Filmstart von „Jersey Boys“: Punktuelles Outrieren
Clint Eastwood hat das Musical „Jersey Boys“ verfilmt: eine Hommage an Frankie Valli und die Four Seasons. Bonus: Christopher Walken darf mitshaken.
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Was ist das bloß für eine Stimme? Einmal hoch und glockenhell, dann wieder rau wie Schmirgelpapier, nahe am Krächzen und Kippen. Den örtlichen Mafiapaten rührt sie zu Tränen, den lokalen Radio-DJ treibt sie in seligen Wahnsinn: „Sind das vier Schwarze? Ist das eine Frau mit drei Männern?“ Nein – es ist Frankie Valli mit den anderen drei harmonisch einfallenden Mitgliedern der Four Seasons, die in den 1960er Jahren von Newark, New Jersey, aus die Hitparaden erobern.
Die lebenslängliche Verankerung des später gefeierten Quartetts in seiner italoamerikanisch geprägten, proletarischen Nachbarschaft spiegelt sich im Titel „Jersey Boys“ wider. So hieß schon das preisgekrönte Bühnenmusical, auf dem nun Clint Eastwoods jüngster Kinofilm basiert. Und dieses Milieu – samt Christopher Walken als Mobster Gyp DeCarlo – bildet auch das Rückgrat der Erzählung, an dem Evergreens wie „Sherry“, „Big Girls Don’t Cry“, „Walk Like A Man“ oder „Can’t Take My Eyes Off You“ befestigt sind. „Jersey Boys“ ist schließlich ein sogenanntes Jukebox-Musical, das (wie „Mamma Mia!“) immer schon von einem etablierten (pop-)musikalischen Repertoire ausgeht.
Die Erzählung und die Figuren sind dementsprechend schematisch: beruflicher Aufstieg und privater Fall; Freundschaft, Verrat und Versöhnung; unerschütterliche Integrität unseres Helden Frankie; mit den Jahren und Moden wechselnde Haarteil- und Kostüm-Extravaganzen. Regisseur Eastwood setzt auf eine gelassen-gediegene Inszenierung, die an vergangene Zeiten und Hollywood-Studiokino gemahnt. Aber weil sich einzelne Figuren in „Jersey Boys“ immer wieder auch direkt in die Kamera, ans Publikum wenden, entsteht ohnehin ein Distanzierungseffekt und somit weder ein klassisches Musikanten-Biopic noch ein großes Sozialdrama.
Roter Teppich für den Sound
„Jersey Boys“. Regie: Clint Eastwood. Mit Christopher Walken, Vincent Piazza u. a. USA 2014, 134 Min.
Gerade in Hinblick auf die Musiknummern funktioniert dieses Erzählkonzept gut, das äußerlich der Chronologie der Ereignisse folgt, von den Anfängen des singenden Friseurlehrlings Francesco Stephen Castelluccio in den frühen 1950er Jahren bis zur Aufnahme der Four Seasons in die Rock-and-Roll-Hall-of-Fame anno 1990: Eastwood ist bekennender Musikliebhaber und hat sich bereits mit dem Charlie-Parker-Biopic „Bird“ 1988 bewährt; er rollt den Songs einen roten Teppich aus. Sie werden hochkonzentriert und zugleich furios dargeboten.
Snappy, auf den Punkt, aber dabei nicht glattpoliert in Harmoniegesang und synchroner Beinarbeit. Die handwerkliche Perfektion ist erst die Voraussetzung, das Alberne, Kindische, Antiquierte genauso wie das Überbordende, Wilde, Uneindeutige, Queere zu inkludieren, mit dem die grundsätzlich jugendfrei ausgerichtete Musik der Four Seasons immer wieder überrascht.
Die Darsteller seiner Four Seasons hat Eastwood – mit Ausnahme von Vincent Piazza, der Tommy DeVito spielt – aus der Bühnenfassung übernommen: Erich Bergen als Songschreiber Bob Gaudio, Michael Lomenda als Nick Massi und natürlich John Lloyd Young als Frankie Valli. Neben der erwähnten Brillanz als Showmen haben diese vier überhaupt keine Scheu vor punktuellem schauspielerischem Outrieren: Wie Letzteres bruchlos mit outrage zusammenhängt, zeigt Lomenda in einer großartig hölzernen Empörungsperformance.
Und am Ende gibt es noch eine veritable Musical-Hommage, alles tanzt in den Studiostraßen – und Broadwayveteran Christopher Walken darf aus der Mafiapatenrolle fallen und auch ein bisschen mitshaken.
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