Flutkatastrophe in Nigeria: Hunderte Tote und viele offene Fragen
Heftiger Regen zerstört großflächig eine wichtige Marktstadt in der Nähe des Niger-Flusses. Hat Nigerias Katastrophenschutz nicht funktioniert?

Bis zu 700 Tote werden nach den jüngsten Überschwemmungen in diesem Teil Nigerias befürchtet, die schwersten seit Menschengedenken. Mokwa liegt im Epizentrum des Flutgebiets und ist weitgehend verwüstet. Rund 200 Tote wurden bisher bestätigt, aber nun wurden die Rettungsoperationen eingestellt, obwohl noch immer Hunderte vermisst werden.
Die Priorität ist jetzt, Leichen aus dem Schlamm und aus dem Geröll zu bergen, damit das Flutwasser nicht kontaminiert wird und Seuchen wie Cholera und Typhus sich nicht ausbreiten.
Am 29. und 30. Mai fiel in der Region mehr Regen als normalerweise in einer kompletten Regenzeit. Seit 60 Jahren hat der nigerianische Bundesstaat Niger solche Fluten nicht mehr gesehen.
Straßen weggespült, Häuser unter Wasser
Ganze Familien wurden in Mokwa im Schlaf weggeschwemmt, als zum Morgengrauen die Wassermassen ihre Häuser erreichten. Wer wach war, rettete sich auf Hausdächer, nur um dann ebenfalls weggespült zu werden, als die Fluten weiter stiegen oder die Häuser einstürzten. Brücken brachen ein, Straßen wurden weggespült, Menschen starben in ihren Autos.
„Wir haben unsere Frauen und Kinder verloren“, klagte Gemeindeführer Idris Mahmoud. „In meinem ganzen Leben ist so etwas noch nicht vorgekommen.“
Mokwa liegt gut 370 Kilometer westlich von Nigerias Hauptstadt Abuja, im Bundesstaat Niger, unweit des Niger-Flusses. Erst im April starben dort 13 Menschen, als zu viel Wasser aus dem Wasserkraftwerk Jebba abfloss. Aber diese neue Tragödie ist ungleich verheerender.
Mindestens 5.000 Menschen haben ihre Häuser verloren. Über 10.000 Hektar fruchtbares Ackerland stehen unter Wasser. Die Lebensmittelversorgung der gesamten Region ist nun bedroht, Mokwa war ein zentrales Versorgungszentrum. Eine Brücke über den Niger-Fluss ist weggespült, was Treibstofftransporte in Nigerias Norden erschwert.
Unter den Obdachlosen sind über 1.600 Kinder unter 5 Jahren und rund 380 Mütter von Babys, sagt das UN-Kinderhilfswerk Unicef.
Die Internationalen Rotkreuz- und Roter-Halbmond-Gesellschaften (IFRC) stehen an vorderster Front der Nothilfe für die Betroffenen. „Dies sind die ersten Tage der Regenzeit und die Zerstörung ist jetzt schon außergewöhnlich“, sagte IFRC-Westafrikadirektor Bhupinder Tomar.
Nigerias Präsident Bola Tinubu leitete mit einer Spende von 50 Millionen Naira (knapp 30.000 Euro) eine landesweite Spendenaktion ein. Nigerianische Unternehmen geben Lebensmittel, ein Spendenkonto wurde eingerichtet.
Doch am dringendsten ist zunächst, den Flutopfern eine sichere Unterkunft zu verschaffen, mahnt Gemeindeführer Mahmoud. „Seit Tagen schlafen die Leute im Freien bei schlechtem Wetter“, sagt er. „Manche hängen einfach herum und haben nichts zu tun, weil sie alles verloren haben. Ich fürchte eine enorme Auswirkung auf die mentale Gesundheit.“ Auch sauberes Wasser, sanitäre Einrichtungen und psychosoziale Unterstützung vor allem für Kinder seien nötig.
Katastrophenvorsorge funktioniert nicht
Politisch wird nun zum wiederholten Mal diskutiert, wie gut oder schlecht Nigeria auf Katastrophen vorbereitet ist. Das bevölkerungsreiche Land zählt 36 Bundesstaaten plus die Hauptstadt, und nicht alle Bundesstaaten sind gut aufgestellt.
Seit 1981 gibt es einen von der Zentralregierung eingerichteten Umweltfonds, der Gelder zum Umgang mit ökologischen Herausforderungen wie Dürre, Fluten oder Ölverschmutzung an die Bundesstaaten leiten soll. Zwischen Juni 2023 und Juni 2024 erhielten die Bundesstaaten nach Angaben des nationalen Statistikamtes aus diesem Fonds 39,62 Milliarden Naira (rund 22 Millionen Euro). Aber was geschieht mit diesem Geld?
„Der Bundesstaat Niger hat wie andere Staaten auch Umweltfondsgelder von der Bundesregierung erhalten“, erklärt der Menschenrechtsaktivist und ehemalige Präsidentschaftskandidat Omoyele Sowore. „Aber er verpulvert normalerweise das Geld und investiert nicht in Katastrophenvorsorge, was solche lebensverändernden Unglücke herbeiführt.“
So sei die Flutkatastrophe in Mokwa durch Fehlen ausreichender Drainagesysteme begünstigt worden – ein in ganz Nigeria verbreitetes Problem.
Im Jahr 2024 starben über 1.200 Menschen in Flutkatastrophen in ganz Nigeria, rund 1,2 Millionen verloren ihre Heimat. Die nationale Katastrophenschutzbehörde NEMA führt aktuell Flutvorbereitungskampagnen in den Bundesstaaten Ebonyi, Nasarawa und Plateau durch.
Die Nordhälfte Nigerias ist außerdem von großer Unsicherheit geprägt, da Angriffe islamistischer Aufständischer, Geiselnahmen durch bewaffnete Banden und Landstreitereien zwischen Viehzüchtern und Bauern immer wieder zahlreiche Tote fordern.
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