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Flutkatastrophe in BrasilienMehr als 600 Tote durch Erdrutsche

Sintflutartige Regenfälle haben im Bundesstaat Rio de Janeiro bewohnte Hänge ins Rutschen gebracht. Die Kritik, die Behörden hätten geschlampt, wird lauter.

Die Kapazitäten zum Aufbewahren der Toten sind längst ausgeschöpft. Im Minutentakt finden Beerdigungen statt. Bild: dpa

BUENOS AIRES taz | Die Überschwemmungskatastrophe im brasilianischen Bundesstaat Rio de Janeiro nimmt immer größere Ausmaße an. Fünf Tage nach den sintflutartigen Regenfällen ist dort die Zahl der Todesopfer auf über 600 angestiegen. Noch immer werden zahlreiche Menschen vermisst. Die Behörden rechnen deshalb mit weiteren Toten. Am schwersten betroffen sind die Städte Nova Friburgo, Teresópolis und Petrópolis in der bergigen Serrana-Region. In Nova Friburgo wurden bisher 267 Leichen geborgen, in Teresópolis 261 und in Petrópolis 53.

Tausende Einsatzkräfte der Feuerwehr, des Militärs, der Polizei und des Zivilschutzes suchen weiterhin rund um die Uhr nach Verschütteten. Verzweifelt graben sich viele Bewohner mit Schaufeln, Löffeln oder den bloßen Händen durch Geröll und Schlamm auf der Suche nach ihren Angehörigen. Noch immer ist vielerorts die Strom- und Wasserversorgung unterbrochen. Zudem werden die Bergungs- und Rettungsmaßnahmen durch den anhaltenden Regen behindert. Und nach den Vorhersagen der Meteorologen werden die Niederschläge wieder an Stärke zunehmen.

Inzwischen sind über 15.000 Menschen aus Angst vor neuen Erdrutschen und Schlammlawinen aus ihren Häusern geflohen. Zusammen mit den Tausenden, bereits von der Zerstörung Betroffenen suchen sie Schutz und Unterkunft in überfüllten Notunterkünften. Bei nicht wenigen ist jedoch die Angst vor Plünderungen größer als die Furcht, vom Schlamm mitgerissen zu werden. Militärs und Zivilschützer müssen immer wieder Menschen von der drohenden Gefahr überzeugen und sie zum Verlassen ihrer Häuser auffordern.

Die Kapazitäten zum Aufbewahren der Toten sind längst ausgeschöpft. Im Minutentakt finden Beerdigungen statt. Wegen der Seuchengefahr haben die Behörden angeordnet, auch bisher nicht identifizierte Opfer zu begraben, von denen jedoch zuvor Fotos, Fingerabdrücke und genetisches Material genommen wurde. Dadurch soll zumindest die spätere Identifizierung möglich sein.

Die Kritik an den Versäumnissen der Behörden wird jedoch lauter. Am Samstag veröffentlichte die Tageszeitung Folha de São Paolo eine Studie vom November 2008, die von der Regierung des Bundestaates Rio de Janeiro selbst in Auftrag gegeben worden war. Darin wird ausdrücklich vor der Gefahr von Erdrutschen und Überschwemmungen in der Region Serrano und besonders in den jetzt am schlimmsten betroffenen Städten Nova Friburgo, Teresópolis und Petrópolis gewarnt. Am Ende empfiehlt die Studie der Regierung, eine Landkarte mit den Risikozonen zu erstellen und dort mit Eindämmungsmaßnahmen zu beginnen, zum Beispiel mit der Wiederherstellung der Vegetation.

Die Regierung des Bundestaates Rio de Janeiro gibt sich denn auch kleinlaut. Nach einem Besuch von Gouverneur Sérgio Cabral im Katastrophengebiet von Nova Friburgo, bei dem er einen Erdrutsch hautnah miterleben konnte, sagte Cabral, man werde „selbstkritisch“ sein, doch gegenwärtig sei nicht der Moment dazu. Für die kommende Woche erließ Cabral eine siebentägige Staatstrauer in dem Bundesstaat. Landesweit ordnete Staatspräsidentin Dilma Rousseff eine dreitägige Staatstrauer für die Opfer der Katastrophe an.

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2 Kommentare

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  • L
    lilalo

    Die Region heißt "Serrana" (wie es einmal auch richtig im Text geschreiben steht) und nicht "Serrano".

  • JJ
    Jared J. Myers

    Das Kardinalproblem der Vermeidung von Georisiken

     

    Angenommen, die Staatsregierung hätte ein paar Milliarden Reales für Hangsicherung, Drainage, Flussregulierung und Aufforstung denudierter Hänge ausgegeben, angenommen, sie hätte in den Planungsämtern durchgesetzt, dass idyllische Täler und angrenzende Hänge mit tiefgründigem, tonmineralreichem Verwitterungsboden nicht bebaut werden dürfen - auch, wenn der nette und durchsetzungsfähige Abteilungsleiter der Bradesco, S.A. genau da seine Villa mit Golfplatz hin haben will:

     

    Was wäre passiert? - Nichts. Außer, dass der Bundesstaat etwas später eine neue Regierung hätte, die weniger Augenmerk auf die Vermeidung von Georisiken legen würde: Nicht geschehene Katastrophen fallen nicht auf. Deshalb ist es sehr schwierig, Geld für Maßnahmen loszueisen und restriktive Regeln zu erlassen, die bestenfalls ein Unheil vermeiden helfen.

     

    NACH einer Katastrophe ist es dagegen relativ einfach, Gelder zur Katastrophenvermeidung auszugeben - zumindest ein paar Jahre lang. Wenn jedoch die Rekurrenzperioden solcher Ereignisse jenseits der Aufmerksamkeits- und Erinnerungsspanne der Bevölkerung liegen, wird jetzt ein Haufen Geld in die Hangstabilisierung gesteckt, ein paar Jahre später vergisst man die Gefahr, die Gegend - oder eine benachbarte - wird weiter zugebaut, und dann wiederholt sich das Drama genau so oder schlimmer.

     

    Ein Patentrezept, wie Daseinsrisiken geringer Wahrscheinlichkeit, aber verheerender Größenordnung im Eintrittsfall den Entscheidungsträgern und Wählern angemessen vermittelt werden können, gibt es nicht. Man kann nur das Geschehene so eindrücklich wie möglich mit Film und Foto dokumentieren und jedem, der da in zehn Jahren bauen will, die Aufnahmen vorspielen.