■ Filmstarts à la carte: Von Frechheiten, Schönheit und Mut
„Du bist so komisch anzusehen, glaubst du vielleicht, das find ich schön. Seit Tagen leb ich neben dir und fühle gar nichts mehr in mir. Nur dein Geschwätz, so leer und dumm, ich habe Angst, das bringt mich um, und schiefe Hacken obendrein, wie fiel ich nur auf so was rein.“ Charles Aznavour hört man zwar bestimmt nicht in Maria und Joseph oder in Nouvelle vague, aber wer Godards „Eine Frau ist eine Frau“ liebt, der sollte auch diese beiden Filme sehen. Godards Unverschämtheiten kann man nur bewundern. Was für eine Frechheit! Was erlaubt sich der Kerl! Zwei Stunden sitzen wir hier und hören uns nur Gefasel an, dachte ich, als ich mich einmal durch „Le gai savoir“ – „Die fröhliche Wissenschaft“ quälte. Aber dann irgendwie doch nicht quälte. Es gab immer wieder etwas zu bestaunen, Godards Unverschämtheiten, Juliette Bertos Gesicht, Jean-Pierre Leauds Schal, die Nachrichtensprecherin, die ihre seriösen Berichte am Strand verliest. Nicht daß die beiden oben genannten Filme langweilig sind, i wo, ich kenn sie ja selber nicht. Sicher ist nur, daß man mit Godard niemals seine Zeit verschwendet.
Noch ein weiterer Film im Acud ist zu empfehlen, Wundbrand von Didi Danquart. Der Schwarzweiß-Dokumentarfilm über 17 Tage in Sarajevo lief bereits auf der Berlinale. Danquart läßt die Leute erzählen, und Kameramann Johann Feindt kommt ihnen mit der Kamera nah, sehr nah. Er ist so dicht an ihnen, daß man bei dem Jungen, der von seinen Kriegserlebnissen erzählt, die Pickel zählen kann und den Flaum am Ohr sieht. Feindt macht hier im Prinzip dasselbe, wie später in „Beruf Neonazi“. Nur ist es hier richtig und da falsch. Und das Komische ist, daß Feindt es auch weiß. Bei einem Interview mit einem serbischen Kriegsverbrecher, der im Gefängnis sitzt, hält er Distanz. Zu Recht – in diesem Fall interessiert niemanden der Flaum im Gesicht des Mörders. Es wäre geradezu pervers, ihn zu zeigen. Bei Althans wußte er es plötzlich nicht mehr. Wie zum Teufel kann man etwas vergessen, das man schon mal wußte?
In einem verräucherten Kellerlokal lehnt sie am Klavier, ihre blonden Haare umrahmen strahlend das weiße Dreieck ihres Gesichts, und während sie vom „Blackmarket“ singt, greift sie nach hinten, nimmt ohne hinzusehen die Zigarette aus der Hand des Pianisten (Friedrich Hollaender), zieht einmal kräftig und reicht die Zigarette nach hinten zurück, wieder ohne hinzusehen. Allein wegen dieser Szene mit Marlene Dietrich ist A Foreign Affair es wert, wieder und wieder gesehen zu werden. Nebenbei ist dies auch noch ein typischer Billy Wilder-Film, gespickt mit nach rechts und links ausgeteilten Bosheiten gegen die Nazis und die Alliierten.
Unbedingt ansehen muß man sich diese Woche natürlich auch Il gattopardo – „Der Leopard“ von Visconti mit einem atemberaubend arroganten und traurigen Burt Lancaster in der Hauptrolle. Über Politik und Sex schwadronierend, trocknet er sich nach dem Bad, schamlos nackt, vor dem Priester ab, dessen Unbehagen ignorierend wie eine lästige Fliege an einem schönen Sommertag. Als Schüsse von der Hinrichtung einer Handvoll Aufständischer künden, kniet er als einziger nieder und bekreuzigt sich. Nicht aus Mitleid, sondern weil der Tod jeder Kreatur etwas Heiliges ist, vor dem auch er, der Aristokrat, seinen Respekt bezeugt. Niemals sah man soviel buchstäblich vom Staub bedeckte Aristokratie wie in diesem Film. Wenn man weiß, wie lange Lancaster schon elend an einer Krankheit dahinsiecht, möchte man eine Kirche anzünden.Anja Seeliger
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