Filmtiere aus Hannover: Wölfe heulen auf Kommando
Der erste Job war beinahe der letzte: Die Firma von Miguel de la Torre vermittelt Wölfe an Film und Fernsehen.
25 Mal im Jahr, also etwa alle zwei Wochen, wird mindestens ein Tier der Filmwölfe gebucht. Sie standen schon in Spielfilmen wie „Die dunkle Seite des Mondes“ neben Moritz Bleibtreu und Fatih Akins „Tschick“ vor der Kamera. In Kinderfilmen werden sie auch gern genommen, etwa in Detlev Bucks „Bibi & Tina“.
Und ihren bisher größten Auftritt hatten sie in der Verfilmung des Schweizer Märchens „Schellen Ursli“ des Oscar-Preisträgers Xavier Koller. Dazu kommen diverse Folgen von „Tatort“ „Polizeiruf 110“, „Alarm für Cobra 11“ und natürlich die Serie „Wolfsland“ mit Yvonne Catterfeld. Wenn eine Reifenhandlung mit dem Namen „Wolf“ einen Werbefilm machen will, bekommt Filmwölfe den Auftrag. Und in ein paar Wochen werden fünf Wölfe nach Wolfsburg transportiert, um mit ihnen einen Werbefilm für das Stadion des VfL Wolfsburg zu drehen.
Job als Geologe aufgegeben
Die Firma scheint also ein Erfolg zu sein. Doch wer kommt auf die Idee, sich mit so etwas selbstständig zu machen? Miguel de la Torre hat für diese Idee seinen festen Job als Geologe und Informatiker aufgegeben. Dies ist ein schönes Beispiel dafür, dass es sich rechnen kann, wenn man seine Leidenschaften konsequent auslebt.
De la Torre lebt gern unter Wölfen. Das begann vor 25 Jahren bei einer USA-Reise, auf der er einen jungen Wolfshund kaufte und ihn mit nach Deutschland brachte. Vor zehn Jahren wurde ihm ein acht Wochen altes Wolfsjunges angeboten, und damit begann sich sein Leben radikal zu verändern. Als seine kleine Wölfin zwei Jahre alt wurde, hatte de la Torre die Idee, sie für Filmaufnahmen anzubieten.
Wölfe kann man zwar nicht trainieren, aber konditionieren. Und seine Wölfin Lobine konnte fletschen, jaulen, laufen und sich auf Anweisung auf etwas draufstellen. Mehr tut kein Wolf auf Befehl.
De la Torres erster Auftrag hätte aber auch gut sein letzter sein können, denn der Filmkünstler Julian Rosefeldt war gar nicht glücklich darüber, dass die Wölfin beim Dreh nicht so wollte, wie er sich das vorgestellt hatte. So lief Lobine etwa nicht minutenlang durch den Wald, ohne sich umzusehen. Das tut ein Wolf nun einmal nicht. Aber de la Torre war nach Ende der Dreharbeiten doch geknickt. Bis Rosefeldt sich begeistert bei ihm meldete, denn alle redeten davon, wie eindrucksvoll der Wolf in seinem Kunstfilm „Meine Heimat ist ein düsteres wolkenverhangenes Land“ wirke. Also machte de la Torre weiter und vor vier Jahren kündigte er seine Festanstellung. Seitdem lebt er von und mit seinen Wölfen.
Er hat neben zehn Wölfen, von denen viele Kinder und inzwischen Enkel seiner ersten Wölfin Lobine sind, und auch einen Wolfshund. Den braucht er, wenn bei einem Auftrag Beißen oder Angreifen verlangt wird. Denn das tut ein Wolf nicht. Nur wenige Tierkenner beim Film bemerken aber diesen Schummelwolf. Das Rudel bestehe nur aus amerikanischen Wölfen, die viel sozialer und nicht so dominant sind wie ihre europäischen Artverwandten, sagt de la Torre. Und dafür gebe es auch einen guten, darwinistischen Grund, denn die amerikanischen Wölfe lebten und jagten in größeren Rudeln, weil sie größere Beutetiere wie Bison und Elch reißen mussten und dies nur gemeinsam konnten.
Gegenüber essen Leute Pizza
Die Filmwölfe werden auf einem Gelände in einem Wohngebiet in der Nähe von Hannover gehalten. Direkt gegenüber des Grundstückes ist eine Pizzeria, von der aus die Gäste einen direkten Blick auf die im umgitterten Areal frei laufenden Wölfe haben. Einige sind interessiert, wenige Gäste empört und so kommt es immer mal wieder zu Anzeigen bei der Polizei. Aber Miguel de la Torre hat alle Genehmigungen und Lizenzen vom Veterinäramt und der Naturschutzbehörde.
Die Wölfe sind dort auf dem Gelände aufgewachsen und wenn de la Torre neue Tiere einkauft, wie etwa vor einigen Jahren einen weißen Wolf in den USA, dann sind sie so jung, dass auch für sie das Grundstück das Heimatrevier ist. Viele seiner Tiere im Rudel haben zehn Prozent Hundegene, man kann diese Tiere also kaum mit ihren frei lebenden Artgenossen vergleichen. Die Nachbarn haben sich längst an die Tiere gewöhnt. Sie stören nur, wenn auf der Straße ein Martinshorn zu hören ist, dann heulen sie mit.
Ungewöhnlich ist ebenfalls, dass de la Torre nebenbei zu einem handwerklich routinierten Filmemacher geworden ist. Er macht viele der Aufnahmen von seinen Tieren inzwischen selbst und hat dafür auf seinem Grundstück ein Studio mit einer Greenscreen-Anlage eingerichtet. Vom Drehbuch, über Kameraarbeit bis zum Schnitt kann er bei den Werbe- und Imagefilmen inzwischen alles selbst machen. Interessant ist sein Verhältnis zu den Tieren, mit denen er jeden Tag viele Stunden verbringt. Im Gespräch hat er keines von ihnen beim Namen genannt. Haustiere sind seine Wölfe also ganz gewiss nicht.
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