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Filmfestspiele in VenedigMit der Axt auf den Anzug

Der spanische Regisseur Pedro Almodóvar adaptiert Jean Cocteaus Stück „The Human Voice“. Ein anderer Film erinnert an das Srebrenica-Massaker.

Pedro Almodovar in Venedig Foto: Domenico Stinellis/ap

B ei einem neuen Film des spanischen Regisseurs Pedro Almodóvar ist mit großem Interesse des Publikums zu rechnen, selbst wenn es „bloß“ ein Kurzfilm ist. Da überraschte es nicht, dass die Schlangen am Donnerstagmorgen vor dem Festivalgelände auf dem Lido deutlich länger waren als am Vortag. „The Human Voice“, frei nach Jean Cocteaus gleichnamigem Stück, läuft gerade mal eine halbe Stunde lang. Dieser Monolog wird allerdings von Tilda Swinton mit beinahe furchterregender Präsenz gefüllt.

Am Mittwoch hat die schottische Schauspielerin in Venedig den Ehrenlöwen für ihr Lebenswerk von der Jurypräsidentin Cate Blanchett überreicht bekommen. Der kurze große Auftritt in Almodóvars Film, der selbst schon eine Hommage an die Darstellerin ist, war einer der ersten großen Momente der Filmfestspiele, mit einer wunderbar neurotischen Swinton in der Rolle einer Frau, die den Anruf ihres ehemaligen Geliebten erwartet, ausgestattet mit einer Axt, um in der Zwischenzeit den auf dem Bett ausgebreiteten Anzug des Abwesenden zu malträtieren.

Ihre einzige lebendige Gesellschaft ist ein Hund, der sein Herrchen ebenfalls erwartet und ähnlich leidet wie die Frau. Irgendwann klingelt es endlich. Swinton gibt die Verlassene während des Gesprächs zunächst scheinbar kontrolliert, dann verzweifelt wütend, dann flehend offen. Dazu kleidet Almodóvar sie in schrille Farben. Orange, Blau, Rot, die dem quietschbunten Inventar der Wohnung samt rosa Smeg-Kühlschrank und roter Krups-Kaffeemaschine (Schleichwerbung!) in nichts nachstehen.

Man meint diese Wohnung aus Almodóvars Spielfilm „Leid und Herrlichkeit“ zu kennen. Hier ist sie jedoch zu sehen als Bühnenbild eines Sets, das die Kamera immer wieder in den Blick nimmt. Swinton nimmt sich nach und nach den gesamten Raum des Studios, bis zum flammenenden Finale.

Der zweite große Moment in Venedig war bisher der Kriegsfilm „Quo vadis, Aida?“ der bosnischen Regisseurin Jasmila Žbanić. Diese schildert die Tage des Massakers von Srebrenica im Juli 1995 aus der Sicht der bosnischen Übersetzerin Aida (Jasna Đuričić), die für die UN zwischen der bosniakischen Bevölkerung und den holländischen Blauhelmen vermittelt. Der Film zeigt die Ereignisse aus der Sicht Aidas, von der Eroberung Srebrenicas durch bosnisch-serbische Einheiten bis zu den Erschießungen von bosniakischen Zivilisten.

In Žbanićs Erzählung sieht man die hilflosen Bewohner Srebrenicas, die nach der Flucht aus ihrer Stadt auf und vor dem Gelände der Blauhelme ausharren, mit Aida, die versucht, ihre Familie vor dem Abtransport durch bosnisch-serbische Truppen zu bewahren. Der Kommandant der Blauhelme Thomas Karremans (Johan Heldenbergh) wirkt ebenso hilflos. Ein Ultimatum, das den bosnisch-serbischen Einheiten gestellt wurde, verstreicht folgenlos, er verlangt Luftschläge, die jedoch unterbleiben. (Die Drohungen von bosnisch-serbischer Seite, bei Luftschlägen die Zivilbevölkerung anzugreifen, erwähnt der Film nicht.)

General Ratko Mladić (Boris Isaković) bekommt mehrere gruselig wurstige Auftritte, er ist als Manipulator zu erleben, der Zivilisten mit Toblerone und Cola für sich einzunehmen versucht, ohne eine Miene zu verziehen. Das Zentrum des Films bleibt aber Đuričićs Aida, die verhärmt und verletzlich zugleich wirkt in ihrer ausweglosen Rolle als Übersetzerin.

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Kulturredakteur
Jahrgang 1971, arbeitet in der Kulturredaktion der taz. Boehme studierte Philosophie in Hamburg, New York, Frankfurt und Düsseldorf. Sein Buch „Ethik und Genießen. Kant und Lacan“ erschien 2005.
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2 Kommentare

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  • Jean Cocteau hat nicht das Stück „The Human Voice“ geschrieben, sondern "La voix humaine".

  • Nach der kurzen Beschreibung klingt"Quo vadis, Aida?" nach nem typischen staatlich finanzierten Gut-Böse-Bestätigungsfilm ohne Distanz, ohne Lücken, ohne die Möglichkeit des Schauens, sprich der Film klingt nach öder Propaganda, an dem sich diejenigen sattsehen, die das sehen, was sie sehen wollten. Mit Filmkunst scheint das nichts am Hut zu haben.