Filmfestspiele von Cannes: Nachhaltige Strategien fürs Essen

Cannes 8: Regisseur David Cronenberg beschäftigt sich auf den Filmfestspielen mit den Körpern und der Körperkunst der Zukunft.

David Cronenberg mit seinen Darstellern Viggo Mortensen, Lea Seydoux und Kirsten Stewears Foto: Piroschka van de Wouw/reuters

Wie sieht die Kunst von morgen aus? Für den kanadischen Body-Horror-Altmeister David Cronenberg liegt der nächste Schritt der Performancekunst im Erkunden von Innenwelten. Das geht bei ihm grafisch sehr direkt zu. In seinem Wettbewerbsfilm „Crimes of the Future“, mit dem er in Cannes angetreten ist, hilft die Chirurgie den Künstlern beim Öffnen von Körpern, um Organe zu tätowieren oder zu entfernen. Damit greift er Motive früherer Filme wie „eXistenZ“ (1999) oder „Crash“ (1996) auf.

Saul Tenser (Viggo Mortensen) und Caprice (Léa Seydoux) bilden in dieser Geschichte ein eigenwilliges Künstlerpaar. Die Welt, in der sie in einer nicht näher bestimmten Zukunft leben, bringt die Menschen dazu, auf seltsame Weise zu mutieren und neue Organe hervorzubringen.

Saul entwickelt so viele dieser anscheinend funktionslosen Körpererweiterungen, dass er irgendwann beschlossen hat, sie entfernen zu lassen und die Prozedur als Kunst zu inszenieren. Caprice verfügt als Chirurgin über die nötigen Kenntnisse.

Meldebehörde für neue Organe

Bei einer eigens eingerichteten Meldebehörde für neue Organe lässt er ein Verzeichnis seiner „Schöpfungen“ einrichten. Die beiden Mitarbeiter der Behörde, eine davon gespielt von Kristen Stewart, zeigen sich spontan fasziniert und kommen gleich zu einer der nächsten Performances von Saul und Caprice.

Diese werden in heruntergekommenen Gebäuden abgehalten, wie überhaupt alle Architekturen in diesem Film, innen wie außen, etwas Verfallenes haben. Nach Zukunft sehen lediglich einzelne Möbel aus, Betten und Stühle, die eher an lebendige Organismen als an leblose Materie erinnern.

So auch das Herzstück der Arbeit von Saul und Caprice, der „Sark“, ein sargähnliches amorphes Gebilde, an dem ferngesteuerte Skalpelle die nötigen Schnitte vornehmen. Die Grenzen von Kunst und SM-Darbietungen verlaufen dabei fließend, besonders ansehnlich ist es nicht, wenn man das Duo in Aktion erlebt. Diesen Zusammenhang mit Fetischen der besonderen Art stellt Cronenberg im Film deutlich heraus, wenn wiederholt die Rede davon ist, dass „Chirurgie der neue Sex“ ist.

Eine weitere Ebene der Körperveränderung kommt mit der Figur Lang Dotrice (Scott Speedman) hinzu. Er gehört zu einer Gruppe von Menschen, die ihre inneren Organe durch technische Apparate ersetzt haben. Sie können dadurch den Industrieschrott verdauen, der überall anfällt. Ihre optisch an Schokoriegel ausgerichteten Nahrungsmittel sind für normale Menschen unverdaulich.

Satire auf den Kunstbetrieb?

Wenn man „Crimes of the Future“ als Satire auf den Kunstbetrieb begreift, ist vermutlich auch der Film besser verdaulich. Denn vieles in ihm ist von einer bizarren Komik, die den Schrecken mehr als ausgleicht. So spricht Saul Tenser ständig mit gepresster Stimme und gibt allerhand gurgelnde Laute von sich.

Und wäre da nicht der Aspekt der High-Tech-Ernährung mit nachhaltiger Perspektive, könnte man dem Film, der auf ein fast 20 Jahre altes Vorhaben Cronenbergs zurückgeht, vorwerfen, dass viele der gezeigten Körperveränderungen – mutwillige zugefügte Narben, Objekte unter der Haut – in bestimmten Kreisen längst Praxis sind und zum Teil in anderen Kulturen schon Tradition haben. Bloß das Körperinnere scheint noch als Grenze geblieben zu sein.

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