Flüchtlingspolitik in Israel: Waffen gegen Flüchtlinge?

Erst sperrt Israel Migranten in Lager, jetzt werden sie abgeschoben – in afrikanische Drittländer – womöglich im Tausch gegen Waffenexporte.

Ein Mann sitzt auf einer Mauer

Vor dem Eingang des offenen Lagers Holot in der Negev-Wüste Foto: dpa

JERUSALEM taz | Seit 2005 kommen afrikanische Flüchtlinge und Migranten nach Israel, zuerst tröpfchenweise, später bis zu tausend in einem Monat, die meisten aus dem Sudan und aus Eritrea. Fast alle kommen via Ägypten/Sinai auf dem Landweg. Viele sind Opfer grausamer Folterungen durch Beduinen im Sinai, die den Familien ihrer Geiseln zigtausende Dollar Lösegeld abfordern. Wer keine Familienangehörigen hat, lief Gefahr, ermordet und seiner Organe beraubt zu werden.

Die israelischen Behörden stellten Flüchtlinge in den ersten Jahren unter eine Art Gruppenschutz, was dazu führte, dass niemand einen Asylantrag stellte. In den offiziellen Papieren heißt es, dass Flüchtlinge nicht arbeiten dürfen, in der Praxis verfolgt die Polizei aber niemanden, der es doch tut. Die meisten kommen mit dem Ziel, in Israel zu bleiben. Im April 2016 lag die Zahl der sogenannten Infiltranten, wie die Flüchtlinge seit 2012 offiziell in Israel genannt werden, bei 42.147 Afrikanern, davon 30.549 aus Eritrea und 8,232 aus Sudan. Laut Informationen des Einwohnermeldeamtes und der Ausländerbehörde befanden sich zum gleichen Zeitpunkt 14.542 illegale Arbeitnehmer in Israel sowie 91.000 Touristen ohne gültiges Visum. Die Gesamtbevölkerung Israels betrug derweil 8.522 Millionen Bürger.

Je stärker die Zahl der Flüchtlinge wuchs, desto nervöser wurden Anwohner an den Hauptanlaufstellen der Afrikaner, vor allem den beiden Vierteln Neve Schaanan und Ha´Tikva im Süden von Tel Aviv. Mit Grenzanlagen zur ägyptischen Halbinsel Sinai sollte der Zuzug gestoppt werden und später mit der Bestrafung der „Infiltranten“. Damals verabschiedete das israelische Parlament, die Knesset, in Jerusalem das sogenannte Anti-Infiltrations-Gesetz, das es den Einwanderungsbehörden ermöglichte, die Leute, die illegal über die Grenze kamen, zu verhaften und für drei Jahre nach Saharonim, einem Gefängnis für Flüchtlinge, zu schicken. Erst dann stellten die ersten Flüchtlinge Asylanträge, allerdings ohne großen Erfolg. „Von mehreren hundert Antragstellern sind vier Eritreer und kein einziger Sudanese als Asylberechtigte anerkannt worden“, berichtet Scharon Harel von der UN-Menschenrechtsratsvertretung in Tel Aviv. In Europa wurden im vorvergangenen Jahr „über 90 Prozent aller eritreischen Asylanträge bewilligt und knapp 80 Prozent der sudanesischen“.

Seit Ende 2013 unterhält die israelische Gefängnisbehörde, welche dem Innenministerium untersteht, das offene Haftlager Holot im südlichen Negew, in dermEnde 2015 über 3000 Männer festgehalten wurden. Die Flüchtlinge, die darin hausen, bekommen eine ID-Karte ausgestellt, auf welcher als Aussteller in dicken Lettern „Prison Services“ gedruckt ist. „Man fühlt sich wie ein Gefangener ohne Rechte, anstatt als Flüchtling, der unter internationalem Schutz steht“, sagt ein Eritreer der taz, der diesem Gefängnissystem entkommen konnte und als Beweis die Karte zeigt. Immerhin, Holot sei eine offene Einrichtung, die darin Lebenden dürften das Lager tagsüber verlassen. Die nächste Stadt ist etwa eine Stunde mit dem Bus entfernt. Insassen berichten über enge Räume in denen jeweils zehn Menschen untergebracht wären. Die Anlage sei schlecht isoliert, im Winter kalt und im Sommer sehr warm. Zudem sei das Essen eintönig und oft an der Grenze zum Ungenießbarkeit. Umgerechnet 15 Euro bekomme man pro Woche, kaum genug für eine Busfahrt nach Tel Aviv und zurück.

Im Unterschied zu der geschlossenen Haftanstalt Saharonim, wird Holot nur nachts abgeschlossen, außerdem dürfen die Insassen Mobiltelefone mit sich führen und können den Kontakt zur Außenwelt halten. Anfangs mussten sich die Insassen fünf, später dreimal täglich zum Appell melden, heute gilt, dass nur noch einmal jeweils am Abend ein Appell stattfindet. Wer eine Zählung verpasst, dem droht die Verlegung nach Saharonim.

Operation Heimkehr

Als „Krebsgeschwür im Körper der jüdischen Nation“ bezeichnete Israels Kulturministerin Miri Regev die Hilfesuchenden aus Afrika, und die Bevölkerung stimmte ihr, laut Umfragen, mehrheitlich zu. Israels Regierung macht keinen Hehl aus ihrem Ziel, die Flüchtlinge „bis zum letzten“, wie es der frühere Innenminister Eli Ischai ankündigte, wieder loszuwerden. Die Behörden belohnen die, die freiwillig gehen und bestrafen die, die bleiben wollen. Wer bereit ist, Israel zu verlassen, bekommt eine Prämie in Höhe von 3500 US-Dollar. Knapp 9000 Männer, Frauen und Kinder sind zwischen 2013 und 2014 auf diesen Handel eingegangen. Davon reisten zwei Drittel zurück in ihre Heimatländer Sudan und Eritrea.

Allerdings ging die Zahl der „Freiwilligen“ zu Beginn des Jahres 2015 dramatisch zurück. Grund dafür dürften die Berichte der Rückkehrer sein. „Als ich den Flughafen von Khartum erreichte, nahmen mich sudanesische Soldaten fest“, heißt es in einer Dokumentation der Tel Aviver „Hotline for Refugees and Migrants“. „Sie verhörten mich darüber, warum ich nach Israel gegangen war, und was ich dort gemacht habe. Sie schlugen und traten mich, während ich noch auf dem Boden lag.“

Aus Sicht der UN-Vertreterin Scharon Harel, hat Israel die Flüchtlinge durch konsequentes Ignorieren erst zum Problem werden lassen. „Hätte es eine vernünftige Organisation gegeben, eine Verteilung neuankommender Flüchtlinge auf das gesamte Land sowie Regelungen und Prüfungen, ob Aussicht auf einen Status besteht“, dann, so vermutet Harel, wäre es vermutlich gar nicht erst zu Spannungen mit der lokalen Bevölkerung gekommen. Israel ist zwar mit rund acht Millionen Einwohnern kein großer Staat, trotzdem dürften die gerade 45.000 Flüchtlinge im Land kaum „den jüdischen Charakter Israels gefährden“, wie Regev warnte.

Geld oder Knast

Die Methode der sogenannten freiwilligen Rückkehr „ist im Grunde eine Politik, die den Menschen den Aufenthalt hier so sehr erschwert, dass ihnen letztendlich keine Wahl bleibt, als wegzugehen“, resümiert Harel. Im August 2013 verabschiedete Israels Regierung eine Zusatzklausel zum „Anti-Infiltrationsrecht“, mit dem Flüchtlinge vor die Wahl gestellt werden, entweder in ein Drittland auszureisen oder für unbestimmte Zeit in Saharonim inhaftiert zu werden. Zum Zuckerbrot der 3500-Dollar-Prämie gesellte sich nun die Peitsche der drohenden Gefängnishaft. Anfang 2016 wurden mehrere Dutzend Männer, vor allem aus Eritrea, aufgefordert, eine Entscheidung zu fällen. Noch verzögern israelische Menschenrechtsaktivisten mit Petitionen vor dem Obersten Gerichtshof die umstrittene Praxis der „freiwilligen Ausreise“ und fordern eine Offenlegung der Rückführungsabkommen zwischen Israel, Ruanda und Uganda.

Völlig unklar blieb lange, welche Länder überhaupt beteiligt waren und warum diese Länder bereit dazu sind, die afrikanischen Flüchtlinge von Israel zu übernehmen. Die israelischen Behörden lehnten offizielle Stellungnahmen ab. Einziges Indiz war lange eine Erklärung des ugandischen Präsidenten Yoweri Museveni über eine grundsätzliche Einigung zwischen Kampala und Jerusalem. Ruanda, das zweite Land, aus dem sich inzwischen aus Israel abgeschobene Flüchtlinge gemeldet haben, leugnet jegliche Abkommen.

Mit einer Petition für mehr Transparenz und Kontrolle der Bedingungen, die für die Flüchtlinge in Ruanda und Uganda herrschen, zog eine Gruppe von Studenten und Dozenten der Universität Tel Aviv vor den Obersten Gerichtshof Israels. Richterin Miram Naor räumte während des in weiten Teilen hinter verschlossenen Türen abgehaltenen Verfahrens im März 2016 ein, dass „etwas Absurdes an all den Forderungen nach Geheimhaltung“ sei.

Zum ersten Mal nannten die Vertreter des Staates im Verlauf des Prozesses wenigstens die Namen der beiden Zielländer Ruanda und Uganda. „Ein Flüchtling, der nach Ruanda geschickt wird, muss wissen, welche Rechte er dort hat“, fordert die UN-Mitarbeiterin Scharon Harel. „Der Status der Menschen sollte vorab geklärt sein. Gibt es die Chance, Asyl zu beantragen? Kann er arbeiten, eine Wohnung mieten, und wie viel wird ihn das kosten?“ Das von Israel praktizierte Vorgehen, so meint Harel, „lässt zu viele Fragen offen“.

Völkermord mit israelischen Kleinwaffen

Die engen Beziehungen zwischen Jerusalem und Kigali sind in Israel kein Geheimnis. Ex-Außenminister Avigdor Lieberman nannte Ruanda offen „Israels größten Freund“, und Emmanuel Nachschon, Sprecher des Außenamts in Jerusalem, berichtet über einen „intensiven Austausch im Bereich der Landwirtschaft“. Außerdem hätten die beiden Länder mit gemeinsamen Veranstaltungen 20 Jahre nach dem Völkermord in Ruanda und 70 Jahre nach der Auschwitzbefreiung den Tragödien der Tutsi und der Juden gedacht.

Die ruandischen Tutsi wurden 1994 mit Macheten und leichten Schusswaffen massakriert. Ihre Mörder kauften Gewehre, Munition und Granaten bei internationalen Waffenhändlern. Israel, so behauptet Prof. Jair Auron, israelischer Historiker und Spezialist für den Holocaust und Genozid-Studien, war eine ihrer Bezugsquellen. Auron zog im März 2015 vor ein Tel Aviver Gericht, um eine Veröffentlichung der Akten im Verteidigungsministerium zu erreichen, die Israels Waffenexport nach Ruanda vor und während des Jahres 1994 dokumentierten. Israel habe den Hutus 5,56-Millimeter-Kugeln, Gewehre und Granaten geliefert, erklärte er im Verlauf des Verfahrens.

Das Gericht lehnte die Petition Aurons ab. Israel hält sich bedeckt in Sachen Waffenexport. Letztes Jahr scheiterte die Abgeordnete des linken Parteienbündnisses „Meretz“, Tamar Sandberg, mit einem Gesetzentwurf in der Knesset, mit dem sie den israelischen Rüstungshandel transparenter machen wollte. „Die Idee war: Okay, wir sehen ein, dass weltweit Waffen gehandelt werden“, sagt sie, „aber es gibt rote Linien, dort, wo Menschenrechte verletzt werden und wo Kriegsverbrechen begangen werden“. Vorläufig werden Bestimmungsorte, wie auch Art und Umfang der Rüstungsware der Öffentlichkeit vorenthalten – auch den Abgeordneten. Nur die „Aufsichtsabteilung für Sicherheitsexporte“ im Verteidigungsministerium ist informiert und zum Teil auch das Außenamt. Sandberg kämpft gegen diesen „Mangel an Transparenz“ und für mehr Kontrolle „wenigstens durch das Außenministerium“.

Grenz- und Überwachungstechnologie für Afrika

Ob Israel nach dem Genozid weiter Gewehre nach Ruanda geschickt hat oder es inzwischen wieder tut, ist nicht zu belegen. Die Vermutung liegt jedoch nahe, dass die Regierung in Kigali tausende Flüchtlinge, die via Israel ins Land kommen, nicht ohne Gegenleistung bei sich aufnimmt. Gegen Israels „Package-Deal“ protestierten im Mai 2015 Demonstranten in Genf. „Wenn Sie einverstanden sind, uns ein paar arme Afrikaner abzunehmen“, stand auf einem Plakat auf Englisch, „dann werden wir Ihnen viele Waffen geben, damit Sie noch mehr Afrikaner töten können“. Das Plakat zeigte Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu, der in der einen Hand ein Boot mit Flüchtlingen hält, in der anderen einen Panzer, Gewehre und Kampfflugzeuge.

Für die Abgeordnete Sandberg besteht kein Zweifel daran, dass „alle beteiligten Konfliktparteien, inklusive die südsudanesische Regierung und ihren Milizen, an Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Menschenrechtsverletzungen beteiligt sind“. Nach Informationen des israelischen Verteidigungsministeriums, seien die Lieferungen von tödlichen Waffen jedoch bereits „in einem frühen Stadium des Bürgerkrieges“ eingestellt worden. Auch Sandberg bestätigt, dass anstelle von Schusswaffen seither „vermutlich nur noch Überwachungstechnik“ Richtung Südsudan geschickt werde. Dafür bestellte Ruanda dieses Jahr israelische Panzerhaubitzen. Insgesamt hat sich das israelische Exportvolumen in den Jahren 2012 bis 2014 verdreifacht.

Einen Anteil daran dürfte auch die weltweit führende Rolle von Israels Verteidigungsindustrie beim Bau und der Ausrüstung von Grenzzaunanlagen haben. Die Grenzanlagen zu Palästina, Ägypten und Jordanien gelten als Prototyp moderner High-Tech-Zäune mit Bodensensoren, Wärmebildkameras sowie Satelliten- und Drohnenüberwachung aus der Luft. Dieses Know-How exportieren nun israelische Branchenriesen wie Magal Security Systems oder Elbit Systems. Magal rüstet unter anderem die kenianisch-somalische Grenze aus: Nach israelischem Vorbild soll das Unternehmen den geplanten 682-Kilometer-Zaun mit elektronischen Sensoren bestücken, die jede Berührung an Kontrollstationen der Grenzpolizei melden. Magal hatte bereits zuvor den Zuschlag zur Ausstattung des gigantischen kenianischen Frachthafens in Mombasa mit Überwachungstechnik erhalten. Elbit wiederum sicherte die US-mexikanische Grenze mit Wachtürmen.

Beste Geschäftskontakte nach Afrika bestehen für israelische Unternehmen schon lange. Zuletzt fand vermehrt Technologie, die zur Luftüberwachung geeignet ist, wie zum Beispiel Drohnen und Überwachungselektronik für Flugzeuge und Helikopter, ihren Weg nach Afrika. So kaufte Ruanda 2013 eine Aufklärungsdrohne, um die Grenze zum kriegsgeplagten Ostkongo zu überwachen, Ugandas Piloten werden von israelischen Fluglehrern ausgebildet. Als Premier Benjamin Netanjahu im Sommer 2016 nach Subsahara-Afrika reiste, waren Vertreter von den Zaunbauern Elbit und Magal sowie der Drohnenfirma Aeronautics mit im Tross.

Israels Regierungschef kam mit Regierungsvertretern aus Uganda, Ruanda, Äthiopien, Kenia, Tansania, Südsudan und Sambia zusammen. Netanjahu bezeichnete das Treffen mit den Staats- und Regierungschefs als „Meilenstein“. „Ich glaube, Israel ist der perfekte Partner für die Länder Afrikas.“ Israel habe Fähigkeiten entwickelt, die seiner Meinung nach wichtig für die Verteidigung der Welt gegen den weltweiten Ansturm des Terrors seien. „Aber gleichermaßen haben wir enorme Möglichkeiten. Wir haben unser Wasserproblem gelöst, obwohl wir ein sehr trockenes Land sind. Wir haben unser Landwirtschaftsproblem gelöst. Wir produzieren, mit großer Produktivität, Gemüse, Milchprodukte. Wir sind begierig, diese Technologie in so vielen Bereichen mit unseren afrikanischen Freunden zu teilen“, so Netanjahu.

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