GASTKOMMENTAR: Flexible europäische Architektur
■ Der erfolgte EG/EFTA-Abschluß gibt der politischen Union neue Schubkraft
Mit dem heute beschlossenen europäischen Wirtschaftsraum (EWR) sind wichtige politische Signale für die künftige europäische Zusammenarbeit gesetzt. Der EWR leistet einen wichtigen Beitrag für die Architektur des Europäischen Hauses, weil er den besonderen Interessen und Bedürfnissen durch besondere Formen und Verfahren antwortet, ohne die Umsetzung der Binnenmarktfreiheiten in Frage zu stellen. Besonders in Ost- und Mitteleuropa gilt die Mitgliedschaft in der EG immer noch als Krönung aller Westorientierung.
Doch gerade für diese Länder hätte ein Beitritt große Nachteile, denn in noch schonungsloserer Weise als bei den neuen deutschen Bundesländern würden sie die Regeln des Marktes mit Massenarbeitslosigkeit, Ausbeutung, Verzweiflung der Bevölkerung und sich verstärkenden Nationalismen bezahlen. Außerdem können die mittel- und osteuropäischen Länder auch nicht auf eine reiche Schwester — wie im Falle etwa des DDR-Anschlusses — zählen.
Der erfolgreiche Abschluß der EG/EFTA-Verhandlungen jedenfalls vertreibt ein Gespenst — das des künftigen Gegensatzes zwischen der Vertiefung der europäischen Integration und der Erweiterung der EG. Die Fortentwicklung der europäischen Ingetration ändert nämlich nichts an dem vertraglich festgelegten offenen Charakter der EG. Alle europäischen Demokratien können EG-Mitglied werden. Sie müssen sich nur entscheiden, ob sie sich dem Wettbewerbsdruck der EG-Länder oder aus den EG-Ländern stellen wollen und können. Die Verhandlungen über den EWR und die mit der Fischfangquote, dem Transit-Verkehr und dem Kohäsionsfonds für die Strukturschwachen EG- Mitgliedsstaaten getroffenen Regelungen verraten, welche schwierigen Entscheidungen zu treffen sind. Daher müssen unterschiedliche Angebote der EG für unterschiedlich enge und offene Wege und Formen positiv gesehen werden. Sie sind nicht Wartezimmer für den Beitritt. Sie diskriminieren nicht. Das gilt sowohl für den EWR wie auch für die neuen Assoziierungsabkommen mit Mittel- und Osteuropa. Mit ihnen soll der Beitritt der Länder, die zu Europa gehören, vorbereitet werden. Okkupationsstrategien der mittel- und osteuropäischen Märkte sollen vermieden, eigenständige Wege im Interesse einer wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung ermöglicht werden.
Mit den EFTA-Staaten entsteht jetzt eine Freihandelszone und eine Zone der engen Zusammenarbeit. Sie kann auch den mittel- und osteuropäischen Staaten offenstehen, die heute für Freihandelszonen oder Zollunionen noch nicht vorbereitet sind. Mit EG, EFTA und den mittel- und osteuropäischen Staaten kann auch eine Aufgabenkonföderation in Bereichen von gemeinsamen Interesse entstehen, zum Beispiel in der Umwelt-, Energie- oder der Wissenschaftspolitik. Heute steht nicht mehr die de Gaullsche Vision eines Europa von Portugal bis zum Ural zur Disposition.
Heute geht es darum, konkrete Utopien für erwartungsvolle Menschen in Europa zu formulieren. Dabei sind Leerformeln weniger nützlich als konkrete, differenzierbare Konturen einer europäischen Architektur. Die schwierigen Auseinandersetzungen zwischen den Mitgliedsstaaten der Europäischen Gemeinschaft und der Mangel an wirtschaftlicher und sozialer Kohäsion in der EG verraten die Sprengkraft eines Gesamteuropa, in dem das Fundament weder durch eine europäische Finanz- noch Strukturpolitik gegossen werden kann.
Die Verhandlungen über den europäischen Wirtschaftsraum haben einen zentralen Mangel: Die enge Zusammenarbeit zwischen der EG und EFTA wie auch mit den mittel- und osteuropäischen Staaten beschränkt sich überwiegend auf die Exekutive. Nur unvollkommen verdecken die vorgeschlagenen parlamentarischen Gremien das demokratische Defizit, die Machtfülle von Rat und Kommission. Jetzt können politische Union und Währungsunion realisiert werden, unbelastet von Verhandlungen über die Beziehungen zu europäischen Drittstaaten. Dies bedeutet auch eine neue und bedeutende Schubkraft für die anstehende Regierungskonferenz in Maastricht. Christa Randzio-Plath
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