Flughafenchaos: Schlussverkauf ohne Ende
Wegen der verspäteten Eröffnung des neuen Flughafens haben Geschäfte in Tegel länger geöffnet - viele Angestellte dort wissen jedoch trotzdem nicht, wie es ab Juni für sie weitergeht. In Schönefeld entstehen Unternehmern derweil hohe Verluste.
Noch sind viele Schaufenster von Flughafen-Shops in Tegel mit knallroter Folie beklebt: „Last Minute Shopping – Räumungsverkauf bis zum 2. 6. 2012“ steht in Blockbuchstaben etwa auf dem Laden der Kleidermarke S.-Oliver. Bis zu 20 Prozent Rabatt sollten Kunden dazu bringen, bis Anfang Juni die Läden leerzukaufen. Nun bleibt der Flughafen vorerst geöffnet – die Angestellten der Läden in der Einkaufspassage jedoch wissen zum Teil noch nicht, wie es ab Juni für sie weitergeht.
Für Gerd Siegel und Burkhard Gueffroy immerhin ist klar: Sie bleiben vorerst in Tegel. Die beiden arbeiten für die Uhrenmanufaktur Askania in der Haupthalle des Flughafens bei Terminal A. Bis vor kurzem lockte ein Werbeaufsteller vor dem Laden: „Aktion Sale – Goodbye Tegel!“ An seiner Stelle klärt nun ein neues Schild auf: „Tegel, wir bleiben noch!“ Etwas Rabatt auf die Markenuhren gibt es nun trotzdem: „Wir wollen unsere Kunden ja nicht für die Planungsfehler in Schönefeld bestrafen“, sagt Siegel. Sein Kollege fand die Terminverschiebung in Schönefeld nicht überraschend. „Über den Buschfunk am Flughafen wussten wir schon seit einiger Zeit, dass es bis Juni wohl nichts wird“, sagt Gueffroy. Deshalb sieht er die zusätzlichen Monate in Tegel nun gelassen. Der Umzug nach Schönefeld wird für ihn vor allem längere Arbeitszeiten bedeuten, weil dort bis spät am Abend geflogen werden soll.
Mehrere UnternehmerInnen, die bisher ein Geschäft in Tegel betreiben, haben wie Askania auch am Willy-Brandt-Flughafen neue Filialen bauen lassen. Diese stehen nun erst einmal leer. Das Geschäft, hoffen Siegel und Gueffroy jedoch, wird dann eben im nächsten Jahr anziehen. Denn wenn sich Schönefeld als Drehkreuz in Europa etabliert, gibt es viele Fluggäste, die umsteigen. „Wer in Berlin auf seinen Weiterflug warten muss, hat Zeit zum Einkaufen“, sagt Siegel. Diese Hoffnung hatten viele Geschäftsleute in den Umzug gesetzt. Doch statt Gewinnen gibt es für viele, die geplant hatten, in Schönefeld ihre Geschäfte zu eröffnen, erst mal nur Ausgaben.
Denn in den Mietverträgen zwischen Schönefelder Unternehmern und Flughafengesellschaft steht, dass bei einer Verzögerung der Eröffnung von bis zu 18 Monaten keinerlei Ansprüche geltend gemacht werden können. Gerade kleineren Unternehmen entstehen dadurch finanzielle Probleme. Schließlich haben viele schon Ware bestellt, die sie nun nicht loswerden.
Schlimmer noch sind die personellen Konsequenzen. René Dreke von der Arbeitsagentur etwa sagt: „Große Unternehmen können die Arbeitskräfte auf andere Filialen in der Stadt verteilen. Für kleinere Familienunternehmen wird das schwierig.“ Durch ihre Arbeitsverträge haben Angestellte in der Regel Anspruch auf ihren Lohn, auch wenn sie ab Juni nun eben nicht in Schönefeld arbeiten können. Denn aus vertraglicher Sicht ist die verspätete Eröffnung als unternehmerisches Risiko zu werten, erklärt Dreke.
Für die Unternehmen, gerade für kleinere Händler und Gastronomen, entstehen also Kosten, die ihnen keiner ersetzt. Das sieht auch die Flughafengesellschaft. Laut Sprecher Leif Erichsen wird gemeinsam mit der Industrie- und Handelskammer Cottbus und dem Handelsverband Berlin-Brandenburg nach individuellen Lösungen für die einzelnen Unternehmer gesucht.
Auch von der Politik werden Lösungen gefordert. Die Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus fordern eine Ombudsstelle für die Ladengeschäfte, die durch die Verschiebung in finanzielle Schwierigkeiten geraten. Es sei nötig, dass die Betroffenen jetzt schnell Hilfe erhalten, sagte die wirtschaftspolitische Sprecherin Nicole Ludwig am Montag im Wirtschaftsausschuss. Die Diskussion über den Antrag der Grünen wurde zwar auf die kommende Sitzung verschoben – Wirtschaftssenatorin Sybille von Obernitz (parteilos, für CDU) jedoch versprach, dass „sorgfältig und unbürokratisch“ mit den Härtefällen umgegangen werde. Bislang gebe es allerdings „wenig Erkenntnisse“, wer als Härtefall zu gelten habe.
Katja Wollenweber immerhin profitiert von der Schlussverkaufsstimmung in Tegel: Die 48-Jährige, deren Flug in wenigen Stunden über Istanbul nach Delhi geht, hat gerade eine schwarze Schirmmütze gekauft. In Indien bleibt sie bis Ende Juli. „Eigentlich sollte ich beim Rückflug auf dem Willy-Brandt-Flughafen landen“, sagt Wollenweber. Dass daraus nichts wird, weiß sie heute zwar schon – mehr allerdings bislang nicht. Doch die ehemalige Stewardess, die früher für British Airways gearbeitet hat, vertraut darauf, dass die Fluggesellschaft sie rechtzeitig über ihren neuen Ankunftsflughafen informiert.
Auf dem Weg zu ihrem Check-in-Schalter kommt sie an einem Verkaufsstand mit Brezeln vorbei. Dahinter steht eine Verkäuferin, die sich eigentlich schon darauf gefreut hatte, ab Juni in Schönefeld zu arbeiten. „Ich wohne in Petershagen, von dort wäre der Weg zum neuen Flughafen viel kürzer“, sagt die 35-Jährige. Für diese Woche hat ihr Chef eine Versammlung mit allen Mitarbeitern einberufen, um zu erklären, wie es weitergeht. 85 neue Verkäufer habe das Unternehmen schon eingestellt, die ab Juni eigentlich in Schönefeld arbeiten sollten. „Ich werde hier weiterarbeiten“, sagt die Frau. „Aber was aus den Neuen wird, weiß ich nicht.“
Ähnlich unklare Verhältnisse herrschen auch bei der Rollmops soziale Dienste gGmbh mit Standort in Tegel. Dort arbeiten Tobias Downes und seine Kollegen als Reisehelfer für Fluggäste mit Behinderung. Ständig klingelt das Telefon in der Koordinationsstelle zwischen den Gates 7 und 8. Mitarbeiter in gelben Westen bringen und holen Rollstühle, um hilfebedürftige Fluggäste bis in ihre Maschine zu bringen. Downes und seinen Kollegen war zum 3. Juni gekündigt worden. Ob die Nachrichten aus Schönefeld nun bedeuten, dass er erst einmal in Tegel weiterarbeiten kann, weiß er jedoch noch nicht. Denn die Ausschreibung über die „Beförderung mobil eingeschränkter und hilfsbedürftiger Fluggäste“ für Schönefeld hat nicht Rollmops, sondern der Konkurrent Gegenbauer Services GmbH gewonnen. „Wir erfahren erst in den nächsten Tagen, wer in Tegel nun weitermachen wird“, sagt Downes. Ihm wäre es ganz recht, wenn Rollmops bis März nächsten Jahres in Tegel tätig wäre. Zwar hätte Gegenbauer einem Teil der Rollmops-Beschäftigten eine Übernahme angeboten, sagt Downes. Er selbst will aber nicht für das Unternehmen arbeiten: „Schönefeld ist mir zu weit weg. Außerdem würden wir dort auch noch weniger Geld verdienen“, sagt der 31-Jährige.
Das Geld spielt auch bei Miranda Rojers eine Rolle. Sie ist über eine Leiharbeitsfirma als Gebäudereinigungskraft in Tegel tätig. Mit ihrem roten Putzwagen, an dem Wischmopp und Klopapierrollen hängen, steht sie vor der Damentoilette. Als eine Frau versucht, sich an ihrem Wagen vorbei Richtung Toilette zu drängeln, stoppt Rojers sie, um in Ruhe putzen zu können. Der Flughafen Tegel ist ihr groß genug, eine riesige Anlage wie Schönefeld mit seinen Menschenmassen würde ihr bei der Arbeit noch mehr Stress bescheren. Doch das ist nicht der einzige Grund, warum sie das Theater um den neuen Flughafen nervt. „Ich finde es schwachsinnig für eine Millionenstadt, nur einen einzigen Flughafen zu haben, der dann auch noch so weit außerhalb liegt“, sagt die 30-Jährige. Sie ist froh, dass sie nun voraussichtlich noch mehrere Monate in Tegel bleiben kann. Denn hier, im Westen Berlins, bekommt sie den entsprechenden Tariflohn für Gebäudereiniger: 8,82 Euro brutto pro Stunde. Weil der neue Flughafen in Brandenburg liegt, bekäme sie dort wegen der ostdeutschen Tarifstruktur knapp 1,50 Euro weniger pro Stunde für die gleiche Arbeit. Miranda Rojers gehört also zu den Gewinnern des Theaters um die verpatzte Flughafeneröffnung in Schönefeld. Die Gebäudereinigerin stellt damit jedoch eine ziemliche Ausnahme dar.
Mitarbeit: Sebastian Erb
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