■ Press-Schlag: Flachpaß im Regenwald
Ist Ihnen schon einmal aufgefallen, daß „Berti“ Vogts beim Warmlaufen unserer Nationalkicker gar nie auf dem Platz ist? Und wissen Sie, was Berti derweil treibt, ganz alleine in der Kabine?
Während wir schon von gewitzten Doppelpässen und rasanten Flügelläufen träumen. Lassen wir den Bundestrainer selbst das Geheimnis lüften: „Meine Frau und ich sind durch den Regenwald gegangen, wo es – ich hätte fast gesagt – 50 Zentimeter lange Regenwürmer gab. Und dann auf einmal das Geheimnis zu erblicken – den Berggorilla! – das sind Erlebnisse, die kann einem keiner wegnehmen. Und wenn ich mich zu Hause vorbereite, aber auch vor Länderspielen, dann habe ich diese Erinnerung, die kann ich einfach abrufen und relaxen.“
Berti, das unbekannte Wesen, das den Berggorilla schon vor Jahren gesichtet hat, als Diane Fossey, Gott hab sie selig, noch lebte, aber fast kein Mensch ansonsten sich für diesen Affen interessierte – in einem 54-Minuten-Experiment, so lange wie noch nie im deutschen Fernsehen, versuchte die ARD auf ihrer Südschiene (S3), „dem Zuschauer den Menschen Berti Vogts ein bißchen nahezubringen“.
Aber keine Angst weiter im Norden: Der Zusammenschnitt der Höhepunkte täuscht. Es war ein entsetzlicher Flachpaß-Dialog, begünstigt auch durch Serien von Einschleimvorlagen des Zuschauern des Südwestfernsehens sattsam bekannten Oberlangweilers Gerhard Meier-Röhn, der uns wissen ließ, daß es „so is. Ohne Träume sind wir nix, Berti Vogts!“
Der Ball ist nicht nur rund, war zu erfahren, sondern, wenn es in Bertis Kindheit regnete, auch „nicht so leicht wie heute, er nahm nämlich die Nässe auf“.
Trotzdem und trotz Vollwaisentum ab dem 13. Lebensjahr („Hennes Weisweiler, war das ein Vaterersatz?“) hat Berti „eine tolle Kindheit erlebt“ und „auf der Straße das Fußballspielen erlernt – das ist für unsere Kinder ein Riesenproblem“.
Auch wenn's kein Zuckerschlecken war („ich hab immer meinen harten Weg gehen müssen“) und Berti, Ärmel aufkrempelnd, zupackend, aufbauend („auch das muß man mal sagen“), „für 65 Mark Monatslohn, im vierten Lernjahr 105 Mark“ Werkzeugmacher gelernt hat.
Und davon dann noch Monatskarte kaufen und Kickstiefel, „Trainigssachen, Fußballschuhe, nichts gestellt – unsere Jugend soll mal darüber nachdenken“.
Dazwischen nur wenig Balsam: Mexiko („dieses Land, wo man als Deutscher eh gern gesehen ist“), die Weltmeisterschaft 1970, der „tolle Kampf“, den „wir dem übermächtigen Italiener geliefert haben“. Das waren noch ganz andere Verhältnis zur Öffentlichkeit damals: „Die Medien saßen mit uns beim Abendessen.“ Das verspätete Liebesgeständnis an einen Fußball-Genossen namens Günter Netzer: „Wir haben ein mehr als freundschaftliches Verhältnis.“
Und schließlich Bertis stille, nun nicht mehr ganz so heimlichen Sehnsüchte: Australien, Feuerland, die Königspinguine – „mit einem wirklichen Fachmann diese Tierwelt noch einmal erleben, das sind Träume, und Träume soll man haben“. Gell Herr Meier-Röhn!
Meistens aber Stammtischpalaver im Kanzlerdeutsch (mit dem Vogts ja manchmal telefoniert, aber auch dazu leider keine Frage): „Vielleicht bin ich auch ein anderer Mensch als die eine oder andere Medienlandschaft mich zeichnet“, ließ uns der Bundestrainer aller Balltreter wissen – „aber meine Familie, ich glaube, die sehen den echten Berti Vogts“.
Nein, so hilfloses Gestammel, das taugte noch nicht einmal zum Amüsement der Vogts-Kritiker. Im Gegenteil: Er wollte einem manchmal schon fast leid tun, der kleine Berti in der großen Welt, der seinem drögen Interviewer noch im Gesprächsverlauf, ungewollt wie so vieles, den entscheidenden Hinweis gegeben hatte: „Die Frage ist: Wie spricht man mich an, dementsprechend bekommt man auch eine Antwort.“ Uli Fuchs
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