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Flucht aus SimbabweEin afrikanischer Grenzfall

In Musina, dem Grenzort in Südafrika, überwinden jeden Tag Simbabwer illegal die Grenze. In ihrer Heimat kollabiert die Wirtschaft, es fehlt am Nötigsten.

Ein Mann aus Simbabwe sucht ein besseres Leben in Südafrika Bild: dpa

Musina taz Ein Mann im grauen Jackett sprintet die Böschung hinauf. Oben auf der Brücke steht schon sein Begleiter; nur wenige Meter noch, und die beiden sind wieder in Simbabwe. Unten, einen Steinwurf von der Grenze entfernt, tauchen im Laufschritt zwei südafrikanische Soldaten auf. Sie rufen, einer rennt den beiden nach, der andere bleibt stehen, er lacht und winkt ab: "Was kann ich schon machen?" Schließlich klettert er doch hinterher auf die mächtige Brücke, aber die beiden Männer sind längst weg. Was sollten sie anderes tun als umzukehren? Ihre illegale Einreise war bemerkt worden, hier am Grenzübergang Beitbridge über den Fluss Limpopo.

Treffen in Lusaka

Der Gipfel: In der sambischen Hauptstadt Lusaka hat am Donnerstag das 27. Gipfeltreffen der Entwicklungsgemeinschaft südliches Afrika (SADC) begonnen. Die Gruppe, der 14 Staaten angehören, tagt noch am Freitag.

Das Problem: Wichtigstes Thema ist die Lage in Simbabwe. Die Inflationsrate dort liegt bei 5.000 Prozent, die Arbeitslosigkeit beträgt 80 Prozent, vier von fünf Simbabwern leben unterhalb der Armutsgrenze, drei Millionen der ursprünglich 15 Millionen sind auf der Flucht.

Der Tag: Am ersten Konferenztag hat die simbabwische Führung Forderungen nach einer Demokratisierung eine klare Absage erteilt. Das Land sei eine Demokratie wie jede andere. Gleich zu Beginn hatte Simbabwes Präsident Robert Mugabe den lautesten Applaus bekommen. Später saß er neben seinem südafrikanischen Kollegen Thabo Mbeki, der zwischen Regierung und Opposition des heruntergewirtschafteten Nachbarlandes vermitteln soll.

"Jeden Tag kommen die rüber", sagt Donald Lenmauluma. Der Südafrikaner steht an dem Grenzzaun, der unterhalb der Brücke am Flussufer verläuft. "Und die Schlepper liegen da drüben", sagt er und deutet auf das dichte Gebüsch auf simbabwischer Seite. Dann greift er zur Zange und macht sich daran, ein aufgeschnittenes Loch im Zaun zu flicken. Mit geübten Handbewegungen bindet er ein Stück Draht um die klaffenden Maschen und zieht sie zusammen. Der 44-Jährige arbeitet hier am Grenzzaun für die Firma New Heights, routiniert bewegt er sich auf dem Geröll zwischen den beiden etwa zwei Meter hohen Drahtmauern auf und ab. In der Mitte glänzt eine aufgetürmte Stacheldrahtrolle im Sonnenlicht, wie ein Wurm liegt sie da, manchmal am Boden, teilweise hinaufgezogen zur Zaunkrone.

Während der Apartheidzeit war der Draht mit einer tödlichen Dosis Strom geladen, heute fließen hier nur wenige Volt. Aber auch stärkerer Strom würde die Simbabwer nicht abhalten, aus ihrem Land zu flüchten. Die wirtschaftliche und politische Krise im Land ist so groß, dass manche Menschen trotz der Krokodile durch den Limpopo schwimmen und inzwischen sogar bei Tageslicht durch die unzähligen Löcher im Zaun schlüpfen oder darunter hindurchkriechen. Manchmal sieht Lenmauluma auch Kinder, er hebt einen kleinen Schuh auf, der am Boden liegt. Regelrechte Trampelpfade haben sich im Sand gebildet.

Manche Simbabwer kommen illegal nach Musina, um nur ein paar Lebensmittel für ihre hungernde Familie zu kaufen. Tausende aber ziehen weiter, hinein nach Südafrika, in der Hoffnung auf Nahrung, Arbeit, ein gewisses Maß an Sicherheit. "Wir nennen diesen Weg hier die N 1", sagt Donald Lenmauluma und grinst. Die N 1 ist eine viel befahrene Straße, die den kleinen südafrikanischen Grenzort Musina mit den Großstädten Pretoria und Johannesburg verbindet.

Entlang des Zauns führt eine geteerte schmale Straße, gebaut für die Farmer von Musina und für die Grenzsoldaten. Militär ist aber selten zu sehen, der südafrikanische Staat hat New Heights beauftragt, deren Angestellte die Strecke im Schritttempo abfahren. Der Boss der Firma kommt angebraust, viel sagen möchte er nicht. Ja, die Löcher seien gut für sein Geschäft, aber sie seien inzwischen ein Problem für ganz Südafrika. "Unsere Männer kommen nicht hinterher mit dem Flicken", schimpft er, "die müssen erst da drüben alles ändern, dann wird hier das Chaos nachlassen." Aber längst haben sich Geschäftemacher die Situation zunutze gemacht. Auf beiden Seiten der Grenze sind kleine Märkte entstanden, sogar Kühe werden inzwischen durch seichte Stellen im Limpopo geschickt - in Südafrika bekommen die Bauern für ein Tier zehn Mal so viel wie in Simbabwe. Deshalb patrouillieren auch Mitarbeiter des Veterinäramtes an der Grenze und beschlagnahmen manchmal Vieh, die Angst vor Maul- und Klauenseuche ist groß. Auf einer riesigen Feuerstelle am Zaun werden die Tiere verbrannt.

Ein Stück weiter wiederum ist der Zaun kaum vorhanden, das Flussbett ist fast ausgetrocknet. Hier gibt es ein Armeelager. Die Stelle ist beliebt bei Schmugglern, denn Soldaten drücken gern ein Auge zu.

In Musina selbst profitieren die Händler von den vielen Simbabwern, die über Beitbridge legal nach Südafrika einreisen. Sie kaufen hier ein, um daheim überleben zu können. Im Spar-Supermarkt wirkt sich die Krise des Nachbarlandes positiv aus. "Wir haben allein in den vergangenen Wochen fünfzig Prozent mehr Umsatz gemacht", sagt Geschäftsführer Pieter Koekemoer. "Das liegt daran, dass immer mehr Simbabwer kommen. Manchmal kriegen wir sogar Aufträge, Kisten zu packen." Diese Kunden laden ihre Autos mit Waren voll - von der H-Milch bis zur Hautlotion - und verkaufen sie in Simbabwe auf dem Schwarzmarkt weiter. "Neulich war ein weißes Ehepaar hier, das endlich mal wieder ein ordentliches Stück Fleisch grillen wollte", erzählt Koekemoer.

Es kaufen auch die Ärmeren, die sich gemeinsam ein Taxi mieten und die Waren über die Limpopobrücke zurückfahren lassen. Seit August hat Simbabwe die Einfuhrmengen zwar begrenzt, aber es findet sich immer ein Weg, Produkte auf Verwandte und Bekannte bei der Einreise ins Heimatland zu verteilen.

Und dann sind da die illegalen Einwanderer. Sie kaufen bei Spar nur das Notwendigste und verschwinden direkt weiter per Anhalter Richtung Johannesburg. Oder sie finden Arbeit auf einer der umliegenden Farmen. Im Rahmen eines Kooperationsvertrages dürfen Südafrikas Farmer Simbabwer für die Saison zur Ernte einstellen. "Und sie sind harte Arbeiter", sagt Farmer Hannes Nel, der eine 8.000 Hektar große Orangen- und Wildtierfarm hat. Neun von zehn seiner Angestellten kommen aus Simbabwe zu ihm.

Abraham Luruli hat damit ein Problem. "Sie werden schlechter bezahlt als Südafrikaner und nehmen uns auch noch die Arbeit weg", sagt der Gemeindevorsteher von Musina. "Und mithilfe unserer vielen korrupten Beamten kaufen sie sich dann einen südafrikanischen Pass, der ihnen das Recht auf billige Wohnungen und Sozialhilfe gibt." Trotzdem habe sich nichts an der Politik Südafrikas gegenüber Simbabwe bisher geändert, klagt Luruli, niemand unternehme etwas angesichts dieser Krise. Die Zahl der Flüchtlinge habe sich in den letzten Wochen verdoppelt, sagt er. Das könne jeder hier sehen, obwohl die Polizei Zahlen nicht herausgibt und den ansteigenden Zustrom von Einwanderern in den vergangenen Wochen bestreitet.

Laut den Behörden ist die 1.600 Kilometer lange Grenze sowieso nicht lückenlos zu überwachen; angeblich kommen täglich Hunderte illegal über die Grenze. Sie werden festgenommen und sofort wieder zurückgeschickt - ständig fahren Polizeitransporter voller Illegaler zurück nach Simbabwe. Ein teurer Kreislauf, der kein Ende nimmt.

Für die Bürger von Musina sind die Simbabwer, die auf den unterschiedlichsten Wegen kommen, längst Normalität. Sie haben eher Mitleid mit ihren Nachbarn. Seit jeher gibt es gute Beziehungen, denn simbabwische Verwandte leben auf beiden Seiten der Grenzen. Jetzt, mit dem Zustrom aus dem Norden, läuft hier das Geschäft. Nur hin und wieder wurde in Geschäfte oder Farmen eingebrochen, mancher verärgerte Landwirt hat dann das Gesetz in die eigenen Hände genommen - es wird von misshandelten Simbabwern berichtet.

Auf der Grenzbrücke, hoch über den Krokodilen des Limpopo, hat John Tsoro eine Plastiktasche voller Seife, Öl und Zucker geschultert, an seinem Arm hängt noch eine vollgestopfte Aktentasche. Er hat den südafrikanischen Kontrollposten hinter sich und geht schnellen Schrittes durchs Niemandsland in Richtung Simbabwe. "Ich habe keinen Pass und kann daher kein Visum beantragen", erzählt der alte Mann. Aber er hat einen "Border Pass", der wird für einen Tag ausgestellt, sodass Tsoro in Musina Einkäufe erledigen kann.

John ist traditioneller Musiker in seinem Dorf bei Mutare. Dort lebt seine Familie, seine sechs Kinder. Er hat eine Million Simbabwedollar, etwa vier Euro, bezahlt, um den weiten Weg über die Grenze und zurück machen zu können. "Ich mache alle Jobs, die sich anbieten", sagt er freundlich. Auf der Brücke hasten Leute geschäftig vorbei, jeder kennt die Situation der Grenzgänger - sie gehört zum Alltag. John unterstützt in seiner Heimat Simbabwe die Oppositionsbewegung für demokratischen Wandel, schon oft musste er vor der Geheimpolizei von Präsident Robert Mugabe fliehen. "Es ist gefährlich, darüber zu reden", sagt er, "aber unser Volk leidet." Dann entschwindet er, immer noch lächelnd, in sein Land.

Dort, in Beitbridge, herrscht blanker Mangel: Die Regale in den Geschäften sind leer, die Läden sehen heruntergekommen aus, das Personal steht nutzlos herum. Staub fegt durch die unbefestigten Wege und Schlaglöcher der Stadt. Die Armut ist unübersehbar, die Gebäude verfallen, Farbe blättert ab. An der alten Tankstelle ist das Benzin aus, es wird aus Musina kanisterweise geholt, damit wenigstens ein paar Autos fahren können. Taxifahrer Clinton Nyandoro hat gerade genug im Tank, um heute über die Runden zu kommen. "Wir haben nichts, es fehlt Brot", sagt der junge Mann. Auch er besitzt keinen Pass, deshalb muss er Freunde und Verwandte über die Grenze nach Südafrika schicken, um für ihn mitzusorgen.

Wer als Simbabwer keinen Ausweis hat, muss allerdings illegal nach Musina kommen. Oder mit einem Tagespass. Ein Visum kriegt nur, wer ein Einladungsschreiben von "Freunden" aus Südafrika vorlegt, in der Wechselstube einen Reisescheck für 2.000 Rand (200 Euro) kauft, anschließend einen Antrag zur südafrikanischen Botschaft in Harare schickt. Zu Hause muss er dann auf den entscheidenden Stempel und die offizielle Einreiseerlaubnis warten. 200 Simbabwer kommen jede Woche zur Wechselstube in Musina, nur die Hälfte aller Anträge geht durch. Kein Wunder, dass viele lieber mit einem "kleinen Geschenk" die Grenzbeamten zufriedenstellen.

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