Flügelkämpfe in der Linkspartei: "Wir wollen nicht wie die Grünen enden"
Statt Kompromisse einzugehen, muss man um Prinzipien kämpfen, fordert Ulla Jelpke. Borniert ist das, winkt Klaus Lederer ab. Sind beide wirklich in einer Partei?
taz: Im Wahlkampf in NRW hat die Linkspartei plakatiert "Wer hat uns verraten? Sozialdemokraten!" Jetzt will sie mit den Arbeiterverrätern koalieren. Passt das zusammen, Frau Jelpke?
Ulla Jelpke: Es war kein Plakat des Landesverbandes, sondern das eines Kreisverbandes. Ich halte es auch für falsch.
taz: Warum?
Jelpke: Wir haben den Hauptkampf in NRW nicht gegen die SPD geführt, sondern gegen Schwarz-Gelb im Bund und gegen Jürgen Rüttgers.
taz: Herr Lederer, ist das Wahlplakat typisch für die Linkspartei?
Klaus Lederer: Nein, wir führen wesentlich differenziertere Debatten. Aber es gibt in der Partei immer noch links-sektiererische, rückwärts gewandte, verbalradikale Neigungen.
taz: Laut Umfragen sind nur 28 Prozent der Bürger für Rot-Grün-Rot in NRW, weil die Linkspartei so unbeliebt ist. Wie wollen Sie das ändern?
Jelpke: Die NRW-Linke ist neu im Parlament, sie wird ihre Leute in der Öffentlichkeit bekannter machen können und glaubhafte Politikansätze präsentieren. Die Medien können es sich dann nicht mehr leisten, uns einfach zu schneiden oder als Chaoten und Spinner abzutun.
Ulla Jelpke (58) ist Bundestagsabgeordnete der Linkspartei, gehört der fundamentaloppositionellen "Antikapitalistischen Linken" an und war Mitbegründerin des maoistischen Kommunistischen Bundes (KB). In den Achtzigern war sie Abgeordnete der Hamburger GAL. 1990 trat sie der PDS bei und war für sie von 1990 bis 2002 im Bundestag. Ulla Jelpke ist Soziologin.
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Klaus Lederer (36) ist Vorsitzender der Linkspartei in Berlin, die das Land seit 2002 mit der SPD regiert. Er gehört dem "Forum demokratischer Sozialismus" (FdS) an, wo sich vor allem ostdeutsche Pragmatiker zusammengetan haben, die offen sind für Bündnisse mit SPD und Grünen. Er ist Jurist und wuchs in Frankfurt (Oder) auf. Das Ende der DDR nennt Lederer "einen Segen für mich".
taz: Also ist die Linkspartei Opfer medialer Ausgrenzung? Hat sie nicht selbst Anteil daran?
Lederer: Doch. Wenn wir dauernd sagen: Wir sind die Guten, die anderen Parteien sind alle neoliberal, dann muss ich mich nicht wundern, wenn das zurückgespiegelt wird. Für viele unserer Ziele haben wir gesellschaftlichen Rückhalt: internationale Konfliktvermeidung, finanzkräftige Kommunen, Gemeinschaftsschule, Integrationspolitik. Wenn wir aber den Eindruck vermitteln, das Monopol auf Weisheit und Wahrheit zu haben, ghettoisieren wir uns.
taz: Stimmt das, Frau Jelpke?
Jelpke: Die Linke in NRW verprellt doch niemanden dadurch, dass sie die Dinge beim Namen nennt. Wer von vornherein in seine Positionen den möglichen Kompromiss einbaut, statt Ziele zu formulieren, landet unweigerlich bei der Sozialdemokratie und verliert Glaubwürdigkeit.
taz: In dem Entwurf für das Grundsatzprogramm sind drei rote Linien für Regierungsbeteiligungen der Linkspartei definiert: kein Sozialabbau, kein Personalabbau im öffentlichen Dienst, keine Privatisierung. Ist das die richtige Strategie?
Lederer: Nein. Das funktioniert in der Praxis nicht. Im Berliner öffentlichen Dienst gab es historisch bedingt manch überbordende Bürokratie. Jetzt sind wir an der Grenze, aber die Finanzlage der Kommunen ist katastrophal. Sollen wir nun sagen: So lange die Kassen leer sind, übernehmen wir nirgends mehr Verantwortung?
Jelpke: Die Auflösung bürokratischer Auswüchse muss keineswegs mit Personalabbau verbunden sein. Wer sich selbst zum Opfer angeblicher Sachzwänge macht, verzichtet im Grunde darauf, Politik zu gestalten. Die Linke in Berlin und Brandenburg hat diese roten Linien schon lange überschritten.
taz: Muss die Linkspartei die Rot-Rot-Regierungen in Berlin und Potsdam platzen lassen?
Jelpke: Nein, aber sie muss zumindest konfliktbereiter sein. Sie muss dafür kämpfen, dass es keinen Arbeitsplatzabbau im öffentlichen Dienst gibt. Vor der Wahl hat die Linke in Brandenburg den Volksentscheid gegen Braunkohleverstromung unterstützt, nach der Wahl war sie dafür. In Berlin wird der soziale Wohnungsbau immer weiter privatisiert. Immer wegen irgendwelcher angeblicher Sachzwänge, die die Bundespartei unglaubwürdig wirken lassen. Anstatt für unsere Prinzipien zu kämpfen, wurden schon bei der ersten Verhandlungsrunde mit der SPD Papiere unterschrieben, die das Gegenteil bedeuten.
Lederer: Ach, das ist unglaubliche Borniertheit. Man schreibt wolkige Anträge und erwartet von der Realität, dass sie sich danach richtet. Wenn das überraschenderweise nicht passiert, sind die handelnden Akteure schuld: ihnen fehlt Standfestigkeit, sie gieren nach den Fleischtöpfen der Macht. Statt die Frage zu stellen, wie realitätstauglich die Anträge waren. Und je weiter die Leute von Berlin entfernt sind, desto besser wissen sie, dass wir eingeknickt sind.
taz: War die Privatisierung von Wohnungsbaugesellschaften durch Rot-Rot in Berlin falsch?
Lederer: Eine Wohnungsbaugesellschaft ist 2004 privatisiert worden. Das war ein Notverkauf. Die Alternative war, Milliarden Euro aus der sozialen Infrastruktur Berlins zu schneiden. Mit einem Gesinnungs-TÜV wird man so schwierigen Abwägungen nicht gerecht. 2006 haben wir in der Koalition mit der SPD durchgesetzt, dass Berlins Wohnungsbestand unangetastet bleibt.
taz: Braucht die Linkspartei keine Kriterien für Regierungsbeteiligungen?
Lederer: Doch, es muss eine Richtung beschrieben sein. Nur: Starre Linien nutzen nichts. Sie brechen sofort weg, wenn sich die Rahmenbedingungen ändern. Und das tun sie ständig.
taz: Und wie wollen Sie ausschließen, dass sich die Linkspartei wie die Grünen zu einer etablierten Partei entwickelt?
Lederer: Wer sich in einer zwiespältigen Wirklichkeit bewegt, weiß nie sicher, was am Ende herauskommt. Aber die Gefahr, wie die Grünen zu enden, ist größer, wenn man - wie in dem Entwurf für das Grundsatzprogramm - auf ein Zukunftsreich verweist, statt eine progressive Entwicklungstendenz zu beschreiben.
Jelpke: Die Grünen zogen in den Achtzigerjahren keine klaren, verbindlichen Linien. Diesen Fehler müssen wir vermeiden.
Lederer: Entscheidend ist, dass die Akteure reflektiert handeln und gesellschaftlich verankert sind. Fehlt das, helfen auch keine zehn Gebote des Klassenkampfs.
Jelpke: Es geht hier nicht um zehn Gebote, sondern um unsere Glaubwürdigkeit. Wir sind jetzt im Bundestag und in 13 Länderparlamenten vertreten. Wir sind erfolgreich, weil wir erkennbar sind. Und wir müssen unsere Alleinstellungsmerkmale - keine Kriegsbeteiligung, kein Sozialabbau, Massenentlassungsverbot - zur Bedingung machen, in eine Regierung zu gehen. Außerdem haben wir auch aus der Opposition schon viel in Bewegung gesetzt. Man sollte nicht so tun, als wenn nur über Regierungspolitik Veränderung möglich ist.
Lederer: Das tut doch niemand. Es ist eine Binsenweisheit, dass man auch Protest und gesellschaftliche Mobilisierung braucht. Die Schlüsselfrage lautet: Bauen wir die Hürden für Regierungsbeteiligungen so hoch, dass es nie dazu kommt? Wenn wir eigentlich gar nicht regieren wollen, werden wir als Sekte enden.
taz: Die Linkspartei hat nach langem Anlauf einen Entwurf für ein Grundsatzprogramm erarbeitet. Taugt der was?
Lederer: Der Entwurf mixt Traditionssozialdemokratismus und Traditionskommunismus, von Emanzipation liest man wenig. Marx beschreibt, dass die Keimzellen jeder neuen Gesellschaft in der alten liegen. Demokratischer Sozialismus kommt nicht mit einem großen Knall. Was tun wir also, um gesellschaftliche Bündnisse für sozialökologischen Umbau zu schmieden? Anstelle dessen gibt es in dem Programmentwurf den Gestus: Wir sind die einzig Guten, die anderen neoliberale Drecksäcke.
Jelpke: Ist es denn nicht wahr, dass alle anderen Parteien im Bundestag die neoliberale Politik unterstützen? Und die Kriegseinsätze und die gigantischen Privatisierung? Das schließt aber doch nicht aus, hier und da mit SPD oder Grünen Reformen oder Reförmchen umzusetzen. Wenn andere Parteien etwa die Residenzpflicht für Asylbewerber abschaffen, unterstützen wir das natürlich. Aber in zentralen Fragen sind die Parteien für uns nicht bündnisfähig. Dein Ansatz wird zur Sozialdemokratisierung der Linkspartei führen.
Lederer: Nein, er führt zu einer radikalen Realpolitik.
Jelpke: Wir leben im Monopolkapitalismus, man kann es auch Imperialismus nennen. In dieser Phase ist von Reformen, die man mit "radikaler Realpolitik" anstrebt, nicht mehr die Rede. Der Kapitalismus stagniert.
Lederer: Aha. Tut er das nicht schon seit 100 Jahren?
Jelpke: Es gibt in dieser Phase keinen Spielraum für Reformen. Das war zu Willy Brandts Zeiten noch anders. Die Reformära ist vorbei. Der Neoliberalismus hat zu Sozial- und Demokratieabbau geführt. Per Krieg werden neue Märkte erobert. Das ist keine Schwarz-Weiß-Malerei, sondern weltweite Realität.
Lederer: Monopolkapitalismus, Neoliberalismus, Imperialismus, die höchste Stufe des Kapitalismus - was denn nun? Die pseudolinke Zusammenbruchsdiagnose für den Kapitalismus ist über 100 Jahre alt. Trotzdem gab es zum Beispiel den New Deal in den USA und prosperierenden Fordismus. Marx hat das die fortwährende Revolutionierung der gesellschaftlichen Verhältnisse genannt. Sie ist zerstörerisch und produktiv zugleich. Wir müssen Ansätze für eine soziale, emanzipatorische, ökologische Politik suchen, statt folgenlos den bösen Kapitalismus zu beschwören.
taz: Wie viel Parteien gibt es eigentlich in der Linkspartei?
Jelpke: Die Frage ist deplatziert - warum stellen Sie die nicht den Grünen in NRW? Da gibt es welche, die mit der CDU regieren wollen und andere mit der Linkspartei. Die Linke ist jung, vielfältig und diskussionsfreudig.
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