Flaschensammler bei der EM: Los jetzt, her mit der Pulle!
Am Rande der EM tummeln sich Menschen, die von Flaschenpfand leben. Gerade bei Fußballspielen fällt viel an.
I osif ist gerade vertieft in eine Diskussion mit Polizeibeamten, die sein Redebedürfnis aber an sich abprallen lassen. Sie schauen unbeteiligt. Möge sich der Typ doch endlich verzipfen. Was er dann auch tut. Iosif hat viele Beutel dabei. Sie sind randvoll gefüllt mit Flaschen. Plastikflaschen. 25 Cent das Stück bringen die, wenn man sie einlöst im Supermarkt an diesen Automaten. Glasflaschen sammelt Iosif nicht. Bringen zu wenig. Und so hat er auch kein Verständnis für meine Frage, ob die randvoll mit Bierflaschen gefüllten Einkaufswägen, die da am Baum stehen, auch ihm gehören. Nein, tun sie nicht, der Eigner ist verschwunden.
Wahrscheinlich stromert er gerade wieder irgendwo herum, um die wertvollen Dinger aufzutreiben, Flaschen, Dosen, die von unzähligen Fans am Stuttgarter Stadion hinterlassen werden. Gleich hinter der S-Bahn-Station Neckarpark haben die Flaschensammler ihre Einkaufskörbe deponiert. Da kann man die Pullen ganz praktisch und ohne Umwege entsorgen. Es ist warm geworden. Die Anhänger Deutschlands und Ungarns haben sich mit etlichen Bierchen gleichsam auf Betriebstemperatur gebracht; die Bedachten trinken Mineralwasser. Die Flaschen stehen überall herum, sie müssen nur verfrachtet werden.
Ich hatte Iosif zu Anfang unseres kleinen Gesprächs gefragt, ob er Deutsch spricht, was von mir auch ein bisschen ungeschickt war, denn natürlich spricht Iosif deutsch. Er ist schließlich seit Jahrzehnten in Deutschland, ein Grieche, der aus Thessaloniki stammt. Dort hat er noch Familie und ist manchmal in der Heimat. Das geht jetzt auch einfacher, weil er Rentner ist.
Viel Kohle bekommt man in Deutschland als Pensionär nicht. Die Durchschnittsrente in Deutschland beträgt laut Statista für Männer 1.373 Euro (Frauen: 890), und wer auf diesen Betrag kommt, darf sich glücklich schätzen. „Ist hier ein netter Zuverdienst“, sagt Iosif und knistert mit den Tüten. Wie viel das bringt? „So 30, 40 Euro“, sagt er, und man sieht, dass Flaschensammeln ein anstrengender Job ist: Der Kragen seines grauen Shirts ist verschwitzt, aber hier am Stadion ist es ungleich leichter, die kleinen Schnäppchen zu machen, als in der Stadt, wo man in jeden Mülleimer gucken und weite Strecken zurücklegen muss.
Josif, Flaschensammler aus Stuttgart über die Ausbeute des Deutschland-Ungarn-Spiels
Mit jedem Jahr steigt nicht nur gefühlt die Zahl der Flaschensammler in Deutschland. Das Land wird ärmer, man sieht es. Fast jedes Mal, wenn ich über den Alex in Berlin radle, sehe ich einen Alten in einen orangefarbenen Mülleimer lugen. Manche tragen Handschuhe, damit es nicht zu eklig wird. Oft sind sie mit einem Fahrrad unterwegs, an dem sie olle Tragetaschen befestigt haben. Die EM-Partien, Fußballspiele überhaupt, sind, nun ja, Hochämter für die Flaschensammler. Der gemeine Fan, der fürs Ticket schon mal 100 Euro ausgibt und für die Reise nach Deutschland 1.000, den juckt es nicht, wenn er 25 Cent verschenkt, manche fühlen sich vielleicht sogar erhaben, wenn sie den Sammlern eine milde Gabe zustecken. Iosif nimmt sie gern entgegen. „Und ein gutes Spiel“, wünscht er.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Rekordhoch beim Kirchenasyl – ein FAQ
Der Staat, die Kirchen und das Asyl
Preise fürs Parken in der Schweiz
Fettes Auto, fette Gebühr