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Flaute bei den schwedischen PiratenStreit vor den Wahlen

Im September wird der schwedische Reichstag neu gewählt. Nach den derzeitigen Umfragen würde die Piratenpartei noch nicht einmal die Sperrklausel schaffen.

Der Berufungsprozess gegen die PirateBay-Macher findet erst nach der Wahl statt. Bild: reuters

STOCKHOLM taz | Zweitstärkste Partei im schwedischen Reichstag. Das würde nach einer kürzlich veröffentlichten Meinungsumfrage die Piratenpartei werden. Aber nur, wenn ausschliesslich 15-jährige wahlberechtigt wären. Ansonsten liegt die "Mutter" aller Piratenparteien, die 2006 gegründete "Piratpartiet" fünf Monate vor den Wahlen am 19. September deutlich unter der parlamentarischen Sperrklausel. Und wenig spricht im Moment dafür, dass sie ihren sensationallen Wahlerfolg vom vergangenen Jahr wiederholen könnte. Damals bekam sie bei den Europawahlen 7,1 Prozent und ist nun mit zwei Abgeordneten im EU-Parlament vertreten.

Vor einem Jahr hatte man mit der Debatte um Vorratsdatenspeicherung, einem Gesetz zur Überwachung der Email- und Handykommunikation und einem zur Registrierung der Internetverbindungsdaten, sowie dem Urteil gegen die Filesharing-Seite piratebay.org allerdings auch jede Menge Themen, welche vor allem junge WählerInnen zur Piratenpartei lockten. Derzeit herrscht bei diesen "Piratenthemen" in Schweden auf politischem, rechtlichen und juristischen Gebiet eine vorübergehende Flaute.

Die Regierung hütet sich, vor den Wahlen ein Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung vorzulegen und hat sich deshalb lieber mit der EU-Kommission angelegt und sich eine Niederlage beim EU-Gerichtshof eingehandelt. Das vor einem Jahr in Kraft getretene Gesetz zur Registrierung der Internet-Verbindungsdaten bei den Providern hat bislang zu keiner einzigen rechtskräftigen Verurteilung wegen illegalem Download von urheberrechtlich geschütztem Material geführt.

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Die Musik- und Filmbranche beklagt sich, das Gesetz habe in seiner jetzigen Form zu hohe Beweishürden aufgestellt und sei deshalb wirkungslos – Stockholm ist auf diesem Ohr jedenfalls bis zur Wahl taub. Und die Justiz hilft auch noch mit, dass der Piratenpartei kein stärkerer Wind in die Segel weht: Das Berufungsverfahren gegen die Piratebay-Macher, dass zunächst für den Frühsommer terminiert war, soll jetzt erst eine Woche nach der Wahl beginnen.

Derzeit hält die Piratenpartei ihren Parteitag ab. Er geht noch bis zum 25. April. Die Debatten und Abstimmungen finden über das Internet-Forum der Partei statt. Ein nicht unumstrittenes Verfahren. Bei der Aufstellung der KandidatInnenliste für die Reichstagswahl hat es bereits Vorwürfe von Wahlmanipulation gegeben. Und es gibt auch Streit, ob man überhaupt zu diesen Wahlen antreten sollte.

Auch ein neuer Parteivorstand soll gewählt werden. Weil das jetztige Vorstandsmitglied Christian Engström, der gleichzeitig EU-Parlamentarier ist, von der Wahlkommission dafür nicht einmal auf die Vorschlagsliste gesetzt wurde, hat er einen Privatkredit für die Partei über 50.000 Euro erst einmal blockiert. Die unmittelbare Folge: Die Parteikanzlei musste einen Halbtagsdienst streichen. "Ich habe so meine Probleme an eine Parteiführung Geld zu verleihen, deren Zusammensetzung ich noch gar nicht kenne", begründet Engström gegenüber der Tageszeitung Svenska Dagbladet diesen Schritt.

Dass die "Piratpartiet" gleichzeitig binnen eines Jahres ein Viertel ihrer MitgliederInnen verloren hat, hält Engström für ein "technisches" Problem, über das die Partei sich nicht sonderlich zu beunruhigen brauche. Die Parteimitgliedschaft gilt jeweils für ein Jahr. Danach muss man aktiv werden und sich neu registrieren. Während des "Piratebay"-Prozesses im Frühjahr 2009 war die MitgliederInnenanzahl der Partei um mehrere Zehntausend auf über 50.000 gestiegen und man wurde insoweit hinter Sozialdemokraten und Konservativen drittstärkste Partei. Viele dieser MitgliederInnen haben ihre Mitgliedschaft nicht erneuert. Die Piratenpartei hat derzeit noch 37.000 MitgliederInnen – Tendenz weiter fallend. "Es wird sich wohl bei 25.000 bis 30.000 einpendeln", hofft Engström.

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3 Kommentare

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  • A
    aloa5

    Hallo Redaktion,

     

    vieleicht erbarmt sich jemand von Euch und macht aus Rechstag den Reichstag. :)

     

    Grüße

    ALOA

  • M
    max

    Liber Herr Wolf, die Sache mit den "MitgliederInnen" ist hoffentlich nicht ernst gemeint, oder?

    Immerhin sind neutrale Substantive wie "das Mitglied" bekanntermaßen die Peinlichkeitsfalle für alle VerwenderInnen von "Binnen-Is".

  • B
    Benjamin

    Ich würde euch schon Geld für gute Artikel spenden.

     

    Wollte deshalb fragen, ob ihr nicht die Zahlung per Paypal (oder ähnlichem) ermöglichen könntet, um nicht völlig auf die Nase zu fallen und dann zu behaupten, dass im Internet niemand dazu bereit ist Geld für recherchierte Artikel auszugeben.