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Finnischer Autor über Selbstmord"Ich würde im Zweifel Gift essen"

In Finnland hat jeder schon mal an Selbstmord gedacht, meint der finnische Autor Arto Paasilinna. Und trotzdem hält er den Norden als idealen Zufluchtsort in einer krisengeschüttelten Welt.

Die düstere Seele gehört irgendwie zur Natur der Finnen. Wir neigen zum Trübsinn. Bild: dpa

Herr Paasilinna, ich wurde vor Ihnen gewarnt. Sie gelten als Meister aberwitziger Komik. Aber vor allem sind Sie verrufen. Was halten Sie davon?

Meine Gegner meinen ich sei ein Humorist, der nicht viel mehr als Spaßiges zu sagen hat. Nur: Wer das behauptet, hat meine Bücher nicht gelesen. Ich schreibe über ernste Themen - wie den Weltuntergang, Depressionen, Einsamkeit. Aber ich nutze Humor dafür. Wer will denn schon düstere Zustandsbeschreibungen lesen.

Und wie ist das mit dem Vorwurf, dass Sie trinken? In Ihrer Biographie schreiben sie selbst, dass Sie in ihrem Leben 14.000 Liter Bier getrunken haben. Muss ein Schriftsteller saufen - für den nächsten skurrilen Einfall?

Auch meine Ideen kommen nicht einfach so. Ein Schriftsteller braucht Phantasie. Aber keine Sorge, ich habe Material en masse. Denn im wirklichen Leben geht es oft noch weitaus verrückter zu als man sich ausdenken kann. Ich habe jahrelang als Journalist gearbeitet und bin mindestens einmal um die Welt gereist. Ich interviewe viele Menschen. Und ich lese viel. Das Ergebnis ist: Ich bin vor allem eins - sehr produktiv. Ich habe mehr als 20 Bücher geschrieben. Und allein in diesem Jahr werde ich zwei neue rausbringen.

Allerdings schreiben Sie vor allem diese tieftraurigen Geschichten. "Denkst Du an Selbstmord - Du bist nicht allein" - so lautet eine Anzeige in "Der wunderbare Massenselbstmord", einem Ihrer berühmtesten Bücher. Wie kommt das?

Ein Autor muss mit der Zeit gehen - und Themen verarbeiten, die für die Menschen wichtig sind. In Finnland nehmen sich jedes Jahr 1500 Menschen das Leben. Das Buch war sogar weltweit ein Erfolg, denn ich versuche die Menschen zu rühren. In Finnland ist nach der Veröffentlichung die Selbstmordrate enorm gefallen - um 500 Fälle.

Ein paar Hundert Finnen sollen ihnen jedes Jahr das Leben zu verdanken haben?

Der Roman kam vor einigen Jahren im Herbst raus. Damals wollte ich in mein Haus nach Portugal reisen, um der Dunkelheit und der Kälte zu entfliehen. Doch klingelte immer wieder das Telefon, ich konnte nicht fahren. Mindestens 300 Leser haben mich in diesen Wochen angerufen. Viele wollten einfach nur Danke sagen. Sie erklärten mir ihre Probleme und dass ihnen mein Buch Hoffnung gemacht habe. Ich fühlte mich wie ein Therapeut der Nation. Und ich habe gelernt, welche enorme Kraft Literatur haben kann. Sie kann etwas verändern.

Aber die Tötungs-Rate ist nach wie vor hoch. Und erst vor wenigen Tagen hat der Amokläufer Herra S. in der Berufsschule von Kauhajoki erst andere und dann sich umgebracht. Gibt es in Finnland so etwas wie eine Anleitung zum Mord?

Nun, bei uns ist es dunkel, einsam, kalt. Die düstere Seele gehört irgendwie zur Natur der Finnen. Wir neigen zum Trübsinn.

Wie oft haben Sie schon an Selbstmord gedacht?

Wahrscheinlich war jeder in Finnland schon mal so depressiv, dass er mit Selbstmord geliebäugelt hat. Ich würde im Zweifel Gift essen. Aber besonders ernsthaft habe ich das noch nie in Erwägung gezogen.

Mit dem Alter haben Sie jedoch ein Problem, oder? Ihr aktuelles Buch "Zehn zärtliche Kratzbürsten" beginnt so: Der Tod schnauft uns entgegen". Ein Mann feiert seinen 60. Geburtstag und stattet seinen verflossenen Liebschaften einen Besuch ab. Er hadert mit seinem Leben. Wie viel Paasilinna steckt in ihm?

Natürlich bin ich nicht mehr jung mit meinen 66 Jahren. Aber ich mag das Leben.

Aber das Leben ist für Sie nur ein Hinauszögern des Todes?

Im Gegenteil, sonst hätte ich nicht mein Hobby: Bauen. Ich plane leidenschaftlich gerne Häuser, gerade errichte ich das zehnte, es ist nicht besonders groß, nicht königlich, aber immerhin. Und ich liebe Saunas. Davon habe ich sieben. Andere sammeln Münzen, ich sammle Saunas. Ich möchte etwas Festes hinterlassen in der finnischen Landschaft.

Das Paradies liegt für Sie im abgeschiedenen Nordfinnland. In Ihrem Buch "Nördlich des Weltuntergangs" beschreiben Sie ein autarkes Dorf, als idealen Zufluchtsort in einer krisengeschüttelten Welt. Was ist so schlecht an der heutigen Zivilisation?

Europa und Nordamerika sind technisch so weit fortgeschritten, dass wir den Rest der Welt einfach unterdrücken können. Waffen brauchen wir dafür keine. Unsere Wirtschaftsmacht reicht aus. Und so beuten wir die Rohstoffe der ganzen Welt aus, als gehörten sie uns. Das ist beschämend.

Eine ihrer Hauptfiguren, Rauno Rämekorpi, sagt das deutlicher - etwa so: Er wolle nicht im tropischen Mondschein rülpsend auf einem Karibik-Kreuzfahrer sitzen, weil er zu viele der vom Aussterben bedrohten Austern verschlungen habe. Was ist Ihre die Alternative zum hektischen Kapitalismus?

In der Theorie ist das Sowjetische System, in dem das Privateigentum vernichtet wird, wünschenswert. Aber natürlich hat es nicht so gut funktioniert. Kaum an der Macht, werden Menschen gerne Diktatoren. Also gibt es nur diese Antwort: Wir brauchen einen neuen Humanismus - mit Freiheit, Toleranz und Respekt vor dem anderen. Und wir müssen die Demokratie wieder ernst nehmen. Gehen Sie wählen!

INTERVIEW: HANNA GERSMANN

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