Finanzexperte über Ratingagenturen: "Das ist natürlich Mist"
Die großen Bewertungsagenturen funktionieren so, als ob man beim Lehrer für seine Schulnote bezahlt, kritisiert Finanztest-Chef Hermann-Josef Tenhagen.
taz: Herr Tenhagen, Standard & Poor's hat nun auch den Euro-Rettungsschirm EFSF herabgestuft. Welche Auswirkungen wird das haben?
Hermann-Josef Tenhagen: Zunächst muss das gar keine haben. Auch ein AA+ stellt immer noch eine gute Bewertung dar, zumal der Rettungsschirm bei den anderen beiden Agenturen noch immer das beste Rating genießt. Es kann aber sein, dass es für den Rettungsschirm in der nächsten Zeit teurer wird, neues zu Geld leihen. Dazu muss es aber nicht kommen. Auch die USA wurden vor einem halben Jahr heruntergestuft. Und trotzdem kommen sie momentan so billig wie lange nicht mehr an Geld heran.
Steht die Finanzierung des Rettungsschirms auf dem Spiel?
Nein, es wird ja nicht die Bonität des EFSF an sich infrage gestellt. Die Frage ist ja nur: Zu welchem Preis? Und natürlich lässt sich mit dem besten Rating leichter Geld leihen als mit einer nicht ganz so guten Bewertung. Aber auch vor der Herabstufung musste Frankreich schon deutlich höhere Zinsen zahlen als das gleich bewertete Deutschland.
Wie ist es überhaupt dazu gekommen, dass die Urteile dieser privatwirtschaftlich betriebenen Agenturen so wichtg genommen werden?
Ursprünglich hat der Geldanleger diese Agenturen dafür bezahlt, damit sie was über die Sicherheit einer möglichen Anlage erzählen. Das hat sich geändert. Um zu verhindern, dass obskure Geldanlagen überhand nehmen, hat zudem an immer mehr Stellen auch der Staat gesagt: Bevor Anlagen stattfinden, müssen sie ein Rating vorweisen.
49, ist Chef von Finanztest, die von der Stiftung Warentest herausgegeben wird. Er sitzt im Aufsichtsrat der taz.
Das hatte immer mehr zur Folge, dass diejenigen, die Geld haben wollten, die Ratings bezahlen. Das ist natürlich Mist. Denn damit bezahlt man sozusagen beim Lehrer für die eigene Schulnote. Wenn ich als Geldanleger möchte, dass eine andere Firma unabhängig von mir prüft, ob eine Geldanlage solide ist, dann sollte ich als Geldanleger diese Prüfung bezahlen.
Sollte der Einfluss der drei US-Ratingagenturen verringert werden?
Unbedingt. Aber dazu muss man auch sagen, dass die Staaten selbst dazu beigetragen haben. Sie waren es, die für alle möglichen Dinge die Urteile dieser Ratingagenturen verlangten. An ganz vielen Stellen könnte man auf diese Ratings aber verzichten.
Außenminister Westerwelle hat nun eine europäische Ratingagentur nach dem Modell der Stiftung Warentest vorgeschlagen. Was halten Sie davon?
Wir haben die Aufgabe, Bewertungen von Produkten herzustellen, damit die Verbraucher sich besser entscheiden können. Nun könnte man sagen: Wir brauchen eine Agentur, die für die Banken und für die Anleger Bewertungen mit ähnlichem Zweck bereit stell. Bei uns bezahlen unsere Leser über den Kauf unserer Hefte oder übers Internet für die Bewertung eines bestimmten Produktes. Das hieße: Auch Geldanleger müssten künftig dafür bezahlen, dass eine solche Bewertung vorgenommen wird. Wenn Herr Westerwelle das damit meint, ist das eine Idee, mit der man sich beschäftigen könnte.
Und? Stünden Sie für eine solche Aufgabe zur Verfügung?
Als Kopf einer solchen Rating-Agentur wäre man in allererster Linie unterwegs für Menschen mit sehr viel Geld, um denen zu sagen, wo sie ihr Geld noch profitabler hinpacken sollen. In einer solchen Aufgabe sehe ich nicht meine Zukunft. Ich arbeite lieber für die kleinen Leute.
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