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Flüchtlinge in DeutschlandBeamte wollen mehr abschieben

Ein Bericht von Landesbeamten und Bundespolizei übt in einem internen Papier massive Kritik an der deutschen Abschiebepraxis. Sie sei zu zahm.

Dürfen kaum mitreden: Proteste von Asylbewerbern in Regensburg. Bild: dapd

BERLIN taz | Wie man sie auch dreht: Die Zahlen stimmen einfach nicht. Spiegel Online zitierte letzte Woche aus einem 16-seitigen Papier, das im Auftrag einer Arbeitsgruppe der Innenministerkonferenz (IMK) Landesbeamte und die Bundespolizei verfasst haben.

Darin üben die Verfasser heftige Kritik an der deutschen Abschiebepraxis: Sie halten sie für zu lasch. Viele Bürgermeister und Landräte würden Abschiebungen "bei entsprechendem Druck" von Lobbygruppen und Medien immer wieder in letzter Minute abbrechen. Dies habe dazu geführt, dass 2010 nur 14,8 Prozent der Ausreisepflichtigen Deutschland verlassen hätten, darunter gerade mal 930 Personen auf dem Weg der Abschiebung.

Recherchen der Antirassistischen Initiative ARI, die seit 18 Jahren jeden einzelnen Flüchtlingsfall in Deutschland dokumentiert, haben jedoch ergeben, dass diese Zahl falsch ist. Die Zahl der Abschiebungen lag 2010 bei 7.558 - also siebenmal so hoch. Würden die Zahlen der Zurückschiebungen, Zurückweisungen und die Überstellungen nach der europäischen Dublin-II-Verordnung hinzugezählt, liege die Zahl der Rausschmisse aus der Bundesrepublik gar bei über 22.000.

Die ARI beruft sich bei ihren Angaben auf die offiziellen Zahlen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge. Und auch ein Sprecher des Innenministeriums bestätigt: Die in dem Medienbericht dargestellte Zahl 930 ist falsch. Tatsächlich handele es sich bei den 930 Menschen lediglich um einen Ausschnitt, nämlich um Personen, die nach negativ abgeschlossenen Asylverfahren nicht freiwillig das Land verlassen hätten. Abschiebungen fänden aber auch aus einer Reihe von anderen Gründen statt. Dies sei in dem Artikel aber nicht erwähnt worden.

Anerkennungsquote um 12 Prozent gesunken

Doch wie kommen solche Falschinformationen zustande? Das Bundesinnenministerium verweist auf die IMK. Dort wiederum heißt es, dass es sich um ein bislang internes Arbeitspapier handele, das nicht zur Veröffentlichung vorgesehen sei. Bei der IMK will man nicht einmal offiziell bestätigen, dass es dieses Papier überhaupt gibt.

Die ARI hält die Angaben in dem Artikel für böswillig. Hier werde mit falschen Daten Stimmung gegen Flüchtlinge gemacht. Dabei sei die Lage der Betroffenen umgekehrt. "Anstatt den Menschen Asyl und Aufenthalt zu gewähren, werden sie mit kurzfristigen Duldungen, angedrohten Abschiebeterminen, Entziehung des Aufenthaltes und Kriminalisierungen jahrelang unter Druck gesetzt und dadurch traumatisiert."

Tatsächlich haben 2010 nur noch 21,6 Prozent der hier um Schutz suchenden Flüchtlinge ein Aufenthaltsrecht erhalten. Damit ist die Anerkennungsquote im Vergleich zum Vorjahr gar um mehr als 12 Prozentpunkte gesunken.

Zuletzt hatten selbst die Vereinten Nationen die Situation der Asylsuchenden in Deutschland als "besorgniserregend" bewertet. Flüchtlinge in Deutschland würden keine angemessenen Sozialleistungen und Medikamente erhalten, lebten in überfüllten Unterkünften und hätten keinen Zugang zum Arbeitsmarkt.

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4 Kommentare

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  • J
    JMCQ87

    Die Anerkennungsquote ist schon eher ein ungenauer Indikator, was jetzt den aktuellen "Standart" in Asylverfahren angeht. Wer "Annerkennungs-geeignet" ist und wieviele davon nach Deutschland kommen, ändert sich ja immer danach, wie akut wo gerade die Krisen sind. Wenn es gerade relativ wenig akute Krisen gibt, in Ländern, deren Bewohner gerne nach Deutschland gehen (sagen wir mal die nicht-francophonen Länder), dann sinkt die Quote wohl meist, wenn es da schwere Krise gibt, dann steigt sie.

     

    Da ist's schwer dann Rückschlüsse darauf zu stellen, ob die Union eine etwas xenophobe, populistische oder "haushaltsschonende" Asylpolitik fährt gerade und deshalb die Zügel enger anzieht, oder eben nicht. Das sieht man wohl leider erst im Nachhinein, bei mehrjährigen Durchschnitten, wenn's mehr oder weniger "zu spät" ist...

  • S
    Schulz

    Es ist erschreckend.

    Der Artikel ist sehr schwer zu verstehen.

    Wahrscheinlich liegt das am sogenannten Kulturschock, welcher seit 1989 herrscht

    und 900 Prozent mehr Buerokratie und ein einsames Deutsch erfordert.

     

    ...unbekannte Frau sucht unbekannte Arbeit,

    das bin ich...

    in Deutschland oder aehnlich.

  • N
    Ndege

    Aus dem Artikel:

     

    "Zuletzt hatten selbst die Vereinten Nationen die Situation der Asylsuchenden in Deutschland als "besorgniserregend" bewertet."

     

    Was heißt hier "selbst" die Vereinten Nationen? Wenn es nach denen geht, hat jeder Asylant Anspruch auf ein komplettes Einfamilienhaus plus Mittelklassewagen. Dementsprechend kritisieren die Vereinten Nationen auch praktisch jedes Land der Welt wegen dem Umgang mit Flüchtlingen.

  • F
    Frank

    Gestern, und bis heute sind Staatenlenker verantwortlich für die Ursachen von Krieg und Armut.

    Die Welt ist in Nationen aufgeteilt. Jede Regierung beruht auf dem historischen Ereignis der Exploitation, der prinzipiellen Enteignung des Menschen von den natürlichen Reichtumsquellen dieses Planeten. Während die Anfänge durch Anwendung direkter Gewalt- und Zwangsmaßnahmen aus unabhängigen Menschen Völker machte, Ihnen bekannt als große Werke großer Denker, Erfinder der Zivilisation, geben sich diese auf Gewalt gegründeten, gesellschaftlichen Grundlagen heute die Erscheinungsform des Rechtstaates. Bis heute kommt keine Herrschaft ohne Gewalt, nach innen wie nach außen, aus.

    Herrschaft hat diesen Planeten in eine globale Konkurrenz um den Zugriff auf Mensch und Natur verwandelt, nach innen wie nach außen.

     

    Jedem Kind ist die Staatsangehörigkeit als eine Selbstverständlichkeit der Existenz geläufig. Praktisch handelt sich, überlegen Sie selbst, um einen staatlichen Akt der politischen Sortierung der Menschheit. Das Resultat sind In- und Ausländer. Die Anerkennung der Durchsetzung dieses staatlichen Gewaltaktes, die Definition einer bestimmten, begrenzten Menge Mensch als Volk einer nationalen Herrschaft, gilt als Realismus.

    So ist es halt... und das hat Konsequenzen. Nationalismus ist die geforderte und geförderte Basis des jeweiligen nationalen Staatswesens.

     

    Die Konkurrenz nach innen ist durch Eigentümer und Nichteigentümer charakterisiert. Der lebenslange Zwang zur Lohnarbeit, Arbeit für andere gegen ein Geld, kommt als Angebot daher. Ohne dieses Angebot haben die so Beschenkten kein Einkommen in einer Welt in denen ihnen nichts gehört. Und das in einer Welt in der alles den Anbietern von Arbeitsplätzen gehört. Und selbstverständlich ist ein Preis zu zahlen, für die Nutzung oder Überlassung der eben noch

    im Auftrag, gegen ein Geld, selbst erstellten Produkte.

    Millionen, allein in Deutschland sind ohne Einkommen. Weltweit sind das Milliarden und pro Sekunde stirbt ein Kind ohne wasser und ohne Nahrung.

     

    Gleichzeitig fliegen große Denker zum Mond, bringt Militär Ordnung, Zilisation und Sicherheit, auch nach außen in die Welt. Diese festen Bestandteile jedes Staatshaushalts, und das sind nur 2 Beispiele, beweisen, dass die Ursache von Armut heute nicht in einem Mangel an verfügbarem, gesellschaftlichen Reichtum zu finden ist. Diese Sorte Armut ist ein politischer Beschluss! ( http://de.wikipedia.org/wiki/Verteidigungsetat )

     

    Flüchtlingen wird unmißverständlich klar gemacht, daß auch der Versuch sich dieser weltordnung durch Bewegung zu entziehen, zum scheitern verurteilt wird. Recht und Gesetz gelten.

     

    "Jaeger betonte zugleich, dass die Staaten ein Recht hätten, über die Einwanderung von Ausländern zu entscheiden. "Die Entscheidung muss aber schnell fallen", forderte Jaeger. Die quälende Ungewissheit über die eigene Zukunft sei oft eine kaum tragbare Belastung. In diesem Zusammenhang kritisierte Jaeger auch die oft monatelange Abschiebehaft in Deutschland."

    ( Renate Jaeger, Exverfassungsrichterin, http://taz.de/1/politik/deutschland/artikel/1/der-blick-ist-versperrt/ )

     

    Da hat eines noch gefehlt. Ausgerechnet, konsequent, eine schnelle Verurteilung. Als ob ein Ausländer die Zeit zu fürchten hätte!

    Diese "Meinung" ist aber kein praktizierter Zynismus! Das ist Empathie (Einfühlungsvermögen), aus juristischer Sicht. Es ist das Recht von Ausländern schnell beurteilt zu werden, weil der Gesetzgeber und seine Organe es so wollen.

     

    Diese rechtliche "Behandlung" von Menschen ist auch keine Willkür, sondern die Konsequenz des rechtlich vollzogenen, aufgeherrschten Status dieser Individuen. Über das Recht definiert die Staatsgewalt ihre Ansprüche an die Menschheit.

    Die staatliche Sonderhandlung dieser Menschen gilt nicht als Rassismus oder Ausländerfeindlichkeit. Vollstreckt wird dieser, indem diese Menschen einem Vergleich mit den staatlichen Anforderungen ausgesetzt werden. Asyl heißt eben nicht Hilfe für Menschen in Not, sondern umgekehrt wird die Entsprechung der Hilfesuchenden an die staatlichen Rechts-Bedingungen ermittelt.

    Bis der Staat diese Prüfung seines Interesses an den Asylsuchenden abgeschlossen hat, befindet sich ein Mensch faktisch in Abschiebehaft. Deswegen werden für die Dauer dieses Verfahrens sowohl dessen Freizügigkeit, Versorgung und Arbeitserlaubnis entsprechend angepasst.

    ( www.fluechtlingsinfo-berlin.de/fr/pdf/Arbeitserlaubnisantrag.pdf )

     

    Recht ist die Methode von Herrschaft, in Form der Erlaubnis formuliert, mitzuteilen was Herrschaften sich selbst an Gewaltanwendung an Menschen erlauben wollen und wie diese Menschen sich zu verhalten haben, um als national nützlich zu gelten.

    Und das gilt für Aus- und Inländer. Das jeweilige Maß der rechtlichen Stellung des Einzelfalls, richtet sich vollständig nach den jeweiligen, aktuellen Interessen des Staates. Mal definiert der Rechtsstaat ein Mofa als passendes Begrüßungsgeld, mal 100 Mark, oder auch die Abschiebehaft.

     

    Die nach innen und außen organisierte Konkurrenz der in Nationalstaaten aufgeteilten Welt, kommt ohne Gewalt nicht aus. Das Recht definiert und legitimiert diese Gewaltanwendung.

     

    Man könnte natürlich auch die politisch initiierte Konkurrenz, nach innen wie nach außen, beseitigen. Aber wer will das schon, außer den linken Spinnern...

     

    Bitte lesen Sie auch zu diesem Thema:

    http://taz.de/1/politik/deutschland/artikel/1/der-blick-ist-versperrt/

     

    Bitte vergleichen Sie die an den "Auslaendern" hergestellte Lebensrealtiaet mit ihrer theoretischen Abhandlung hier auf taz.de im Artikel von Norbert Bolz "Linke Lebenslügen".

    http://www.taz.de/1/politik/deutschland/artikel/1/linke-lebensluegen/