piwik no script img

Flüchtlinge und HelferMoabit demonstriert

Vor dem Lageso in der Turmstraße läuft immer noch nichts ohne freiwillige Helfer. Die haben jetzt die Faxen dicke und wollen gegen das Chaos protestieren.

Endloses Warten: Vor dem Lageso in Moabit immer noch Normalität Foto: dpa

Nach drei Monaten Chaos an der Erstaufnahme für Flüchtlinge in Moabit platzt den freiwilligen HelferInnen der Kragen. Die Zustände beim Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) seien unhaltbar, kritisierte „Moabit hilft“ am Donnerstag in einer Erklärung. Der Verein, dessen Ehrenamtliche die Flüchtlinge mit dem Notwendigsten versorgen, ruft für den 17. Oktober um 14.30 Uhr zu einer Demonstration vor dem Roten Rathaus auf.

Das sagt "Moabit hilft"

Vom Zeitpunkt des Anstellens für eine Nummer zur Registrierung bis zur Ausgabe der ersten Unterlagen warten Menschen bis zu 57 Tage. „Familien mit Babys liegen auf kaltem Beton, Menschen ohne Unterkunft irren durch die Stadt, schlafen jede Nacht woanders oder unregistriert in Zelten, in Parks oder bei Bekannten.“

Weiterhin wird beklagt: Keinerlei Unterstützung der Freiwilligen, weder Versicherungen für die Ehrenamtler noch Güterspenden. Keine Anlaufstelle für nachts oder am Wochenende ankommende Flüchtlinge. Geld wird verzögert ausgezahlt, Unterlagen fehlen oder verschwinden, Kostenübernahmen für Heimplätze werden nicht verlängert. Minderjährige Alleinreisende werden in die Obdachlosigkeit geschickt. Kein Wetterschutz für Wartende. Vorhandene geschützte Wartebereiche nicht zur Benutzung freigegeben.

Darüber hinaus gebe es keine Deeskalationskonzepte. Stattdessen setze das Lageso auf mehr Polizei und private Sicherheitsfirmen. Weiterhin Ausgabe von wertlosen (da uneinlösbaren) Hostelgutscheinen. Nur eine Wartenummerntafel für Hunderte Wartende – und die unter freiem Himmel.

„Moabit hilft“ und der „Arbeitskreis Gesundheit und Menschenrechte“ beklagen zudem die fehlende medizinische Versorgung. Stattdessen würden die freiwilligen Ärzte behindert durch bürokratisches Vorgehen bei Medikamentenversorgung und übertriebene Hygienekontrollen.

Beim Lageso in der Turmstraße müssen sich alle Geflüchteten registrieren lassen. Teilweise müssen sie aber bis zu zwei Monate auf ihre Papiere warten – und bekommen bis dahin oft weder Geld noch medizinische Versorgung. Auf dem Gelände stehen und sitzen täglich Hunderte von früh bis spät im Freien. „Moabit hilft“ fragt: „Muss erst das erste Kleinkind erfrieren oder sich ein Mensch aus purer Verzweiflung etwas antun?“

Auch andere Engagierte melden sich zu Wort. Noch immer gebe es am Lageso keine reguläre medizinische Versorgung, kritisiert der „Arbeitskreis Gesundheit und Menschenrechte“. Die von den freiwilligen Ärzten improvisierte „Barfußmedizin“ habe „nicht einmal Dritte-Welt-Standard“, so Thea Jordan, Ärztin im Gesundheitskreis, zur taz.

Die Freiwilligen ärgert vor allem, dass sich an den Zuständen trotz gegenteiliger Versprechen der Politiker nichts ändert. Offenkundig handele es sich nicht um ein logistisch unlösbares Problem, „sondern um einen durch politische Entscheidungen erhaltenen Zustand“, heißt es im offenen Brief. Auch Jordan vermutet, das Chaos sei politisch gewollt, um Flüchtlinge abzuschrecken. „Es soll den Leuten sagen: Kommt bloß nicht nach Berlin!“

Tatsächlich hat sich an der Lage fast nichts geändert. Zwar wurden 70 Verwaltungsmitarbeiter zum Lageso abgeordnet, man könne aber derzeit nur nachsteuern, sagt Monika Hebbinghaus, Sprecherin der Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales. „Im September sind 16.000 Flüchtlinge angekommen, dreimal mehr als im August, darauf hätte keine Verwaltung vorbereitet sein können“, sagt sie. Eine „spürbare Entlastung“ erhofft sich die Senatsverwaltung von der für Mitte Oktober geplanten neuen Erstaufnahme in der Bundesallee.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!