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Archiv-Artikel

Filmen, um den Schmerz zu besiegen

Anlässlich des heutigen „Tags der Menschenrechte“ stellt der kolumbianische Regisseur Erick Arellana Bautista in Köln den Film „N.N. – den Verschwundenen eine Stimme“ vor. Auch Arellanas Mutter fiel den Todesschwadronen der Paramilitärs zum OpferVON SEBASTIAN SEDLMAYR

Wenn Erick Arellana Bautista über das Verschwinden seiner Mutter, ihre Ermordung und ihr Andenken erzählt, nimmt er eine fast förmliche Haltung ein. Sein Sprachfluss wird eintönig, seine Stimme matt, seine Worte amtlich. „Unser Ziel ist die offizielle Würdigung der Opfer und die Bestrafung der Verantwortlichen“, sagt der 29-jährige Kolumbianer. Was er vom heutigen „Tag der Menschenrechte“ hält? „Die Zahl der Menschenrechtsverletzungen sagt nur wenig aus. Die Menschen müssen ihre Geschichte erzählen.“

Die Geschichte der Menschenrechtsverletzung beginnt für Arellana, als er gerade 13 Jahre alt ist. Seine Mutter Nydia Erika Bautista wird am 30. August 1987 in der kolumbianischen Hauptstadt Bogotá von einer Gruppe in Zivil gekleideter Männer in einen Militärjeep gezerrt. Drei bleierne Jahre sollten vergehen, bis Erick, sein Vater und seine Tante die Mutter wiederfanden – in einem Grab mit der Aufschrift N.N., der Abkürzung für die namenlos Begrabenen. Nydia war eine „Militante“ der kleinen Guerilla-Gruppe M-19. Zwei Jahre vor der Entführung hatte die M-19 in einer spektakulären Aktion den Justizpalast von Bogotá besetzt. Die Regierung ließ das Gebäude räumen. 105 Menschen kamen dabei ums Leben.

Vermeintliche Freunde

Als sich Mitte der 80er Jahre die Fälle von „Verschwundenen“ mehrten, formierte sich Widerstand. Die Angehörigen der Opfer organisierten sich, gingen auf die Straße, forderten Informationen über den Verbleib ihrer Kinder, Eltern, Freunde. Sie gründeten die Vereinigung „Asfaddes“, einige verließen ihre Heimat, um die Weltöffentlichkeit über die Zustände in Kolumbien aufzuklären.

„Als meine Mutter verschwand, kehrten uns auch viele vermeintliche Freunde den Rücken. Aber wir lernten gleichzeitig neue, sehr nette Leute kennen“, sagt Arellana. Auch er organisierte sich nach dem Tod Nydias politisch, trat Asfaddes bei. Doch den militanten Weg seiner Mutter ist er nicht gegangen. Der Sohn der ermordeten Guerillera verweigerte den Kriegsdienst, engagierte sich stets pazifistisch und machte die Kamera zu seiner Waffe. Wenn Arellana auf seine Filme zu sprechen kommt, fällt die Förmlichkeit von ihm ab. Er beugt sich nach vorne, seine soeben noch matten Augen glänzen wieder. „Mit den Filmen können wir eine Brücke zwischen den zwei Welten bauen. Wir können hier in Deutschland die Menschen sensibilisieren für die Situation in Kolumbien.“

Zweifelhaftes Glück

Seit ein paar Tagen ist Arellana wieder in Deutschland. Hierher war er 1997 vor den Todesschwadronen der Paramilitärs geflohen, die auch ihn wegen seiner Arbeit bei Asfaddes bedroht hatten und noch immer bedrohen. Drei Jahre lang studierte er in Kassel visuelle Kommunikation. Dann kehrte er zurück nach Kolumbien, um einen Film über das Schicksal seiner Mutter zu drehen. Arellanas Vater sollte eine Hauptrolle spielen. Doch er starb noch vor Beginn der Dreharbeiten an einem Herzinfarkt.

Arellana hat trotzdem einen Film gemacht. „N.N. – den Verschwundenen eine Stimme“ ist ebenso unvollendet wie die Suche nach den Opfern der Militärs und Paramilitärs. Die Angehörigen der N.N., die in Arellanas Film zu Wort kommen, lassen erahnen, wie grauenhaft die Ungewissheit sein muss. Der Dokumentarfilm ist unter den Aspekten der Filmkunst sicher kein Meisterwerk. Aber der Inhalt reicht vollkommen aus, um die Zuschauer in einen Grauen erregenden Bann zu ziehen.

Acht Jahre nach Nydias Ermordung wurde der General entlassen, der für ihren Tod verantwortlich war. Ein Offizier aus seiner Brigade, der selbst an den Verbrechen beteiligt war, hatte ausgepackt. Der Gerechtigkeit half er nur kurzfristig auf die Sprünge: Der General ist seit 2002 wieder im Amt.

Immerhin konnte Nydias Identität mit einem DNA-Test bewiesen werden. Das zweifelhafte Glück, die vermisste Person überhaupt zu finden, teilt Arellana mit nur wenigen Angehörigen der rund 3.000 „Desaparecidos“ in Kolumbien. „Seit 1988 kämpfte Asfaddes für ein Gesetz gegen das Verschwindenlassen. Im Juli 2000 wurde es verabschiedet. Doch leider muss es sich erst noch mit Leben füllen“, sagt Arellana.

Wieder referiert der junge Mann so ruhig von seinem Schicksal, als ginge es um eine alltägliche Routinearbeit. Ob er nicht permanent schreien will angesichts der Grausamkeit, die Kolumbiens „Sicherheitskräfte“ seiner Familie und ihm zugefügt haben? Erick Arellana Bautistas Gesicht zuckt nur einen winzigen Augenblick. Dann sagt er, mit geradem Blick: „Ich habe andere Formen gefunden, um zu schreien und zu weinen.“ Zum Beispiel das Filmemachen.

„N.N. - den Verschwundenen eine Stimme“, morgen um 19.30 Uhr in der Luther-Kirche (Südstadt), Martin-Luther-Platz 4, in Anwesenheit vonErick Arellana Bautista. Veranstalter ist die Luther-Kirche (Südstadt) in Zusammenarbeit mit Brot für die Welt und der Kölner Gruppe von amnesty international.

Fotohinweis: ERICK ARELLANA BAUTISTA, 29, macht seit 2000 Dokumentarfilme über „Verschwundene“.