Fledermaus-Ärztin Renate Keil: „Sie lecken herauslaufendes Blut“
Die hannoversche Ärztin Renate Keil pflegt verletzte Tiere, die ihr gebracht werden, nicht nur gesund. Sie bringt ihnen auch das Fliegen bei, wenn nötig.
taz: Frau Keil, finden Sie Fledermäuse ästhetisch?
Renate Keil: Natürlich!
Aber sie haben keine schönen Gesichter.
Doch! Sie denken jetzt vielleicht an die Hufeisen-Nase. Die ist etwas verkrumpelt und wirklich nicht sehr attraktiv. Aber die anderen Fledermäuse haben Gesichter wie kleine Mäuse oder Waschbären. Außerdem sind diese Tiere sehr sympathisch.
Inwiefern?
Wenn man sie pflegt, werden sie schnell zutraulich. Sie sind sehr intelligent und merken meist nach wenigen Minuten, dass man ihnen helfen will: Sie zappeln nicht und lassen auch unangenehme Untersuchungen und Behandlungen über sich ergehen, ohne sich zu wehren. Und wenn sie ihren Pfleger besser kennen, lassen sie sich kraulen und brummen wohlig dabei.
Welche „unangenehme Behandlungen“ stehen denn an?
Für ein Wildtier ist es schon mal grundsätzlich unangenehm, wenn es gegriffen wird. Wenn man dann die Flügel noch auseinanderzieht oder sie so festhält, dass man Milben und Zecken entfernen kann, ist das für die Fledermaus ein ziemlicher Stress. Aber wenn man mit ihnen spricht und sie streichelt, entspannen sie sich meist schnell.
65, betreibt seit 22 Jahren eine Praxis für Reptilien und Amphibien. Seit drei Jahren arbeitet sie zudem ehrenamtlich als Fledermaus-Ärztin im Fledermauszentrum des Bundes für Umwelt- und Naturschutz (BUND), das offiziell im Mai 2012 eröffnet wurde und das derzeit in einem Bunker entsteht. Dort sollen neben großen Volieren auch Büros, eine Bibliothek und Seminarräume für Lehrerfortbildungen entstehen.
Info unter region-hannover.bund.net
Welche Krankheiten haben Fledermäuse?
Viele haben Wunden, die aus Baumfällungen stammen. Denn obwohl es verboten ist, Bäume zu fällen, in denen die – gesetzlich geschützten – Fledermäuse wohnen, wird das vor Beginn der Sägearbeiten oft nicht geprüft. Die Splitter dringen dann wie Geschosse in die weichen Körper der Tiere. Privatleute finden sie dann und bringen sie mir. Da sind oft Nasen, Ohren, Flughäute oder Gelenke durchbohrt, die sich dann entzünden. Da muss ich manchmal lange behandeln.
Wo finden die Leute die Fledermäuse?
Grundsätzlich gilt: Jede Fledermaus, die tagsüber sichtbar irgendwo hängt, braucht Hilfe. Denn tags hat sie normalerweise in ihrem Versteck zu sitzen. Aber wenn sie an einer Hauswand hängt, auf der Erde liegt oder in der Wohnung herumfliegt, stimmt etwas nicht.
In der Wohnung?
Wenn kleine Fledermäuse flügge werden und sich noch nicht orientieren können, fliegen sie schon mal in geöffnete Kippfenster. Dann finden sie den Ausgang nicht mehr und schreien.
Wie klingt das?
Menschen hören es meist nicht, aber die anderen Fledermäuse. Und dann kommen oft ganze Invasionen von Fledermäusen und finden nicht mehr raus. Dann bekommen wir Panik-Anrufe wie: „Bei uns fliegen 40 Fledermäuse um die Lampe!“ Dann fahren wir oder der Tierrettungsdienst der Feuerwehr hin und holen die Tiere raus.
Können sich Fledermäuse auch die Flügel brechen?
Ja, ich behandle oft Brüche von Ober- oder Unterarmen, Fingern oder Beinen.
Wie entstehen diese Verletzungen?
Das kann passieren, wenn eine junge Zwergfledermaus – sie wiegt so viel wie ein Stück Würfelzucker – unter einem Türspalt sitzt und man versehentlich die Tür aufmacht. Auch bei Gebäudesanierungen werden Fledermäuse oft verletzt. Vor einem Jahr bekam ich auf einen Schlag 198 Fledermäuse aus einer Dachsanierung. Sie hatten zum Teil sehr schwere Verletzungen.
Geben Sie ihnen Schmerzmittel?
Natürlich. Auch die Behandlungen werden unter Narkose durchgeführt – wie bei jedem anderen Tier auch.
Wie reparieren Sie die feinen Knochen?
Ich versuche sie zu nageln, aber es klappt nicht immer, weil sie bei den kleinen Fledermäusen so dünn sind. Manchmal ist auch so viel zerstört, dass sie nicht mehr ausgewildert werden können. Diese Tiere bleiben dann dauerhaft in einer Voliere unseres gerade entstehenden Fledermauszentrums.
Ziehen Sie auch Jungtiere auf?
Ja, zwangsläufig. Denn wenn ich im Winter verletzte Weibchen bekomme, werden die Jungen oft vorzeitig geboren, weil wir d ie Weibchen durch unsere Behandlung ja aus dem Winterschlaf reißen. Im Winter fliegen aber noch keine Insekten, sodass wir die Tiere nicht auswildern können. Außerdem sind die Jungen kranker Weibchen oft schwach und müssen erst trainiert werden.
Trainiert?
Sie müssen fliegen lernen, und die kranken Mütter können es ihnen nicht zeigen. Deshalb habe ich mein Wartezimmer ausgeräumt und für Flugübungen zur Verfügung gestellt.
Wie laufen die ab?
Ich halte die Tiere in der Hand hoch, bis sie aufgewärmt sind – weil die nachtaktiven Tiere die Körpertemperatur für die Tageslethargie stark herunterfahren. Wenn sie auf „Betriebstemperatur“ sind, wippe ich mit der Hand und animiere sie, die Flügel auszubreiten und loszufliegen. Das machen sie meist nach kurzer Zeit. Dann sammle ich sie wieder auf und wiederhole das Ganze. Später klatsche ich in die Hände, damit sie nicht zu früh landen und noch eine Runde fliegen. Sie müssen ja Kondition bekommen.
Wie geschickt stellen sich die Tiere dabei an?
Am Anfang nicht sehr. Sie müssen erst lernen, Dingen oder Menschen auszuweichen. Wenn sie dann geschickt genug sind und vom Boden hochkommen, damit nicht jede Katze sie fängt, sind sie fit für die Auswilderung.
Erleichtert ihnen ihr Ultraschall-Echolot die Navigation?
Anfangs noch nicht ausreichend. Denn alles muss ja geübt werden. Auch ein kleiner Mensch kann nicht sofort laufen.
Woher wissen Sie das alles? Sind Sie gelernte Fledermaus-Ärztin?
Nein. Ich habe eigentlich eine Praxis für Reptilien und Amphibien. Vor einigen Jahren ist mir eine schwer kranke Fledermaus in die Praxis geflattert. Da habe ich mich zum ersten Mal mit diesen Tieren befasst und eine sehr intensive Beziehung zu dieser Maus bekommen.
Hat sie Sie erkannt?
Ja. Sie ist bei ihren Flugübungen nur bei mir gelandet, bei keinem sonst. Ich habe sie fünf Monate gepflegt und dann bei uns im Garten ausgewildert. Drei Wochen lang wollte sie nicht weg, ist im Kasten sitzen geblieben und hat gewartet, bis ich kam, um sie zu füttern. Später hat sie mich noch monatelang jeden Abend besucht.
Wo wildern Sie die Fledermäuse aus, die Ihnen ins Fledermauszentrum gebracht werden?
Wir notieren die Adresse des Fundorts und bringen sie genau dort wieder hin. Das können schon mal 60 Kilometer sein.
Muss das sein?
Ja, denn Fledermäuse sind sehr sozial. Sie haben ihre Kolonie und sind darauf angewiesen, in diesem Verband zu leben. Wenn wir sie woandershin brächten, würden sie versuchen, ihr Quartier wiederzufinden. Das würden sie über sehr weite Entfernungen nicht ohne Weiteres finden.
Warum nicht?
Weil viele von ihnen keinen großen Aktionsradius haben. Die kleinen Bartfledermäuse beispielsweise fliegen durch ihren eigenen Garten und auch noch durch die drei Nachbargärten, und das war‘s. Sie sind relativ häuslich.
Gibt es auch normale Freundschaften zwischen Fledermäusen?
Ja, das beobachten wir sehr oft. Diese Tiere hängen stets nebeneinander, und wenn irgendwann eins ausgewildert wird, zeigt das andere tiefe Trauer: Es sucht den Freund und frisst schlechter. Wir vermeiden deshalb möglichst, solche Tiere zu trennen: Wenn das eine zur Behandlung muss, kommt das andere zur Gesellschaft mit.
Zum Schluss die Vampir-Frage: Gibt es gefährliche, Blut leckende Fledermäuse?
In Südamerika existieren drei Blut leckende Arten. Für den Menschen gefährlich sind sie aber nur, wenn sie Tollwut übertragen. Ansonsten machen sie einen kleinen Biss und lecken das herauslaufende Blut. Das funktioniert deshalb, weil ihr Speichel ein gerinnungshemmendes Mittel enthält. Und bei Hühnern, Schweinen und Rindern genügt ein Biss, damit zwei bis drei kleine Fledermäuse satt werden. Das sind völlig harmlose kleine Tiere.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin