Filmfestspiele in Cannes: Wo soziale Härte auf Magie trifft
Schräge Vögel und ein Hochglanz-Antikendrama aus der Zukunft: Die Filmfestspiele haben ihren ersten starken Film des Jahrgangs.
Der Wettbewerb der 77. Ausgabe von Cannes mag etwas schwerfällig in Gang gekommen sein, doch er hat schon einen starken Film. Selbst wenn es auch bei diesem ein paar Abstriche zu machen gilt. Mit „Bird“ steuert die britische Regisseurin Andrea Arnold den zweiten Film unter den Palmenanwärtern bei, der in unterprivilegierten Verhältnissen und in einer Hafenstadt spielt, ganz wie in Agathe Riedingers „Diamant brut“.
Bei Arnold ist der Ort der Handlung das britische Gravesend nahe London in der Grafschaft Kent, wo die zwölfjährige Bailey (Nykiya Adams) in sehr instabilen Verhältnissen bei ihrem Vater lebt, der mit Mitte 20 selbst fast noch ein Kind ist. Dieser Bug (Barry Keoghan) scheint nicht zu arbeiten, will seine neue Freundin heiraten, und um die Hochzeit zu bezahlen, besorgt er eine Coloradokröte, die einen halluzinogenen Schleim absondert, den er als Droge zu verkaufen plant.
Bailey treibt durch den Tag, ob sie zur Schule geht, ist nicht Thema des Films. Als sie einmal wütend vor ihrem egozentrischen Vater davonläuft und die Nacht auf einer Wiese verbringt, kommt ihr dort am nächsten Morgen ein sonderbarer Mann entgegen.
Der nennt sich „Bird“ und sieht aus wie Franz Rogowski, weil er von ihm gespielt wird. Anfangs misstrauisch, folgt sie diesem Bird in die Stadt, sieht ihn nachts auf dem Dach eines benachbarten Hochhauses sitzen, wie ein echter, bloß sehr schräger Vogel. Nach und nach freundet sie sich mit ihm an.
Vogelmotiv bleibt Konstante
Schon in der ersten Einstellung des Films sind Vögel zu sehen, gefilmt von Bailey mit ihrem Telefon. Dann landet eine Möwe unmittelbar in ihrer Nähe, so als wolle sie Kontakt aufnehmen. Das Vogelmotiv bleibt eine Konstante in „Bird“, und während Arnold einerseits die harte, zum Teil schwer zu ertragende Realität ihrer Hauptfigur zeigt, erlaubt sie sich andererseits mit der Figur des Bird einen losen Umgang mit Magie, bei der nicht immer alles restlos aufgeht. Aber dann wäre der Zauber ja ohnehin verflogen.
Toll ebenfalls die Musik, die da, wo keine Songs zum Einsatz kommen, vom britischen Dubstep-Produzenten Burial beigesteuert wird. Sie unterstreicht das Rohe und Dringliche des Films. Unter der verwendeten Musik ist zum Beispiel das britische Electropunk-Duo Sleaford Mods, deren Sänger Jason Williamson zudem in einer Nebenrolle zu sehen ist.
Weniger toll hingegen das Spätwerk „Megalopolis“ von Altmeister Francis Ford Coppola, eine Geschichte aus einem New York der Zukunft mit Figuren aus dem antiken Rom – Cesar, Cicero und Crassus heißen seine Protagonisten, gespielt von Adam Driver, Giancarlo Esposito und Jon Voight. Cicero ist der Bürgermeister der Stadt, Cesar ein Architekt mit großen Plänen für deren Renovierung und Crassus ein Bankier mit Ähnlichkeiten zu Donald Trump.
Coppola rührt in diesem Monumentalfilm allerhand zusammen, Intrigenstoff nach shakespeareschem Vorbild, die populistischen Anwürfe, von denen die USA sich bedroht sehen, utopische Städtebauvisionen, klassische Zitate wie Catull und das alles in einer Hochglanzästhetik, die regelmäßig von trashigen Bildcollagen durchbrochen wird, die mal nach halbgarer Science-Fiction und mal nach schlecht gefrühstückt aussehen.
Frauenrollen hat Coppola sich übrigens keine wirklich überzeugenden einfallen lassen. Da ist die tugendhafte Julia (Nathalie Emmanuel), die Tochter Ciceros mit Neigung zu Cesar, und die korrupte Reporterin Wow Platinum (Aubrey Plaza) mit Neigung zu nichts anderem als Macht. Wie es dazu kam, dass Coppola die Sache selbst finanziert hat, kann man sich gut vorstellen, wenn man den Film gesehen hat. Warum er im Wettbewerb laufen muss, weniger.
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