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FlüchtlingeVom Krankenhaus direkt ins Flugzeug

Ein Teilnehmer des Hungerstreiks in Eisenhüttenstadt wurde am Donnerstag abgeschoben. Nach seiner Schilderung unter fragwürdigen Umständen.

Das Abschiebegefängnis in Eisenhüttenstadt Bild: DPA

Ein Flüchtling und Teilnehmer des Hunger- und Durststreiks von Asylsuchenden in Eisenhüttenstadt ist am Donnerstag direkt vom Krankenhaus aus in sein Herkunftsland Georgien abgeschoben worden. Das bestätigte Flüchtlingsanwältin Berenice Böhlo, die den Mann juristisch betreut, am Freitag der taz. Der Flüchtling sei laut einem Seelsorger, der ihn noch kurz zuvor besucht habe, in einem „schlechten Gesundheitszustand“ gewesen, so Böhlo: „Er befand sich ja im Krankenhaus, weil Ärzte der Meinung waren, dass er dorthin gehört.“ In Unterstützerkreisen ist deshalb von einer „widerrechtlichen Entführung“ des Flüchtlings aus dem Krankenhaus die Rede.

Der Georgier befand sich nach Auskunft seiner Anwältin seit Juni in Deutschland. Ein erster, Bundespolizisten gegenüber geäußerter Asylantrag sei von diesen nicht an das zuständige Bundesamt für Migration und Flüchtlinge weitergeleitet worden. Stattdessen wurde der Mann wegen illegaler Einreise in Abschiebehaft genommen. Aus der Haft heraus konnte er dann einen zweiten Antrag stellen – allerdings noch ohne anwaltliche Hilfe und Beratung. Dieser sei „ganz schnell“ abgelehnt worden, so Böhlo.Trotzdem sei aufgrund seiner gesundheitlichen Verfassung die Abschiebung ihres Mandanten juristisch nicht einwandfrei. Denn der Kranke müsse amtlich untersucht und ärztlich begleitet, seine Weiterbehandlung im Herkunftsland gesichert werden, erklärt die Anwältin.

Nach Auskunft der Bundespolizei wurden alle diese Bedingungen bei der Abschiebung erfüllt: Der Mann sei „abschließend aus dem Krankenhaus entlassen“ und bei der Abschiebung ärztlich begleitet worden. Eine Weiterbehandlung sei nicht nötig, da sein schlechter Gesundheitszustand allein Folge des Hunger- und Durststreiks gewesen sei.

Böhlo, die Freitagnachmittag mit ihrem Mandanten sprechen konnte, schildert dessen Darstellung der Abschiebung allerdings völlig anders: Bereits im Krankenhaus sei er daran gehindert worden, um Hilfe zu rufen, habe dieser berichtet. Im Flugzeug sei er mit zugeklebtem Mund und „einem Sack über den Kopf“ transportiert worden, habe der Flüchtling erzählt. Er säße nun ohne Geld und Handy in Tiflis, 600 Kilometer von seinem Heimatort entfernt. Sollte sich die Schilderung ihres Mandanten bewahrheiten, „wäre es möglich, ihn zurückzuholen“, so die Anwältin. Denn dann wäre die Abschiebung unter „krass rechtswidrigen“ Umständen erfolgt. Auch der Flüchtlingsrat Brandenburg kritisierte die Abschiebung. Sie sei skandalös und inhuman und verstoße gegen „gängige humanitäre Standards“, heißt es in einer Presseeerklärung.

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4 Kommentare

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  • Jede Menge Ärger – darunter auch Missbrauch und Missverständnis – könnte man sich ersparen, wenn man anfangen würde, die Lage in der Welt zu verbessern. Mit konkreten, auch den kleinsten Taten (tun wir ja schon, ausserhalb der Politik, z.B. in den NGOs).

     

    Statt in die Kriege zu ziehen und/oder Potentaten zu hofieren.

     

    Dann kämen, und gingen, Menschen nicht aus Verzweiflung. Oder Berechnung, die allerdings eine einfache ist – von Null oder gar Minus auf egal wieviel, auch ganz wenig, Plus, auch bloss Hoffnung schon genügt und die Menschen anzuziehen.

     

    Mit "man" ist jede/r mitgemeint. Auch diejenige/n die wir wählen und die uns in die Kriege schicken und für uns die Potentaten hofieren – auch wenn wir nichtwählen, denn dann wählen die anderen für uns. Und – damit die Wahl ja nicht "one man one vote" und "no one left behind" heisst – dulden wir die Verzerrungen, Gewichtungen, Umrechnungen unseres Wahlsystems. Auch da können wir die Dinge ändern, und haben auch schon angefangen (z.B. mehr-demokratie.de und z.B. dort "Wahlrecht", "Arbeitskreise").

  • I
    @Irmi

    Ich bezweifle die Darstellung ebenso wie die 600 km bis zu seinem Heimatdorf - das ist aus geographischen Gründen im relativ kleinen Georgien schwer möglich. Aber man glaubt, was man glauben möchte... Glauben Sie mir, wohl nirgendwo werden so viele Märchen erzählt wie im Asylbereich. Das nehme ich den Betreffenden überhaupt nicht übel - sie haben verständliche Ziele. Ich appelliere nur, ein wenig gesunde Skepsis zu behalten.

  • IG
    Irmi Gast

    Mit zugeklebtem Mund und „einem Sack über den Kopf“ abtransportiert. Wie zu einer Hinrichtung.

     

    Es könnte durchaus sein, das ein Arzt dabei war, die brauchen die Beamten, sollte der Schübling sich wehren, gibt ihm der "begleitende" gute Onkel Doktor eine Spritze, schon wehrt er sich nicht mehr.

     

    Da hat sich an der unmenschlichen Abschiebepraxis nichts geändert. Das alles ist wieder so ein Vorführeffekt, wenn eine Behörde beschlossen hat, den wollen wir hier nicht, dann wird der gehen, ob er will oder nicht.

  • B
    Begriffswirrwar

    Kann mir irgendjemand erklären, was die Annahme rechtfertigt, es handle sich um einen "Flüchtling"? (wenn wir nicht von einem unverantwortlich entleerten Flüchtlingsbegriff ausgehen, nach der quai jeder (versuchter) Auwanderer als Flüchtlig firmiert)