Fiskalpakt und Rettungsschirm gestoppt: Gauck verzögert Unterschrift
Trotz Einigung von Koalition und Opposition kann der Fiskalpakt nicht wie geplant starten. Präsident Gauck will nicht unterschreiben, solange das Verfassungsgericht das Gesetz prüft.
BERLIN rtr | Der geplante dauerhafte Euro-Rettungsschirm ESM kann trotz einer Einigung der Bundesregierung mit SPD und Grünen nicht wie geplant am 1. Juli starten. Hintergrund sind angekündigte Eilanträge beim Bundesverfassungsgericht gegen den ESM sowie gegen den Fiskalpakt.
Die Richter mahnten am Donnerstag zur Prüfung ausreichend Zeit an und baten Bundespräsident Joachim Gauck, die Gesetze vorerst nicht zu unterzeichnen. Das Präsidialamt kündigte an, Gauck wolle dieser Bitte nachkommen.
Nach der für den 29. Juni geplanten Ratifizierung durch Bundestag und Bundesrat wäre den Verfassungsorganen für die Prüfung nur ein Tag Zeit geblieben, um ein pünktliches Inkrafttreten sicherzustellen.
Im Kampf gegen die Schuldenkrise haben 25 von 27 EU-Staaten im März den Pakt mit strengeren Haushaltsregeln unterzeichnet. Schärfere Vorgaben über eine Änderung der EU-Verträge scheiterten, da Großbritannien und Tschechien nicht mitziehen.
Der Fiskalpakt verpflichtet die Unterzeichner zu ausgeglicheneren Haushalten. Ferner sollen die Staaten nationale Schuldenbremsen einführen und in ihrem Recht verankern - kontrolliert vom Europäischen Gerichtshof EuGH. Sofern ihn bis dahin 12 Euroländer ratifiziert haben, tritt der Pakt spätestens Anfang 2013 in Kraft und wird binnen fünf Jahren in europäisches Recht überführt.
Der Fiskalpakt wird mit dem Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) verknüpft. ESM-Hilfen erhalten nur die Länder, die auch den neuen Pakt unterzeichnet haben. (dpa)
Die EU peilt als Starttermin für den ESM nun den 9. Juli an. Dieses Datum sieht ein Reuters vorliegender Entwurf für die Abschlusserklärung des EU-Gipfels Ende nächster Woche vor. Hintergrund sind Verzögerungen bei der Ratifizierung auch in anderen Ländern.
Koalition und Opposition hatten sich geeinigt
Die schwarz-gelbe Koalition und SPD und Grüne machten derweil nach wochenlangen Verhandlungen den Weg für eine Ratifizierung im Bundestag frei. Dazu verständigten sie sich auf einen „Pakt für nachhaltiges Wachstum und Beschäftigung“, der am Mittwoch vom Bundeskabinett verabschiedet werden soll.
„Das ist ein wichtiges Paket, um wegzukommen von einer reinen Sparpolitik“, sagte SPD-Chef Sigmar Gabriel. Ähnlich äußerte sich Grünen-Chef Cem Özdemir. Unions-Fraktionschef Volker Kauder zeigte sich zuversichtlich, dass sich am Sonntag der Bund auch mit den Ländern verständigen wird.
Wegen der erforderlichen Zwei-Drittel-Mehrheiten in Bundestag und Bundesrat ist die Koalition auf Stimmen der Opposition angewiesen. Während SPD und Grüne beide Vorhaben nun mittragen, will die Linksfraktion sie per Eilantrag stoppen. „Fiskalpakt und ESM greifen so tief in die grundgesetzlich verbrieften Rechte des Parlaments ein, dass das Hau-Ruck-Verfahren der Bundesregierung einem Anschlag auf die Demokratie gleichkommt“, sagte Fraktionschef Gregor Gysi.
Eine Sprecherin des Verfassungsgerichts sagte, das Gericht benötige Zeit, um das umfangreiche Material zu prüfen. Gauck zeigte sich bereit, die Gesetze zunächst nicht auszufertigen. Sein Amt begründete dies mit der gängigen Staatspraxis zwischen den Verfassungsorganen und Respekt gegenüber dem Verfassungsgericht.
Schäuble kritisiert Bundesverfassungsgericht
Finanzminister Wolfgang Schäuble zeigte sich über die Äußerung des Gerichts hingegen ungehalten. „Ich glaube nicht, dass es klug ist, wenn die Verfassungsorgane öffentlich miteinander kommunizieren“, sagte der CDU-Politiker in Luxemburg. Der CDU-Haushaltsexperte Norbert Barthle warnte, man könne den ESM in Europa nicht aufhalten, weil das oberste deutsche Gericht noch Zeit brauche. Allerdings könne die Politik dem Gericht auch keine Vorschriften machen, sagte er.
Der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD, Thomas Oppermann, äußerte „großen Respekt vor der Bitte des Verfassungsgerichts“. Dass der ESM nicht zum 1. Juli starten könne, sei für die Eurozone aber eine schlechte Nachricht.
Einen Eilantrag will auch das Bündnis „Europa braucht mehr Demokratie“ einreichen. Angesichts des Urteils zur Mitwirkung des Bundestages sei der Zeitplan für den Beschluss „absurd und untragbar“, sagte die frühere Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD), die das Bündnis vertritt.
Der ESM-Vertrag tritt in Kraft, sobald ihn Länder, die 90 Prozent des eingezahlten Kapitals stellen, ratifiziert haben. Ohne Deutschland wird diese Quote nicht erreicht.
Rot-Grün setzte Finanzsteuer durch
In ihren Verhandlungen hatten SPD und Grüne aufs Tempo gedrückt. Nach langem Ringen gelang bei einem Spitzentreffen im Kanzleramt nun eine Einigung. „Was wir erreichen konnten zum jetzigen Zeitpunkt, haben wir erreicht“, sagte Gabriel. Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier betonte, er werde seiner Fraktion nun die Zustimmung zum Fiskalpakt empfehlen.
Beide Seiten verständigten sich auf ergänzende Maßnahmen zur Wachstumsförderung und zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit in Europa sowie auf eine Finanztransaktionssteuer. Nicht durchsetzen konnte sich die Opposition mit der Forderung nach einem Fonds zur Tilgung von Altschulden, was Union und FDP als wichtigen Erfolg für sich verbuchten. Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin gab sich optimistisch, dass die Besteuerung der Finanzmärkte im Rahmen einer verstärkten Zusammenarbeit wie angestrebt in mindestens neun der EU-Staaten möglich sein wird.
Vor allem die FDP hatte sich lange gegen eine Finanzmarktsteuer unterhalb der Ebene aller EU-Staaten gestemmt. Im Schlussspurt wurde eine maßgeblich von den Liberalen ausgehandelte Textpassage zur Verhinderung von Nachteilen für Riester-Sparer und Kleinanleger nochmal abgeschwächt.
Fraktionschef Rainer Brüderle betonte gleichwohl, nachteilige Wirkungen einer solchen Steuer seien vermieden worden, etwa die Verlagerung von Jobs. Am Ende sei eine Einigung aus nationalem und europäischen Patriotismus geboten gewesen. Kauder bezeichnete die Verständigung als wichtige Botschaft für Europa und Signal an die Märkte, „dass wir in Europa zusammenhalten“.
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