Film über den Mord an Jamal Khashoggi: Die eigene Meinung als Verbrechen
Düster und aufrührend: Bryan Fogels Dokumentarfilm „The Dissident“ versammelt brutale Fakten zur Ermordung des Journalisten Jamal Khashoggi.
Die Gelenke seien kein Problem, aber ob Rumpf und Hüfte wohl in eine Tüte passen, fragt sich einer der Mörder. Für die von ganz oben angeordnete Abschlachtung von Jamal Khashoggi schickte die saudische Regierung am 2. Oktober 2018 ein paar ausgewählte Vollstrecker in ihre Botschaft nach Istanbul. Der Journalist und Regimekritiker wollte dort an diesem Tag seine Papiere für die bevorstehende Hochzeit mit seiner Verlobten Hatice Cengiz abholen. Er verließ das Gebäude bekanntlich nicht mehr lebend. Es sind Dokumente absoluter Kaltblütigkeit, in die der Regisseur Bryan Fogel für seine Doku „The Dissident“ Einblick bekam.
Aus Transkripten, Tweets, Gesprächen mit Cengiz, mit Aktivist:innen, Ermittler:innen, Poliker:innen und Beobachter:innen wie der UNO-Sonderberichterstatterin Agnès Callamard sowie aus Interviews und Aussagen, die Khashoggi selbst in seiner erfolgreichen Laufbahn als Journalist tätigte, hat Fogel den Mord, dessen Vor- und dessen unzureichende Nachgeschichte rekonstruiert: „Wir Saudis haben Besseres verdient“, hört man Khashoggi einmal sagen.
Damals schien der Journalist noch daran zu glauben, durch konsequente Kritik in seiner Heimat etwas verändern zu können. Doch „in Saudia-Arabien gilt eine eigene Meinung als Verbrechen“, sagt Videoblogger Omar Abdulaziz vor Fogels Kamera. Und so schlug der Staat, angeführt vom saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman, zu und entledigte sich dieser Meinung.
Fogel, der im Jahr 2018 in seinem oscarprämierten Dokumentarfilm „Ikarus“ mithilfe eines Selbstversuchs das russische Dopingsystem untersuchte und die Zusammenhänge um das Dopingprogramm der Winterspielen 2014 aufdeckte und der ein paar Jahre zuvor einen Spielfilm inszeniert hatte, bleibt in „The Dissident“ komplett auf der Regieseite: Er komponiert die abscheulichen Fakten um den Mord dramaturgisch wie einen Thriller, inklusive – fast als plot point – einer Tonaufnahme der Tat selbst und einer Abschrift dieser Aufzeichnung.
Worte reichen völlig aus
Dennoch ist sein Film nicht sensationslüstern. Fogel exponiert weder Grausamkeit noch Leid, sondern bemüht sich, formal bei der zumutbaren Präsentation von Fakten zu bleiben. Schnell aufeinanderfolgende Bilder der Transkripte, in denen wichtige Sätze hervorgehoben werden, können die Wirkung der Inhalte dadurch etwas entschärfen: Es braucht kein Bild und kein Reenactment eines brutalen Mordes, um diesen im Kopf der Zuschauer:innen sichtbar werden zu lassen. Worte reichen völlig aus – auch Khashoggi hat schließlich mit Worten gekämpft; und sein in der öffentlichen Kommunikation stark auf Twitter fokussiertes Heimatland ebenfalls.
„The Dissident“. Regie: Bryan Fogel. USA 2020, 119 Min. Läuft als VoD
So ist „The Dissident“ ein relevantes, düsteres und aufrührendes Werk geworden – das politisch eine klare Haltung zeigt: Immer noch folgen dem Mord auf internationaler Ebene keine Konsequenzen, obwohl auch die Aussage der saudischen Regierung, die Tat sei „aus Versehen“ passiert, eindeutig widerlegt wird.
Fogel lässt in seiner Arbeit keinen Zweifel daran, dass die Geschichte nicht abgeschlossen ist. Von wirtschaftspolitischen Zusammenhängen und Verstrickungen des reichen Königreichs mit Ländern wie den USA, wo Khashoggi als Reporter für die Washington Post arbeitete – deren Besitzer, Amazon-Gründer Jeff Bezos, Opfer eines Handyhacks der Saudis wurde –, berichtet Fogel genauso wie von den angespannten Beziehungen der Türkei zu Saudi-Arabien, die zum Engagement der türkischen Regierung für die Aufklärung führten.
Künstliches Tempo
Doch formal bewegt sich der Film mit seinen vielen Videotricks, Texten im Bild, der raunenden, dräuenden Musik und den schnellen Schnitten, die auch bei ruhig Rede und Antwort stehenden talking heads Tempo und Spannung vermitteln sollen, klar in der aktuellen US-amerikanischen Dokumentarfilmschule, die sich seit einiger Zeit vor allem durch das internationale Angebot der VoD-Anbieter durchsetzt.
Eine Debatte, wie sie in Deutschland momentan anlässlich des Skandals um den inszenierten Sexarbeitfilm „Lovemobil“ entstanden ist und deren Strudel fast auch eine aktuelle politische Dokumentation über die Philippinen namens „Die Unbeugsamen“ erfasst hätte, wird in den USA kaum geführt. Sie ist jedoch dort nicht weniger elementar.
Denn die Diskussion darüber, wie viel Authentizität in Dokumentarfilmen nötig ist und inwiefern – neben thematischen Entscheidungen – musikalisch, per Schnitt oder Kameraeinstellung manipuliert werden darf, um eine Regiehaltung zu vertreten, darf gerade in Zeiten, in denen mediale Berichterstattung mit Fake-News-Vorwürfen kämpft, über der Notwendigkeit der Inhalte nicht vergessen werden. Denn es geht dabei nur begrenzt um Sehgewohnheiten und Geschmack, sondern vielmehr um die Frage der Wahrhaftigkeit.
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