Flügelgedöns bei der Linkspartei: Gorbi für den Frieden
Eine Gruppe um Sahra Wagenknecht wirbt für eine Friedenskonferenz und stichelt so gegen Genossen. Wer die Fraktion leiten soll, bleibt unklar.
BERLIN taz | Für den linken Flügel der Linkspartei hat sich Ostern gelohnt. An Karfreitag stellte die Bundestagsabgeordnete Sevim Dagdelen einen offenen Brief an Michail Gorbatschow ins Internet. Eine Woche und einige Ostermärsche später geht die Zahl der Unterzeichner bereits auf die 900 zu. Die Bitte an den ehemaligen Präsidenten der Sowjetunion: Er solle eine „Weltfriedenskonferenz initiieren“, gegen die „brandgefährliche, extrem abenteuerliche Politik“ der USA in der Ukraine und anderswo.
„Stützpunkte an Russlands Grenzen werden erweitert und neue Militär-Strukturen dort erschaffen. Die von den USA dominierte Nato agiert mit zunehmender Aggressivität“, schreiben die Verfasser in dem Brief, über den sie auch auf dem Linken-Parteitag Anfang Juni in Bielefeld diskutieren und abstimmen wollen. Warum ausgerechnet Gorbatschow den Frieden bringen soll? Die linken Briefautoren teilen nach eigenen Angaben seine Furcht, die USA könnten mit ihrer Politik einen „heißen Krieg“ zwischen Ost und West provozieren.
Ob Gorbatschow das Schreiben bereits erhalten hat, war aus Moskau zunächst nicht zu erfahren. Falls seine Antwort ausbleibt, könnten es die Absender aber sicherlich verkraften: Im Grunde richtet sich der Brief ohnehin weniger an den früheren KPdSU-Generalsekretär als vielmehr an die eigenen Genossen. „Die Linke wird sich gegen die Atlantiker zur Wehr setzen, welcher Partei auch immer sie angehören“, schreiben die Autoren und meinen damit die Mitglieder der Atlantik-Brücke, eines Vereins zur Förderung der deutsch-amerikanischen Beziehungen. Dort engagiert sich auch der linke Außenpolitiker Stefan Liebich, Anhänger des parteiinternen Reformerlagers und Vorkämpfer für eine mögliche rot-rot-grüne Koalition.
Und so liest sich der offene Brief nicht nur als Bitte an Gorbatschow, sondern auch als Kampfansage an Liebich und andere Reformer innerhalb der Partei. Falls der Parteitag über das Schreiben diskutiert – ein Antrag mit 25 Delegierten-Unterschriften reicht dafür bereits aus –, steht den Linken in Bielefeld eine Debatte über ihr außenpolitisches Verständnis und damit über weitere Annäherungsversuche an Grüne und SPD bevor.
Verantwortlich dafür ist auch Sahra Wagenknecht. Die stellvertretende Fraktionschefin hat den offenen Brief mit in die Wege geleitet und damit eine Ankündigung aus dem März umgesetzt. „Meine Entscheidung, eine bestimmte Position nicht anzustreben, ist kein Rückzug. Das werden sie sehr bald merken“, hatte sie vor Journalisten gesagt, nachdem sie erklärt hatte, entgegen den Erwartungen nicht für den Fraktionsvorsitz zu kandidieren.
Welche Frau passt zu Bartsch?
Wer statt Wagenknecht künftig die Linksfraktion leiten wird, ist derweil immer noch unklar. Angedacht war eigentlich, dass sie im Herbst Gregor Gysi ablöst und gemeinsam mit dem Realo Dietmar Bartsch eine Doppelspitze bildet. Nach Wagenknechts Absage steht Bartsch zwar immer noch bereit. Um den parteiinternen Proporz zu wahren, müsste er als Wagenknecht-Ersatz aber eine Frau aus dem linken Flügel finden. Eine Kandidatin, die in der gesamtem Fraktion auf Akzeptanz stößt, drängt sich dort aber nicht auf.
Naheliegend wäre, dass Gysi stattdessen bis zur nächsten Bundestagswahl alleine weitermacht. Einige Linke denken zudem darüber nach, ihm eine Kovorsitzende zur Seite zu stellen. Dafür müssten sie neben Gysi selbst aber auch den Rest der Fraktion überzeugen. Und für diese Konstellation bräuchten die Linken ebenfalls eine Frau.
Martina Renner könnte in das Profil passen. Die Abgeordnete hat sich im NSA-Ausschuss profiliert und hält sich aus Streitigkeiten zwischen den Parteiströmungen erfolgreich heraus. Nach Wagenknechts Rückzieher und der Absage von Parteichefin Katja Kipping diskutiert die Fraktion nun zur Abwechslung auch ihren Namen – obgleich bei Weitem nicht als einzigen.
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