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Filmstarts à la carte Der doppelte Gynäkologe

Anfangs teilen die Zwillinge Beverly und Elliot Mantle (Jeremy Irons in einer Doppelrolle) noch alles: dieselbe Wohnung, die Arbeit in der gemeinsamen gynäkologischen Klinik - und ihre ahnungslosen Liebschaften. Doch irgendwann geht das zynische Spiel schief: Die Schauspielerin Claire (Geneviève Bujold) entdeckt die bei aller äußerlichen Ähnlichkeit doch recht unterschiedlichen Charaktere der Brüder. Claires Einfluß auf den labileren Beverly stürzt das geregelte Universum der Mantle-Zwillinge ins Chaos, der zaghafte Abnabelungsversuch vom Bruder endet in Verfall, Wahnsinn und Tod. David Cronenberg setzt in „Die Unzertrennlichen“ nicht auf plakativen Horror, sondern auf zunehmende Irritation: Da gibt es unter anderem das grelle Rot der Operationsszenen in einer ansonsten eher blau-grauen Welt, die beunruhigenden chirurgischen Instrumente, deren Formen bereits Beverlys Wahn entspringen, und eine Nass-Rasur, die geradezu monströse Züge annimmt. Subtil und verstörend.

„Die Unzertrennlichen“ (OF) 20.4.-26.4. im Kino in der Brotfabrik

Claude Chabrol hatte keine Scheu, Alfred Hitchcocks Kriminalkomödie „Über den Dächern von Nizza“ in einem Atemzug mit „Psycho“, „Vertigo“ und „Notorious“ als ein Beispiel für Hitchcock- Filme zu benennen, in denen die Personen ein Opfer ihrer Besessenheit sind. Und tatsächlich: Unter der glitzernden Oberfläche mit den Riviera-Postkartenansichten in Technicolor verbirgt sich eine düstere Studie über sexuelle Obsessionen: In „Marnie“, so erklärte Hitchcock einst, wolle ein Mann mit einer Diebin schlafen, weil sie eine Diebin ist. „Über den Dächern von Nizza“ erweist sich als das Gegenstück aus der Sicht einer Frau: Francie Stevens (Grace Kelly) will sich von John Robie (Cary Grant) die Jungfräulichkeit rauben lassen, weil sie ihn für einen Dieb hält. Schon der Originaltitel „To Catch a Thief“ beinhaltet eine Doppeldeutigkeit: Einerseits muß der Ex-Dieb John Robie einen Einbrecher entlarven, der seine Arbeitstechnik exakt kopiert. Andererseits wird Robie selbst von Francie eingefangen. Diebstahl und Sex werden von Hitchcock in der Schlüsselszene des Films gleichgesetzt: Bei einem Tête- à-tête in ihrem Zimmer bietet Francie recht unverhohlen ihre „Juwelen“ an. Das Brilliantenkollier erkennt der ehemalige Dieb sofort als Imitation, die hübsche junge Frau ist allerdings ganz real - auch wenn es einige Zeit braucht, bis der passive Robie, der eigentlich vor allem seine Ruhe haben will, das bemerkt.

„Über den Dächern von Nizza“ 22.4.-23.4. im Filmkunsthaus Babylon

Ein düsterer Film über ein trauriges Leben: In nicht immer chronologischen Rückblenden entwirft Jazz-Fan Clint Eastwood in „Bird“ ein melancholisches Bild vom Wirken des berühmten Bebop- Saxophonisten Charlie Parker zwischen finsteren Absteigen, Heroinsucht und musikalischen Höhenflügen. In der Verkörperung durch Forest Whitaker wirkt der bereits im Alter von 34 Jahren verstorbene Musiker trotzig, störrisch und wenig kompromißbereit: Eine selbstzerstörerische, tragische Figur, der auch seine Frau (Diane Venora) letztlich keinen Halt zu geben vermag.

„Bird“ 20.4.-21.4., 23.4. im Filmkunst 66 œ

In Bildkompositionen, deren Kadrage und Lichtgestaltung an Gemälde der Barockzeit erinnern, erzählt Carl Theodor Dreyer in „Tag der Rache“ von der Liebe einer jungen Pastorenfrau zu ihrem fast gleichaltrigen Stiefsohn. Doch im 17. Jahrhundert, in einer Ära fanatischer Religiosität und Bigotterie, muss dieser plötzliche Ausbruch von Lebensfreude im Haus des Priesters tragisch enden: auf dem Scheiterhaufen.

„Tag der Rache“ 20.4.-21.4 im Filmkunsthaus Babylon

Lars Penning

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