Filmstarts à la carte: Realistischer Hintergrund
Die Schlagzeile seines Nachrufs kennt Richard Lester schon heute: „Beatles-Regisseur gestorben.“ Ganz aus der Luft gegriffen ist die sarkastische Prophezeiung des gebürtigen Amerikaners nicht: Tatsächlich ist sein Name vor allem mit den beiden Beatles-Spielfilmen „A Hard Day‘s Night“ und „Help!“ verbunden, die in den 60er-Jahren erheblich dazu beitrugen, die Fab Four in den Augen ihres Publikums als intelligente, kreative und ungemein witzige Individuen zu etablieren. Die Zutaten der Beatles-Filme - die Mischung aus surrealen Sketchen und Fake-Dokumentation, das halsbrecherische Tempo, der Hang zum experimentellen Slapstick sowie eine Ästhetik, die mit Handkamera, Jump-Cuts und Reißschwenks auch von Lesters Erfahrungen als Werbefilmer kündet - finden sich auch in jener Produktion wieder, die 1964 zwischen „A Hard Day‘s Night“ und „Help!“ entstand: „The Knack ... and How to Get It“ beschreibt die Reise eines naiv-neugierigen Mädchens aus der Provinz (Rita Tushingham) durch das „Swinging“ London jener Tage, wo sie auf der Suche nach dem Christlichen Verein Junger Mädchen vornehmlich auf Sex-Maniacs trifft - und auf den verklemmten Colin (Michael Crawford), der den „gewissen Kniff“ bei den Mädchen noch nicht herausgefunden hat. Nur dass man dazu ein überbreites Bett benötigt, glaubt er zu wissen - zunächst wird die gewaltige Liegestatt auf Rädern von den Protagonisten jedoch als Trampolin und Reisegefährt zweckentfremdet. Und inmitten des übermütigen Unsinns finden sich immer wieder die Bilder von den überraschten, mit versteckter Kamera eingefangenen Passanten, die das Treiben mit - natürlich von Lester erfundenen - Bemerkungen kommentieren. Dass „The Knack“ eigentlich auf einem Theaterstück beruht, lässt sich bei der Fülle der Sight-Gags nicht mehr erkennen. Fängt „The Knack“die Atmosphäre des Swinging London ein, so entwickelt sich in „Petulia“ die Beziehung einer von ihrem Mann missbrauchten Frau (Julie Christie) zu einem sensiblen Arzt (George C. Scott) vor dem Hintergrund des San Francisco der psychedelischen Ära. Von Nicolas Roeg brillant fotografiert beweist sich auch in diesem Drama Lesters Fähigkeit, seine (manchmal in surreale Höhen abhebenden) Geschichten auf eine vollkommen realistische Basis zu stellen. Eine umfangreiche Werkschau mit Filmen von Richard Lester zeigt das Filmkunsthaus Babylon im Oktober; zu den Vorstellungen von „Help!“ und „Petulia“ am 5. 10. und 6. 10. wird der Regisseur selbst anwesend sein.
„The Knack ... and How to Get It“ 8.10., „Help!“ (OmU) 5.10., „Petulia“ 6.10., 10.10. im Filmkunsthaus Babylon 1
Seiner Entstehungszeit verhaftet ist auch John Boormans amerikanischer Gangsterfilm „Point Blank“ (1967), in dem der coole Lee Marvin als gerade aus dem Knast entlassener schwerer Junge seine Rache an dem Mann sucht, der ihn einst verraten hatte. An der Kinokasse fiel der heutige Klassiker allerdings durch: Das Publikum hatte wohl einen geradlinigen Genrefilm erwartet - doch der Ire Boorman schuf eine Reflexion über ein kaltes, hoch technisiertes Amerika, mit verwickelten Rückblenden, Jump-Cuts und all jenen filmischen Mittel, die bei simpel gestrickten Gemütern so gern für Verwirrung sorgen. Faszinierend ist auch Boormans Umgang mit dem Ton: Während einer Parallelmontage, die abwechselnd Marvin auf dem Weg zur Wohnung seiner Frau (wo er den Verräter vermutet) und die Gattin beim Schminken, im Schönheitssalon und bei ihrer Heimkehr zeigt, steigern sich seine unerbittlich hallenden Schritte zu einem wahren Crescendo, das sich schließlich in sinnloser Wut entlädt: Marvin bricht in die Wohnung ein und gibt Schüsse auf das leere Bett ab.
„Point Blank“ 5.10.-8.10. im Regenbogenkino
Ganz ohne Jump-Cut, ja sogar völlig ohne Schnitt kommt Andy Warhol aus, der mit „The Velvet Underground and Nico“ eine Art Experimental-Dokument geschaffen hat. Während die berühmte Rockband um Lou Reed und John Cale sich in einer einstündigen, nicht übermäßig melodiösen Improvisation ergeht, zoomt und schwenkt Warhol geradezu entfesselt mit der Kamera herum. Das Programmheft des Arsenal-Kinos spricht von „intensiver Seherfahrung“ - dem ist tatsächlich nichts mehr hinzuzufügen.
„The Velvet Underground and Nico“ (OF) 7.10. im Arsenal 1
Lars Penning
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen