Verfahren in Koblenz. Seit April dieses Jahres stehen in Koblenz erstmals weltweit zwei Mitarbeiter des syrischen Geheimdienstes vor Gericht, sie sind wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit im berüchtigten Gefängnis Al-Khatib in Damaskus angeklagt.

Kroker fordert weitere Haftbefehle. „Außerdem sollte sich Deutschland jetzt erst recht dem Verfahren der Niederlande gegen Syrien vor dem Internationalen Gerichtshof anschließen“, so der Rechtsanwalt, der vor dem Gericht in Koblenz auch Folterüberlebende aus dem Gefängnis Al-Khatib als Nebenkläger vertritt.

„Ich hoffe, dass auch meine Aussage dazu beitragen kann, dass die deutsche Justiz die Menschenrechtsverbrechen vor Gericht bringt“, sagt Lautwein. „Wir müssen jeden möglichen Weg gehen, diese Verbrechen zu stoppen, jeden einzelnen Verantwortlichen untersuchen und in einem fairen Prozess zur Verantwortung ziehen.“

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • 1G
    17900 (Profil gelöscht)

    Zitat: "Der Strafgerichtshof muss endlich globale Geltung erhalten, auch in Syrien. Sodass er nicht mehr auf das Gutdünken des UN-Sicherheitsrats in einem Einzelfall angewiesen ist, sondern auf eigene Initiative überall ermitteln kann. 124 Staaten sind dem Gericht bislang beigetreten. Ich werbe dafür, dass weitere dies tun, in allen Weltregionen, auch dem Nahen Osten." Quelle Süddeutsche.de, 31.7.2017"

    Kein Schritt weiter?

  • 1G
    15797 (Profil gelöscht)

    Jeder Krieg selbst ist schon ein Kriegsverbrechen. Ich glaube allerdings nicht daran, das mit solchen Klagen etwas erreicht wird.



    Fast alle kriegführenden Nationen haben sich bisher aus ihrer Verantwortung gewunden und selbst Deutschland ist kaum über nichtssagende Lippenbekenntnisse seit 1945 darüber hinausgekommen.

    • 1G
      17900 (Profil gelöscht)
      @15797 (Profil gelöscht):

      Umar al-Bashir, Sudan - in Den Haag wegen Kriegsverbrechen in der Region Darfur und wegen Völkermordes angeklagt - bislang noch nicht ausgeliefert.

      Während des Bosnienkrieges (1992-1995) war Praljak Militärchef der bosnischen Kroaten. Er hat sich im Gerichtssaal selbst getötet.

      Der bosnisch-serbischen Armeechef Ratko Mladic wurde zu lebenslanger Haft verurteilt.

      Slobodan Milošević starb vor Abschluss des Verfahrens in Den Haag.