Flüchtlingsaktivistin vor Gericht: Gefeiert und wüst beschimpft
Eine schwedische Studentin hatte im letzten Sommer die Abschiebung eines Afghanen verhindert. Jetzt muss sie sich deswegen vor Gericht verantworten.
Elin Ersson war im vergangenen Sommer weltweit bekannt geworden. Die 21-jährige schwedische Studentin hatte sich geweigert, im Flugzeug ihren Platz einzunehmen – und so die Abschiebung eines Afghanen aus Schweden fürs Erste verhindert. Dafür muss sich Ersson seit diesem Montag vor dem Amtsgericht in Göteborg verantworten.
Damals hatte die Studentin, die seit ihrem 18. Lebensjahr in Flüchtlingshilfeorganisationen aktiv ist, ihre Aktion über Facebook als Livestream verbreitet – der Beitrag wurde millionenfach geteilt. Zugetragen hatte sich das Ganze am 23. Juli 2018 am Flughafen Göteborg-Landvetter. Zeitweise mit den Tränen kämpfend hatte Ersson in ihrem Livestream erklärt, warum sie das mache: Sie wolle damit die Abschiebung eines an Bord befindlichen afghanischen Flüchtlings verhindern und gegen die Flüchtlingspolitik Schwedens protestieren, das ungeachtet der Sicherheitslage in Afghanistan abgelehnte Asylsuchende in dieses Land abschiebe: „Und damit in einen wahrscheinlichen Tod.“
Ihrem „Stehenbleiben-Protest“ schlossen sich auch andere Passagiere an, mittlerweile gibt es darüber auch einen Kurzfilm. Ersson erreichte letztlich, dass der Flugkapitän anordnete, der Flüchtling und seine Polizeibegleitung hätten das Flugzeug zu verlassen. Kurz vor 20 Uhr und mit fast zweistündiger Verspätung konnte das Flugzeug dann von Landvetter aus starten.
Die Staatsanwaltschaft hatte sie danach angeklagt, den Anweisungen des Flugkapitäns nicht Folge geleistet und damit die Sicherheit des Flugverkehrs gefährdet zu haben. Die Kernfrage, die das Gericht nun zu beantworten hat: Kann ein Fluggast durch sein Verhalten die Sicherheit des Flugverkehrs gefährden, wenn sich das Flugzeug noch gar nicht in der Luft befindet, sondern noch am Flughafenterminal parkt?
Dass sie wegen der Kosten der Verspätung möglicherweise mit Schadenersatzforderungen der Fluggesellschaft rechnen musste, war der Studentin bewusst. Die Fluglinie Turkish Airlines hat solche Forderungen aber jedenfalls bislang nicht geltend gemacht.
Es drohen bis zu sechs Monate Haft
Unerwartet kam dagegen die Entscheidung der Staatsanwaltschaft, eine Anklage wegen Verstoß gegen das Luftfahrtgesetz gegen sie zu erheben. In einer ersten Stellungnahme hatte ein Polizeisprecher nämlich erklärt: Das Verhalten an Bord eines Flugzeugs, das noch am Terminal angedockt sei, habe nicht die Flugsicherheit gefährdet.
So plädierte auch Erssons Anwalt Tomas Fridh bei dem ersten Termin vor Gericht am Montag: Die Aktion habe gerade darauf abgezielt, dass das Flugzeug gar nicht erst starten konnte. Im Übrigen sei die Absicht seiner Mandatin nicht etwa die Luftfahrtsabotage gewesen – sondern auf die Schwächen der schwedischen Flüchtlingspolitik hinzuweisen.
Vor dem jetzigen gerichtlichen Nachspiel löste Erssons Aktion schon eine kontroverse Debatte aus. Nach ihrer Aktion gab es zum einen viel Lob: Mit solcher Zivilcourage stehe sie „in einer langen und stolzen Tradition“, kommentierte die schwedische Tageszeitung Dagens Nyheter. In den sozialen Medien wurde Ersson aber auch wüst beschimpft. Rechte Seiten veröffentlichten eine Kopie ihres Führerscheins mit allen persönlichen Daten, zudem Handynummer, Wohn- und Mailadresse.
Für den Fall einer Verurteilung droht Ersson aufgrund der fraglichen Vorschrift bis zu sechs Monaten Haft. In der Vergangenheit waren nach diesem Paragrafen Geldbußen gegen alkoholisierte Passagiere verhängt worden, die an Bord randaliert hatten – während des Flugs. Ein Urteil soll am 18. Februar gefällt werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid
Berliner Sparliste
Erhöht doch die Einnahmen!
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis