Flüchtlingshilfe in der Schule: Pensionierte Lehrer an die Tafel
In Niedersachsen wird der Ruf nach pensionierten Deutschlehrern laut. Das Kultusministerium verweist auf ehrenamtliche Initiativen vor Ort.
Weber beklagt, dass die Flüchtlinge bislang stark auf die ehrenamtliche Tätigkeit der Initiativen vor Ort angewiesen sind. „Die können jetzt nicht auch noch die Aufgabe übernehmen, Kinder zu beschulen“, sagt er. Hier sei das Kultusministerium verantwortlich.
Im niedersächsischen Gifhorn konnte schon vor den Sommerferien der Sprachunterricht nicht im nötigen Umfang erteilt werden, weil es an Lehrern mangelte.
Pensionierte Lehrkräfte, die sich in der Sprachförderung für Flüchtlingskinder in Schulen engagieren wollen, seien herzlich willkommen, heißt es aus dem Kultusministerium. Gezielt anwerben will sie die Behörde allerdings nicht. „Die Schulen vor Ort wissen am besten, ob ein Bedarf besteht und wen sie dafür ansprechen können“, sagt Susanne Schrammar, Sprecherin des niedersächsischen Kultusministeriums.
Bundesweit werden dieses Jahr rund 800.000 Flüchtlinge erwartet. Nach Schätzungen der Niedersächsischen Landesregierung sind zwischen 30 und 40 Prozent im schulpflichtigen Alter. Es sei zu erwarten, dass die Zahl der Flüchtlingskinder im Land stark zunehmen wird.
Allein im vergangenen Schulhalbjahr ist die Zahl der Sprachlernklassen in Niedersachsen auf rund 240 gestiegen, vier mal so viele wie im Schuljahr 2013/2014. Rund zehn Millionen Euro wurden dafür zur Verfügung gestellt.
Ihr Ressort setze daher auf den direkten Kontakt zwischen den Schulen und Lehrkräften. Über die Landesschulbehörde könnten jene Verträge mit pensionierten Lehrkräften abschließen. Diese arbeiten dann nebenamtlich.
Viele Flüchtlinge sind schulpflichtig
Die Landesregierung rechnet damit, dass etwa 30 bis 40 Prozent der Flüchtlinge im schulpflichtigen Alter sind. Dem Vorsitzenden des niedersächsischen Philologenverbandes, Horst Audritz, genügt diese Information nicht. „Es ist völlig unklar, wie groß der Bedarf an zusätzlichen Lehrern ist“, kritisiert er. Es fehlten genaue Zahlen vom Kultusministerium. Die Schulen könnten deshalb häufig nur kurzfristig reagieren.
„Wir können die Flüchtlingskinder nicht einfach in die Klassen setzen und die Lehrer alleine lassen“, sagt der Philologen-Vertreter Audritz. Schließlich sollten sie nicht nur beaufsichtigt, sondern auch unterrichtet werden. Dafür sei mehr Geld nötig – auch um personell aufzustocken.
Breite Erfahrung
Das Kultusministerium verweist auf die breite Erfahrung in der Beschulung von Flüchtlingskindern. „Wir fangen in Niedersachsen nicht bei null an“, sagt Schrammar. Bereits im vergangenen Schuljahr erhielten die Schulen insgesamt rund 40.000 Lehrerstunden, die für Sprachförderung verwendet werden konnten. Auch die Zahl der Sprachlernklassen sei auf rund 240 gestiegen. Dies entspreche einer Vervierfachung gegenüber dem Schuljahr 2013/2014.
Die Aufnahme von Flüchtlingskindern in niedersächsische Schulen ist durch einen Erlass vom Juli 2014 geregelt. Danach sind Kinder nicht-deutscher Herkunftssprache, die in Niedersachsen schulpflichtig werden, wie alle anderen auch in die örtlich zuständige Grundschule aufzunehmen. Wegen fehlender Sprachkenntnisse darf niemand vom Schulbesuch ausgeschlossen werden.
„Der Erlass liest sich gut“, sagt Weber. Diesen Rechtsanspruch müsse das Kultusministerium aber auch durchsetzen. Dazu seien weitere Gelder und Lehrkräfte nötig. „Der Markt ist nicht leergefegt“, behauptet er.
„Ein langfristiger Gewinn“
Weber fordert zudem, dass das Land auch 18- bis 25-Jährigen anbietet, eine Schule zu besuchen. „Investitionen in Kinder und Jugendliche sind ein langfristiger Gewinn“, sagt er. Als Steuerzahler würden sie dem Staat früher oder später Leistungen zurückbringen. „Es wären verschenkte Ressourcen, sie nur auf Hilfstätigkeiten zu verweisen“, findet Weber.
Auch in Bremen wächst der Bedarf an Schulangeboten für Flüchtlingskinder. Über Lösungsansätze will das Bildungsressort allerdings erst morgen diskutieren. Fest steht jedoch: Die im rot-grünen Koalitionsvertrag versprochenen 200 zusätzlichen Lehrer kommen zum Schuljahresbeginn noch nicht. „Im Haushaltsjahr 2016 werden zunächst 120 neue Stellen geschaffen“, sagt Holger Ilgner, Sprecher der Bremer Bildungsbehörde. Alle weiteren sollen schrittweise folgen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Berliner Sparliste
Erhöht doch die Einnahmen!
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid