: Filmhauptstadt London
■ London Calling, der 5. internationale filmhistorische Kongreß fragt nach "Gastarbeitern" im britischen Kino der 30er Jahre
, der 5. internationale filmhistorische Kongress
fragt nach „Gastarbeitern“ im britischen Kino der 30er Jahre
Bis ein Film in ein Hamburger Kino gelangt, kann eine Menge Zeit vergehen. Daß der Musikfilm Pagliacci nach einer Oper von Leoncavallo erst nach 55 Jahren seine Hamburger Erstaufführung erlebt, ist die Ausnahme, die noch heute von der damaligen Isolation der deutschen Filmindustrie in Europa zeugt. Der 1936 von Karl Grune in London gedrehte Film mit dem Goldkehlchen Richard Tauber in der Hauptrolle wird jetzt im Rahmen von London Calling gezeigt, so der Titel des 5. internationalen filmhistorischen Kongresses, den
1das Hamburgische Centrum für Filmforschung Cinegraph vom 19. bis 22. November ausrichtet.
Das Centrum, das seit 1984 das Lexikon zum deutschsprachigen Film herausgibt, organisiert die Kongresse seit 1988. Waren diese bisher stets monografisch einzelnen Filmschaffenden wie dem Regisseur und Schauspieler Reinhold Schünzel oder dem Regisseur, Autor und Produzenten Joe May gewidmet, befaßt sich London Calling mit der Situation einer ganzen Gruppe von unterschiedlichen Regisseuren und Produzenten im britischen Kino der
130er Jahre, das für viele Emigranten aus Nazi-Deutschland der erste Fluchtpunkt wurde. Doch nicht nur Deutsche, die vor der Nazi-Verfolgung flohen, auch Filmer aus Osteuropa und der zerfallenen österreichischen Monarchie suchten und fanden in London Arbeit. Denn der zu dieser Zeit expandierenden und auf den Weltmarkt zielenden britischen Filmindustrie mangelte es erheblich an qualifizierten Arbeitskräften. Engländer und Deutsche, Österreicher und Ungarn versuchten gemeinsam, in London ein multikulturelles Produktionszentrum aufzubauen, das als Vorbild Hollywood in Kalifornien hatte.
Der Kongress London Calling richtet sich ausschließlich an etwa 40 Fachleute, Filmhistoriker, Mitarbeiter von Filmmuseen und Archiven, die bis Sonntag im Filmhaus tagen werden. „Bei anderen Filmkongressen steht eher die Repräsentation im Mittelpunkt“, erklärt Mitorganisatorin Conny Voester vom Cinegraph, „bei uns hat sich ein Stamm von Fachleuten herausgebildet, die regelmäßig an den Treffen teilnehmen.“ Inzwischen habe sich die Tagung zu einem Fachleutetreffen und einem internen Forum entwickelt, das interna-
1tionales Renommee genießt.
Das „zweite Gesicht des Kongresses“, so Conny Voester, ist das Programm, das in diesem Jahr aus elf Filmen besteht, die für alle Interessierten Einblicke in die dama-
1lige Filmproduktion geben. Dank inzwischen guter Kontakte gelang es den Organisatoren, sehr seltene Kinostücke auszugraben, zum Beispiel Arthur Robinsons Film The Informer von 1929. jk
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen