■ Filmstarts à la carte: Unnahbarkeit im Bordell
Der 1966 entstandene Film „Belle de Jour“ war der größte kommerzielle Erfolg Luis Bunuels, doch Illusionen machte sich der spanische Surrealist mit ausgeprägtem Sinn für schwarzen Humor deshalb noch lange nicht: Die erstaunliche Beliebtheit dieses Werkes beim Publikum sei wohl weniger auf eine plötzliche Begeisterung der Leute für seine Filmkunst zurückzuführen, befand der Regisseur, als vielmehr auf die in der Handlung vorkommenden Prostituierten.
In „Belle de Jour“ erzählt Bunuel von den erotischen Phantasien der großbürgerlichen Gesellschaft, deren Dekadenz und Zynismus der Regisseur zeitlebens so gern demaskierte und der Lächerlichkeit preisgab. Unangenehmster Vertreter seiner Klasse ist der „reiche und übersättigte“ Lebemann Husson (Michel Piccoli in einer seiner Glanzrollen), dessen dreiste Avancen jedoch von Séverine, der Frau eines befreundeten Arztes, immer wieder zurückgewiesen werden. Séverine leidet ihrerseits unter Frigidität und masochistischen Zwangsvorstellungen. Erst als sie zeitweise ihre bürgerliche Existenz aufgibt und sich in einem Bordell als Prostituierte verdingt, kann sie sich von ihren Obsessionen befreien. Übergangslos fließen dabei Séverines Phantasien und die vermeintliche „Realität“ (die sich zum Schluß ebenfalls als ein Hirngespinst Séverines entpuppt) ineinander und lassen „Belle de Jour“ wie einen einzigen surrealen Traum erscheinen.
Immer wieder geht Bunuel auch ganz persönlichen Obsessionen nach, wie zum Beispiel seiner Haßliebe zur katholischen Kirche: Bevor Séverine sich im Bordell vorstellt, zeigt eine kurze Szene, wie sie als Kind beim Abendmahl die Hostie verweigerte. Und auch die Beunderung des Regisseurs für den Marquis de Sade findet in „Belle de Jour“ ihren Ausdruck: Einmal wird Séverine von ihrem Mann an einen Baum gebunden und von zwei Dienern gepeitscht, in einer anderen Sequenz lädt sie ein Herzog zu einer makaberen erotischen Zeremonie auf sein Schloß, bei der sie sich – nackt bis auf einen schwarzen Schleier – in einen Sarg legen muß. Genervt war Bunuel übrigens von der Einfallosigkeit seiner zeitgenössischen Interviewpartner: Alle hätten sie wissen wollen, was sich denn nur in dem ominösen Kästchen eines asiatischen Bordellkunden befinde, von dem sich die Mädchen mit Schaudern abwenden. „Was immer Sie wollen“, pflegte der Regisseur dann zu antworten.
Im Bordell trifft Séverine dann auch Husson als Kunden wieder, den ihre plötzliche sexuelle Verfügbarkeit jedoch nicht stimuliert: „Was mich an Ihnen so gereizt hat, ist Ihre Unnahbarkeit.“ Und wer könnte im französischen Kino Unnahbarkeit überzeugender verkörpern als Catherine Deneuve?
Von der eisigsten zur wärmsten französischen Schauspielerin vergangener Tage: Zu Beginn noch mit einer kalten griechischen Statue verglichen, ist es doch gerade die Lebendigkeit Jeanne Moreaus, die sie in Francois Truffauts ungewöhnlicher Dreiecksgeschichte „Jules und Jim nach einem Roman von Henri-Pierre Roché zum Objekt der Begierde von Oskar Werner und Henri Serre werden läßt. Doch nicht die Eifersucht, sondern gerade ihre Abwesenheit, sowie die Tatsache, daß die Freundschaft der Männer stärker ist als die Liebe zur Femme fatale, wird sich am Ende als verhängnisvoll erweisen.
Lars Penning
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