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Finnlands Regierungschefin gehtSanna Marins kluger Rückzug

Simone Schmollack
Kommentar von Simone Schmollack

Raus aus dem Amt, weg vom Parteivorsitz: Die finnische Wahlverliererin Marin geht – doch von dem jungen Ausnahmetalent wird man noch hören.

Sanna Marin hat den Rücktritt ihrer Regierung eingereicht Foto: Markku Ulander/Lehtikuva/AP/dpa

S anna Marin will nicht mehr. Nachdem Finnlands Noch-Ministerpräsidentin und ihre Partei, die Sozialdemokraten, bei der Parlamentswahl am vergangenen Sonntag einer konservativen und einer rechten Partei Platz machen mussten, kündigte Marin nun auch ihren Rückzug vom Parteivorsitz an. Auf dem Parteitag im September wird sie nicht mehr für die Spitzenposition kandidieren.

Marin, so ließ sie wissen, sehe jetzt „Gelegenheit für neue Perspektiven“ und wolle gern „eine neue Seite“ in ihrem Leben aufschlagen. Ist das klug? Weitblickend? Nachvollziehbar? Oder präsentiert sich hier eine Politikerin, die sich nach einer (eingestandenen) Wahlniederlage verantwortungslos davonstiehlt? Die ihre Partei sich selbst überlässt und lieber schaut, wo ihre politische Karriere möglicherweise chancenreicher ist als in ihrem eigenen Land, beispielsweise in Brüssel?

Marins Rückzug erinnert an den vorzeitigen Amtsrücktritt der neuseeländischen Premierministerin Jacinda Ardern. Ardern hatte zu Beginn dieses Jahres überraschend das Staatsamt niedergelegt, weil sie „nicht mehr genug im Tank für weitere vier Jahre“ habe, wie sie es formuliert hatte.

Sanna Marin dagegen hat noch genug „im Tank“, sie wäre gern erneut Regierungschefin geworden. Auch wenn sie zugibt, dass die vergangenen Jahre ihr „Durchhaltevermögen auf die Probe gestellt“ hätten. Und doch gibt es Parallelen zwischen den beiden Spitzenpolitikerinnen. Ardern und Marin – beide noch recht jung – sind politische Ausnahmetalente, von denen es nicht viele gibt auf der Welt. Die Neuseeländerin wurde im Ausland zuweilen wie eine Heroin gefeiert. Die Finnin gilt in Europa als der „hellste Stern der europäischen Linken“.

Als sie 2019 mit 34 Jahren die Führung ihres Landes übernahm, war Marin die jüngste Regierungschefin weltweit. Knapp vier Jahre führte sie die rot-grüne Fünfparteien­konstellation weitgehend unaufgeregt. Das ist, verglichen mit dem hiesigen Dreiparteien-Ampel-Desaster, ein großer Erfolg. Auch sind fundamentale Skandale – bis auf das geleakte Video, das sie ausgelassen und tanzend bei einer Privatparty zeigt und eher noch prominenter und zu Teilen beliebter machte – nicht bekannt. Im Gegenteil: Marin managte zwei in ihre Regierungszeit gefallene Krisen erfolgreich – die Coronapandemie und den Nato-Beitritt infolge des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine.

Neuer Kurs unter Marins Führung

Finnland, das einmal zu Russland gehörte und das sich 1917 infolge der Oktoberrevolution vom bolschewistischen Russland unabhängig machte, war stets auf seine militärische Neutralität bedacht. Diese Haltung hatte das Land unter Marins Führung aufgegeben, die Debatten dazu – im Parlament und in der Gesellschaft – verliefen ebenfalls konfliktfrei. Die in Marins Amtszeit gestiegene Staatsverschuldung allerdings wussten die Konservativen im Wahlkampf für sich zu nutzen, ambitionierte linke Ziele haben halt ihren Preis, so lautete das konservative Narrativ. Aber welches Land hat in den vergangenen Coronajahren nicht finanziell gelitten?

Angesichts dieser Bilanz der jungen Politikerin Verantwortungslosigkeit zu attestieren, hieße, die Debatten um das sprichwörtliche Kleben am politischen Stuhl zu leugnen, mindestens aber zu ignorieren. Politiker:innen, die trotz Niederlagen und Fehltritten die politische Bühne nicht verlassen wollen, sich an Ämter und Positionen klammern, stehen zu Recht in der Kritik. Geht es ihnen um die Sache oder einzig um die Macht, die sie mit dem Rückzug verlieren würden? Gut beraten sind jene Menschen, die wissen, wann es Zeit ist, zu gehen – und es auch tatsächlich tun.

Das sind indes nur wenige. Einer von ihnen war Philipp Rösler, FDP-Politiker und früherer Gesundheitsminister. Mit 45 Jahren wollte er seine politische Karriere beenden, hatte er stets betont – und kam dem auch nach. Sein Parteifreund, der einstige Außenminister Guido Westerwelle, hatte schon recht früh in seiner politischen Laufbahn öffentlich bekundet, nicht mehr lange politisch tätig sein zu wollen. Doch er war es – bis zu seinem Tod 2016. Andere mögen einen früheren Rückzug in Betracht ziehen, behalten das aber für sich, aus Angst vor politischem Bedeutungs – und Gesichtsverlust: Man könnte es ja als Eingeständnis von Schwäche werten.

Im kommenden Jahr finden Europawahlen statt. Sanna Marin, so ist zu hören, könnte als Spitzenkandidatin für die Europäischen Sozialdemokraten antreten. Warum auch nicht? Eine neue Chance für eine talentierte Politikerin, die gerade mal 39 Jahre alt ist. Ganz egal, ob hinter ihrem jetzigen Rücktritt Karrierebewusstsein steckt – oder die Einsicht, dass sie in Finnland angesichts einer möglichen konservativ-rechten Regierung ohnehin wenig wird bewirken können.

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Simone Schmollack
Ressortleiterin Meinung
Ressortleiterin Meinung. Zuvor Ressortleiterin taz.de / Regie, Gender-Redakteurin der taz und stellvertretende Ressortleiterin taz-Inland. Dazwischen Chefredakteurin der Wochenzeitung "Der Freitag". Amtierende Vize-DDR-Meisterin im Rennrodeln der Sportjournalist:innen. Autorin zahlreicher Bücher, zuletzt: "Und er wird es wieder tun" über Partnerschaftsgewalt.
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