Flüchtlinge in Deutschland: Die Abschottung zeigt Wirkung
Im ersten Halbjahr 2016 ist die Zahl der Geflüchteten nur gering gestiegen. Beim Bundesamt für Flüchtlinge stauen sich hunderttausende Anträge.
Die Zahlen basieren auf einer Kleinen Anfrage der Linkspartei im Bundestag, die regelmäßig die Zahl der Geflüchteten in Deutschland mit unterschiedlichem Schutzstatus abfragt. Die Antwort des Innenministeriums (.pdf) liegt der taz exklusiv vor. Demnach lebten Mitte 2016 1,23 Millionen Menschen asylberechtigt, mit Schutz nach der Genfer Konvention, einem laufenden Asylverfahren oder einer Duldung in Deutschland. Hinzu kommen noch 150.000 Menschen, die zwar bei der Einreise registriert wurden, aber noch keinen Asylantrag stellen konnten. Insgesamt sind das 1,38 Millionen Menschen, Ende 2015 waren es noch 1,25 Millionen.
„Die Abschottungs- und Abschreckungspolitik der Bundesregierung und der EU trägt grausame Früchte“, kommentierte die Linken-Abgeordnete Ulla Jelpke die Zahlen. „Vor allem durch die Abriegelung der Balkanroute und den EU-Türkei-Flüchtlingsdeal haben Schutzsuchende kaum noch eine Chance, die EU zu erreichen.“
Die größte Veränderung im ersten Halbjahr war, dass mehr als 150.000 weitere Menschen inzwischen als Flüchtlinge nach der Genfer Flüchtlingskonvention anerkannt wurden. Deren Zahl beträgt inzwischen 365.000, mehr als zwei Drittel sind Syrer oder Iraker. Asyl nach dem Grundgesetz bekommen derweil kaum noch Menschen: Die zahl der Asylberechtigten stieg in sechs Monaten um 35. Die Menschen, die nach dem Grundgesetz geschützt werden, kommen vor allem aus der Türkei und aus dem Iran.
Insgesamt erwartet das BAMF für dieses Jahr 250.000 bis 300.000 neu einreisende Flüchtlinge. Diese können allerdings nicht einfach zu der Zahl der Flüchtlinge bis 2015 hinzugezählt werden, da viele Menschen regelmäßig Deutschland auch wieder verlassen: Beispielsweise, weil sie abgeschoben werden oder selbst ausreisen. Oder sie gelten nicht mehr als Flüchtlinge, weil sie eingebürgert werden oder Deutsche heiraten. Im vergangenen Jahr wurden viele auch schlicht doppelt gezählt.
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Die Linkspartei geht davon aus, dass ein Großteil der Flüchtlinge auch in Deutschland bleiben wird. Jelpke forderte deshalb ein besseres Integrationskonzept von der Bundesregierung. Es würden mehr Integrations- und Sprachkurse gebraucht, sowie ein schneller Zugang zu Bildung und zum Arbeitsmarkt. Es sei deutlich, dass nicht die Zahl der Asylsuchenden oder eine mangelnde Integrationsbereitschaft das Problem seien, sondern organisatorische Missstände. „Die wahren Integrationsverweigerer sitzen in der Bundesregierung“, sagte Jelpke der taz.
(Hinweis zu fehlenden Jahren der Statistik: Die Zahlen werden von Die Linke seit 2006 abgefragt. Laut Linke wurden bei der ersten Anfrage auch die Zahlen der vorherigen Jahre erfragt, waren aber nicht verfügbar oder nur aufwändig zu rekonstruieren. Die Zahlen für 1997 gab es trotzdem.)
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