Finnische Krimiautorin lässt Frau ermitteln: "Ich kann kein Auto reparieren"
Die Krimiautorin Leena Lehtolainen hat die erste finnische Haupt- kommissarin erfunden. Die erste? Ja, auch in Skandinavien leben Frauen nicht im Paradies der Gleichberechtigung.
taz: Frau Lehtolainen, Sie diskriminieren Männer. Sie schreiben Krimis speziell für Frauen, oder?
Leena Lehtolainen: Als ich angefangen habe zu schreiben, wollte ich tatsächlich für Frauen schreiben. Denn es gab keine Detektivin oder Kriminalkommissarin in finnischen Krimis. Dabei meinen wir immer, dass Frauen und Männer in Finnland gleichbehandelt würden. Darum habe ich Maria Kallio geschaffen. Aber heute schreibe ich einfach.
Und wer liest, was Sie einfach so schreiben?
Ein Drittel der Leser sind Männer.
Offenbar schätzen Männer Ihre feministisch grundgebildete Romanheldin weniger als Frauen. Sie ist so was wie die Gegenfigur zu Kommissar Wallander, den Ihr schwedischer Kollege Henning Mankell erfunden hat. Statt depressiv und eigenbrötlerisch zu sein, ist Kallio harmoniebedürftig. Sie hat Familie. Was für ein Frauenbild wollen Sie vermitteln?
Ein typisch finnisches: Sie ist gut ausgebildet, professionell. Und im Laufe der Geschichten heiratet sie, bekommt zwei Kinder. Kallio führt ein ganz normales Leben. Ich mag keine Superhelden.
Aber Kallio repariert Autos, spielt Fußball, trinkt gerne Whiskey - das ist doch übertrieben?
Ihr Beruf diktiert, welchen Charakter sie hat. Eine Kommissarin kann nicht schüchtern sein oder ängstlich. Nicht nur finnische Frauen sagen mir, dass sie sich in Kallio wiedererkennen. Meine Hauptfigur ist in den Sechzigern geboren. Sie rebelliert noch immer gegen ihre Kindheit, in der Mädchen gezwungen wurden, sich wie Mädchen zu benehmen. Manchmal zickt sie sich aber auch mit ihrer Kollegin an in einer Art, die Männer nicht kennen. Ich will so zeigen, dass Männer und Frauen nicht gleich, aber ebenbürtig sind.
Darum backt Marias Mann zu Hause das Brot. Also ist Gleichberechtigung keine Frage mehr?
Marias Mann ist Wissenschaftler, er kann auch zu Hause nachdenken, das ist sicher nicht in allen Familien so. Doch sind in Finnland die Frauen schon immer zur Arbeit gegangen. Wir hatten so lange eine Agrargesellschaft, in der Frauen und Männer zusammen aufs Feld mussten. Und selbstverständlich mussten die Frauen auch zupacken, als viele Männer während des Zweiten Weltkriegs getötet wurden.
Das war in Deutschland nicht anders. Doch haben sich deutsche Frauen in den Sechzigerjahren in ihr Heim zurückgezogen. Wie erklären Sie sich den Unterschied?
Die Kirche ist in Finnland weniger stark als in Deutschland. Finnen sind weltlich orientiert. Wir haben keinen Gott, der uns sagt, der Mann muss der Herr der Familie sein. Außerdem hatten alle skandinavischen Länder eine starke sozialdemokratische Bewegung, die die Gleichberechtigung gefördert hat. Wir bekommen aber jetzt Rückschläge.
Wieso? Fast 80 Prozent der finnischen Frauen haben heute einen Job.
Die Männer beklagen sich, dass die Frauen zu stark sind. Und dass wir immer nur über die Rechte der Frauen reden. Zum Beispiel wird jede zweite Ehe in Finnland geschieden. Und in 90 Prozent der Fälle bekommt die Mutter das Kind.
Der Aufstand der Männer kommt da doch allen recht, die sich vom alten Rollendenken lösen wollen. Wie hin- und hergerissen sind finnische Frauen zwischen Beruf und Familie?
Das Leben in Finnland ist so teuer, dass Frau und Mann Geld verdienen müssen, um überleben zu können. Frauen bekommen dabei im selben Job immer noch weniger Geld als Männer. So können sich Frauen gar nicht frei entscheiden. Immerhin hat jedes Kind ab drei Jahren ein Recht auf einen Kindergartenplatz. Die Kehrseite: Die wenigen Frauen, die nicht arbeiten, gelten als faul. Dabei ist es allein die Entscheidung der Familie, wie sie ihre Kinder betreut. Wir müssen aufhören, anderen reinzureden.
Maria Kallio ist oft gelangweilt von ihrem Familienleben. Wie ähnlich ist die Hauptkommissarin ihrer Erfinderin?
Ich kann kein Auto reparieren, aber besser kochen. Ich arbeite gerne allein zu Hause, sie mag Kollegen und geht offen auf jeden zu. Sie ist aber nicht mein Alter Ego. Ich habe mir nur überlegt, wie eine finnische Polizistin sein muss.
Nehmen Sie Ihre Ideen aus dem wirklichen Leben?
Ab und zu lese ich Polizeiberichte, und selbstverständlich verfolge ich, was in der Welt passiert. Aber ich übernehme nichts direkt. Oft habe ich jedoch Fragen im Kopf, denen gehe ich nach. Ich will nicht nur die "Wer ist der Mörder"-Geschichte schreiben. In meinem nächsten Roman geht es zum Beispiel um Sport und Doping. Warum sind Menschen bereit, ihre Gesundheit aufs Spiel zu setzen für den Erfolg? Und was bewegt einen, die Grenze zu überschreiten und zu töten?
Wann wissen Sie denn das Ende Ihrer Geschichten?
Normalerweise, bevor ich den Krimi zu schreiben beginne. Ich habe immer einen Plan. Schreiben hat viel mit Disziplin zu tun. Ich arbeite in der Regel jeden Werktag - von acht Uhr morgens bis nachmittags um drei. Das Schreiben macht bei einem Buch nur ungefähr neun Monate aus, von der Idee bis zum Druck brauche ich bis zu vier Jahre. Zum Beispiel lasse ich mich immer von einem Freund beraten, welches Gift, welche Medizin zur Geschichte passt.
Warum wählen Sie ausgerechnet das Krimigenre für die Sozialkritik?
Als ich vor fünfzehn Jahren angefangen habe zu schreiben, fand ich, dass eine Krimigeschichte ein gutes Gerüst liefert. Es hat das Schreiben leichter gemacht.
In Nordeuropa werden aber besonders viele Krimis geschrieben. Haben Sie dafür eine Erklärung?
In Wahrheit ist Mord selten in Skandinavien, wir führen ein sicheres Leben Die finnische Gesellschaft ist sehr offen und entformalisiert. Keiner siezt sich. Vielleicht mögen wir die mysteriöse Verbrechen, weil wir nie selbst betroffen waren.
Würden Sie denn manchmal gerne Ihre nordischen Kollegen killen, weil sie Ihnen eine Idee klauen?
Ich freue mich über jeden guten Schriftsteller. Ich lese alles, selbst Comics. Außerdem: Ich kann niemanden töten - ich kann nur darüber schreiben.
INTERVIEW: HANNA GERSMANN
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Matheleistungen an Grundschulen
Ein Viertel kann nicht richtig rechnen
Innenminister zur Migrationspolitik
Härter, immer härter
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Börsen-Rekordhoch
Der DAX ist nicht alles