Finanzkrise verändert globales Machtgefüge: Die neue Rolle der Schwellenländer
Die Finanzkrise verschiebt die internationalen Machtgefüge. Künftig regieren 20 Staatschefs die Welt.
Am Freitagabend sind in Washington die Staats- und Regierungschefs der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer (G 20) zusammengekommen, um ihre Maßnahmen gegen die Finanzkrise abzustimmen und einen Zeitplan für eine Reform des Finanzsystems aufzustellen. Das Ergebnis des Treffens sollen konkrete Arbeitsaufträge an die Finanzminister sein. Bis zu einem zweiten Gipfeltreffen im März 2009 müssen dann konkrete Reformvorschläge vorliegen. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon mahnte die G-20-Vertreter, die armen Länder nicht zu vergessen, die nicht zu dem Gipfel eingeladen sind. Es sei dringlicher, die Auswirkungen der Krise auf die Ärmsten zu lindern, als etwa die Weltbank oder den Internationalen Währungsfonds zu reformieren. Die EU-Regierungen wollen dem IWF mehr Mittel übertragen, um die globalen Finanzmärkte zu überwachen.
BERLIN taz Am Samstag treffen sich die G-8-Staatschefs nicht nur mit den Präsidenten und Regierungschefs der aufstrebenden Schwellenländer China, Indien, Mexiko, Brasilien und Südafrika. Der Kreis wurde um die G-20-Mitglieder Indonesien, Südkorea, Argentinien, die Golfstaaten und die Türkei erweitert - und erstmals sitzen alle an einem Tisch auf Augenhöhe. Dank der Finanzkrise.
"Es ist Zeit, dass auch wir an den großen Verhandlungstischen Platz nehmen", erklärten vergangene Woche Brasilien, Russland, Indien und China. "Das, was die großen Industriestaaten dort zu sagen haben, wird immer weniger akzeptiert von den Staaten, die dort nicht vertreten sind", sagte Bundesaußenministerium Frank-Walter Steinmeier (SPD). Beim G-8-Gipfel in Japan hatte sich die Bundesregierung noch vehement gegen eine Erweiterung gewehrt. Gerade die asiatischen und lateinamerikanischen Länder haben aus den Krisen der 90er-Jahre gelernt: Ihre Banken waren nicht ganz so verstrickt in Suprime- oder Derivatsgeschäfte. Und anders als die westlichen Industriestaaten mit ihren gesättigten Märkten können die exportorientierten Schwellenländer wie China, Indien und Brasilien nun auf den lange Jahre von ihnen vernachlässigten Binnenmarkt setzen.
Vor allem auf China richten sich die Blicke. Mit Währungsreserven von fast zwei Billionen Dollar und einem enormen Exportbilanzüberschuss ist China nicht nur Lösung, sondern auch Teil des Problems. Die Zentralregierung in Peking hat auf die Kritik reagiert, jahrelang mit ihrer unterbewerteten Währung die USA mit Billigprodukten überschwemmt und die hohe Verschuldung der US-Amerikaner damit zumindest mitverursacht zu haben. Mit rund 460 Milliarden Euro hat Peking nun ein gewaltiges größte Konjunkturpaket verabschiedet. Damit sollen vor allem in den unterentwickelten Provinzen im Landesinnern Straßen, Schienen und Schulen gebaut werden. Diese Maßnahmen könnten nicht nur die chinesische Binnenkonjunktur ankurbeln, sondern die Wirtschaft der ganzen Welt. Ähnliches erhoffen sich die Industriestaaten von Indien. Und auch Brasilien, Südafrika, Argentinien und Saudi-Arabien als führende Agrar- beziehungsweise Rohstofflieferanten könnten als Konsumenten wichtige Impulse geben. Dass die Weltwirtschaft noch einigermaßen funktioniert, ist auch diesen Schwellenländern mit ihren noch immer hohen Wachstumsraten zu verdanken.
So selbstbewusst sie in Washington auftreten wollen - von einer gemeinsamen Position sind sie weit entfernt: Länder wie Südkorea, Mexiko, Indonesien und die Türkei fühlen sich geschmeichelt, überhaupt am Tisch mit den Mächtigen zu sitzen. Brasilien und Saudi-Arabien fordern mehr Mitspracherecht, haben aber keine Vorschläge vorzuweisen. Und Indien und China wollen sich international nicht zu sehr einbinden lassen. Großbritanniens Forderung, China solle sich finanziell stärker an Organisationen wie dem IWF beteiligen, erteilte Peking eine Absage.
Außen vor bleiben in Washington die Entwicklungsländer. "Obwohl die armen Länder zu den Verlierern der globalen Finanzkrise gehören, finden sie bei internationalen Verhandlungen kaum Gehör", kritisierte der Verband Entwicklungspolitik deutscher Nichtregierungsorganisationen. FELIX LEE
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