Finanzkrise in Dubai: Übermorgenland ist abgebrannt
Das Märchen vom arabischen Wunderland ist vorbei. Dubai ist inzwischen das Land mit der weltweit höchsten Pro-Kopf-Verschuldung.
DUBAI taz | Die neue Brücke, die nach Dubai Media-City führt, ist symptomatisch für den Zustand des Emirats. Obwohl vollständig fertiggestellt - am Ende der Brücke funktioniert sogar die Ampelanlage -, ist sie gesperrt. Die Auftraggeber können den Bauunternehmer nicht bezahlen.
Unweit der Brücke stehen auf einem Parkplatz zahlreiche Privatfahrzeuge ohne Nummerschilder. Nur zum Teil abbezahlt, haben sich deren inzwischen arbeitslose ausländische Besitzer über Nacht in ihre Heimat abgesetzt. Immerhin hat vor ein paar Tagen ein hier äußerst seltener Regenguss den Staub abgewaschen. "Zu vermieten" und "Zu verkaufen" sind die neuen Schilder, die überall angebracht sind, direkt neben jenen großen Plakaten, die immer noch stur die "Vision Dubai" anpreisen. Viele der Kräne an den Baustellen, wo die Gebäude in den Himmel wachsen, stehen still.
Ruhe im Capital Club
Auch im Capital Club, im Finanzzentrum der Stadt, wo sich bisher die jungen Banker bei Livemusik drängelten, ist es ruhiger geworden. Das Übermorgenland wurde von den Schulden von heute eingeholt. Das Märchen vom arabischen Disney-Wirtschafts-Boomland wird gerade einer schmerzhaften Realitätsprüfung unterzogen.
Die Regierung bemüht sich inzwischen um ein wenig Normalität, nachdem sie im November die Finanzwelt geschockt hatte. Damals verkündete sie, dass das staatseigene Baukonsortium Dubai World, der Motor des Emirats, um Zahlungsaufschub für seine 60 Milliarden US-Dollar Schulden bitten müsse. Inzwischen hat das Nachbaremirat Abu Dhabi, die Hauptstadt der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), eine Spritze von 10 Milliarden Dollar zugesagt, damit Dubai wenigstens bis April die Schulden bedienen kann. Und der Außenminister der VAE, Scheich Abdullah bin Sajed al-Nahyan, erklärte die Krise letzte Woche gar für beendet. Der Bau von riesigen Sportanlagen, künstlichen Insel und zahllosen Wolkenkratzern solle bald wieder aufgenommen werden. Vielleicht werden demnächst auch die Sperranlagen an der Brücke zur Media-City weggeräumt.
Die Notbremse: Am 25. November bat die Regierung des Emirats Dubai die Gläubiger der Holding-Gesellschaft Dubai World um Zahlungsaufschub für die Rückzahlung der Kredite bis zum 30. Mai 2010. Die Regierung des Emirats begründete die Bitte mit einer notwendigen Restrukturierung der Holding und des Immobilienunternehmens Nakheel. Die bekannteste Investition der Holding ist die künstliche Palmeninsel, die der Golfküste vorgelagert ist.
Der Schock: Das Eingeständnis des Emirats schürte an den Börsen die Angst, dass Investoren aus dem Golf deswegen ihre Aktienpositionen auflösen könnten. Die Kurse gingen weltweit auf Talfahrt.
Die Hilfe: Am 14. Dezember bewahrte der ölreiche Nachbar Abu Dhabi seinen Nachbarn mit einem Kredit von 10 Milliarden Dollar in letzter Sekunde vor der Zahlungsunfähigkeit. Im Januar will Dubai World mit seinen Gläubigern ein Stillhalteabkommen erzielen. Insgesamt hat die Staatsholding rund 40 Milliarden Dollar an Schulden angehäuft.
"Dankenswerterweise haben wir das ölreiche Abu Dhabi, um die Scherben in Dubai aufzukehren und zu helfen, den Markennamen Vereinigte Arabische Emirate zu retten", sagt der Finanzexperte Christopher Davidson. Atemlos kommt er zum Termin gelaufen. Davidson lehrt an der britischen Durham-Universität und bringt den Studenten die Angelegenheiten des Golfs und der Arabischen Halbinsel näher. Außerdem ist er Autor zweier Bücher über die Arabischen Emirate. Derzeit ist Davidson ein gefragter Mann, wenn es darum geht, einer besorgten Finanzwelt die Zukunft der Emirate vorherzusagen. Dabei spricht er gern in Bildern. Etwa wenn er Dubai als einen rasenden Bus ohne Bremsen beschreibt, der immer schneller wurde. Am Ende habe es schließlich geknallt.
Davidson kann das auch in Zahlen belegen: Dubai habe etwas weniger als 2 Millionen Einwohner, davon kaum 100.000 Einheimische, rechnet er vor. Die Schulden Dubais betragen mindestens 70 bis 80 Milliarden Dollar, kalkuliert Davidson weiter. Das mache Dubai mit Abstand zur Stadt mit der höchsten Pro-Kopf-Verschuldung weltweit.
Der deutsche Handelsdelegierte Peter Göpfrich sitzt bei einem Kaffee am Jachthafen von Dubai. Er bleibt lieber bei den absoluten Zahlen. Das ergibt ein optimistischeres Bild. "Die Schulden von Dubai machen gerade einmal ein Zehntel der Schulden von Lehman Brothers aus", sagt er. Die Panik der Finanzmärkte sei mehr "psychologisch". Er gibt einen Teil der Schuld an Dubais Krise an die Banker zurück, "die nur ihre Dollarzeichen in den Augen gesehen haben, nicht aber Zeichen an der Wand".
Transparenz ist alles
Die Banker hätten immer gedacht, dass die Bauaktivitäten vom Staat selbst finanziert seien - und damit von den Öleinnahmen gedeckt. Und sie hätten immer wieder Geld geliehen, um den Boom anzukurbeln. Die Intransparenz sei jedoch eines der großen Probleme am Golf. Ist der Bauherr des Wolkenkratzers eine private oder eine staatliche Firma? Oder steckt dahinter gar das Privatvermögen des Emirs? Und wer garantiert für die Schulden? Die Grenzen waren immer fließend.
Darin sind sich Davidson und Göpfrich einig: Wenn sich die Golfstaaten in Zukunft Geld leihen, müssen sie ihre Strukturen offenlegen. Dahinter stecken Petrodollars - der Hinweis wird nicht mehr ausreichen. "In Zukunft werden wir wohl genauere Statistiken und Geschäftsberichte bekommen", erwartet Davidson.
Beide, Davidson und Göpfrich, glauben, dass es zu früh sei, Dubai abzuschreiben. Das meint auch Abdel Khaelq Abdallah, Politologe an der VAE-Universität. Früher sei Dubai ein Glas voll Bonbons gewesen, aus dem sich jeder bedient habe, führt er bei einem Treffen in der Nähe des Flughafens aus. Auch mit der Krise sei das Glas nicht zerbrochen, sagt er. Die Frage sei nur, ist es halb leer oder halb voll? Abdallah plädiert auf halb voll.
Sicher sei der Immobilienmarkt schwer angeschlagen, doch der Flughafen und der größte Containerhafen der Welt, direkt am Tor zu Asien, seien in den letzten Jahren strategische Investitionen gewesen, die sich auszahlen. "Dubais Infrastruktur ist dem Rest der Region um zehn Jahre voraus. Es wird nicht untergehen", prophezeit er und eilt schon zum nächsten Termin. Auch in der Krise scheint Dubai nicht zu verschnaufen.
Peter Göpfrich hat noch eine weitere positive Note. Die Goldsucher und Glücksritter seien abgereist, sagt er. Zurück blieben jene, die langfristige Geschäfte planten. Außerdem sei das bisher vollkommen überteuerte Dubai jetzt wieder für kleinere und mittelständische Unternehmen interessant. Die Theorie vom Gesundschrumpfen ist immer wieder zu hören. Doch niemand weiß genau, ob sich der Stadtstaat nicht gerade zu Tode schrumpft.
Mindestens einen politischen Preis hat Emir Muhammad Bin Raschid al-Maktum, der Herrscher von Dubai, bereits gezahlt. Unter den benachbarten Emiren haftet ihm nun das Image des Zockers an. Sie üben sich in ein wenig in Schadenfreude. Sie wissen aber auch, dass ein Untergang Dubais sie mitreißen könnte. "Too big to fail", heißt es immer wieder.
Aufsteiger aus Abu Dhabi
Weil die benachbarte Herrscherfamilie der al-Nahyans in Abu Dhabi wesentlich konservativer gewirtschaftet hat und anders als Dubai auf große Ölvorkommen zurückgreifen kann, erweisen sie sich als Retter in der Not. Solange der Ölpreis über 40 Dollar liegt, macht sie Gewinn. Dubais Modell von der "Nachölzeit-Ökonomie" hat sich hingegen als verwundbar erwiesen.
Damit hat sich auch das politische Gewicht von Dubai nach Abu Dhabi, der Hauptstadt der VAE, verlagert. Abu Dhabi fordert nun einen direkten Einfluss auf Geschäfte und Zoll, vor allem aber auf die Politik. Das könnte Dubai seine Souveränität kosten. Die Krise hat aus der losen Vereinigung der Emirate einen stärkeren Verbund geschaffen.
Das lässt sich auch am Verkehr festmachen. Während es sich in Dubai deutlich gelichtet hat, stauen sich die Autos auf der Straße nach Abu Dhabi. Interessant sind die Schilder an der Grenze. In Richtung Abu Dhabi verspricht "jobsabudhabi.com" neue Arbeit für Bauarbeiter und Ingenieure. Auf der Gegenfahrbahn nach Dubai heißt es nur noch: "Vertraue auf Gott!"
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