: Flugis, Turis, Kenne und Klo
■ Der Alltag kehrt ein ins kleine Dorf an der Mauer
Flugis, Turis, Kenne und Klo
Der Alltag kehrt ein ins kleine Dorf an der Mauer
„Wer Sani-Scheren entführt oder zweckentfremdet, kommt an den Prangerpfahl“ - Nachdem die Kubax-Besetzer die ersten großen Schlachten erfolgreich überstanden haben, gilt es nun, den Angriff des Alltags auf das übrige Leben abzuwehren.
Damit der Kampf um „Sani-Scheren“ und „Flugis für Turis“ nicht die revolutionäre Moral untergräbt, werden die notwendigen Erledigungen auf einer Anschlagtafel in der „Volxküche“ aufgelistet: „Jemand mit Kenne von den Pflanzen soll sich bei Stephan melden“, hat da jemand ohne Kenne von Pflanzen hingekrakelt; und außerdem ist das alte Klo voll „Das neue Klo müßte ausgeschildert und mit Brettern überdeckt werden.“ „Ich würde das ja selbst machen, wenn ich nicht zur Arbeit müßte“, steht in Klammern darunter.
Dem Ruf der Pflicht folgt allerdings nicht jeder: „Warst du heute schon in der Schule?“ hallt es über den Platz vor der „Graziano Rocchigiani-Gedenkstätte“. Eine solche Beschuldigung kann natürlich niemand auf sich sitzen lassen: „Die Hälfte meiner Klasse wohnt doch mittlerweile hier. Wir haben ausgemacht, daß wir heute nicht zur Schule gehen, dafür aber morgen auf jeeeden Fall.“ Die ganz Kleinen unter den Kubax-Besetzern haben da andere Probleme: „Ich geh‘ jetzt einkaufen, soll ich dir was mitbringen?“ - „Ein sooo großes Eis möchte ich“, verkündet der Kleine und zeichnet mit seinen Händen die Umrisse einer Kugel von mindestens einem Meter Durchmesser nach (daran sollten sich die EM -Organisatoren mal ein Vorbild nehmen; dann würde sogar Herget den Ball treffen).
„Wir haben gehört, daß was zu trinken angekommen ist“, überraschen drei Besetzer die dösende Wache an „Mauer eins“. Der diensthabende Wachmann räkelt sich auf seinem Sofa, schiebt langsam die Mütze aus dem Gesicht und antwortet mißmutig: „Nicht, daß ich wüßte. Und wenn tatsächlich was gekommen wäre, gäbe es jetzt bestimmt nichts mehr.„Thomas Langhoff
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen