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Flucht vor der Kälte

■ 100 Polizisten räumen sieben Besetzer

Was die Besetzer am Mittwoch morgen in fünf Minuten schafften, dauerte bei der Polizei am Abend über zwei Stunden. Als die rund 100 Beamten dann endlich die hölzerne Tür des denkmalgeschützten Hauses in der Johannisstraße 8 aufgebrochen hatten, schauten ihnen bloß sieben fröstelnde Obdachlose entgegen. Einige von ihnen haben Erfahrung im Umgang mit Öffentlichkeit.

Das vierstöckige Haus im Bezirk Mitte wurde nicht zum ersten Mal besetzt. Bereits im Februar 1992 räumte die Polizei nach wenigen Wochen einige Wohnungssuchende, die sich dort einquartiert hatten. Nach Ansicht der Geräumten hatte die Treuhand, die das seit 1989 leerstehende Haus verwaltete, mit der Begründung auf Räumung gedrängt, Verhandlungen mit einem Erwerber stünden kurz vor dem Abschluß. Die Treuhand sieht das anders: Das Haus sei einsturzgefährdet gewesen.

Zu einem Kaufabschluß ist es bis Sommer 1993 nicht gekommen. Statt dessen verfiel das Haus zusehends. Nach Angaben der Obdachlosen sorgt irgend jemand dafür, daß regelmäßig Dachluken und Fenster offen stehen. In einem Zimmer wurden Dielen herausgerissen, die Schornsteine sind abgetragen. Bis heute hat kein Handwerker das Gebäude betreten.

Im Bezirk Mitte steht nicht nur die Johannisstraße Nummer 8 leer. „3.500 Wohnungen, rund acht Prozent des Gesamtbestandes, werden zur Zeit nicht vermietet“, berichtet Rainer Pinnau, Wohnungsamtsleiter des Bezirks. Statt die Obdachlosen übergangsweise in einigen der Wohnungen unterzubringen, mietet der Bezirk Mitte für sie jeden Monat enge, stickige Pensionszimmer für 40 bis 50 Mark am Tag. Das kostet den Bezirk 120.000 Mark im Monat.

In Friedrichshain hat die Bezirksverordnetenversammlung auf die prekäre Lage Obdachloser in der kalten Jahreszeit reagiert. Für die Wintermonate hat sie ein Räumungsmoratorium für alle ausgesprochen, die ihre Miete nicht bezahlt haben oder in besetzten Häusern wohnen. Doch Bürgermeister Mendiburu (SPD) ist mit dem Beschluß nicht glücklich. „Wenn die Eigentümer der besetzten Häuser plötzlich sanieren wollen, weiß ich nicht, wie wir diesen Beschluß durchsetzen wollen.“ nik

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