Film über Rockband Dinosaur Jr.: Die Menschen attackieren
Bei der US-Rockband Dinosaur Jr. ging es immer um Übersteuerung und Grenzüberschreitung. Das zeigt der Film „Freakscene – The Story of Dinosaur Jr.“.
Was macht eine Band zu einer Ausnahmeband? Warum erscheint ihr Sound originär, dringlich und ergreifend? Warum die und keine andere? Für eine der wichtigsten US-Rockbands überhaupt, Dinosaur Jr., sucht der Film „Freakscene – The Story of Dinosaur Jr.“ nach Antworten auf diese Fragen. Dabei kommen die drei langjährigen Bandmitglieder J Mascis, Lou Barlow und Emmett Jefferson Murphy („Murph“) zu Wort, zudem werden langjährige Weggefährten aus der Indieszene (Kim Gordon, Henry Rollins, Bob Mould) nach dem Geheimnis von Dinosaur Jr. befragt. Darüber hinaus gibt es jede Menge Livematerial und Ausschnitte aus Videoclips.
Gedreht hat den Film der deutsche Regisseur Philipp Reichenheim (aka Philipp Virus). Reichenheim ist sehr nah dran an der Band, J Mascis ist sein Schwager (der Sänger und Gitarrist ist mit der Berlinerin Luisa Reichenheim verheiratet); schon vor der familiären Verbindung waren die beiden befreundet. Der Berliner Filmemacher hat viel mit den Berliner Technopunks Atari Teenage Riot zusammengearbeitet, er hat auch Miron Zownirs Film „Bruno S. – die Fremde ist der Tod“ produziert und zahlreiche Musikvideos gedreht.
„Freakscene – The Story of Dinosaur Jr.“. Regie: Philipp Reichenheim. Deutschland 2020, 80 Min.
Reichenheim steigt noch vor der Bandgründung ein – der Film beginnt mit der Vorgängerband Deep Wound, die J Mascis – damals noch am Schlagzeug – und Lou Barlow Anfang der Achtziger in Massachussetts gründeten. Die Ursprünge der beiden Musiker liegen im Punk und Hardcore, Deep Wound klangen dabei weitaus wüster und weniger melodisch als Dinosaur Jr.. Obwohl J Mascis Lou Barlow offenbar nicht besonders mochte, wollte er, dass der in seiner Band spiele.
Krachig-schrammeliger Sound
Dinosaur Jr. gründeten sich nach dem Ende von Deep Wound 1984, zunächst bloß als „Dinosaur“, ehe eine andere Band, die Supergroup „Dinosaurs“, sie auf dem Rechtsweg zu einer Namensänderung zwang. Sie hängten einfach ein „Jr.“ an ihren Namen. Mit den frühen Alben „You’re Living All Over Me“ (1987) und „Bug“ (1988) haben sie zeitlose Indie-Klassiker eingespielt und ihren typisch krachig-schrammeligen Sound entwickelt.
Man könnte auch sagen: sie haben Grunge vorweggenommen. Die drei Bandmitglieder waren alle auf ihre Art Außenseiter. Der stets mit dünner Stimme und äußerlich regungslos sprechende Mascis erzählt im Film: „Ich war schon in der Mittelstufe schräg drauf, ich wollte aus der Gesellschaft aussteigen.“
Wie besonders diese Band auf vielen Ebenen ist, verdeutlicht dieser Film. Es ging bei Dinosaur Jr. einerseits immer um Lautstärke, um Übersteuerung, um Grenzüberschreitung. Über sein Gitarrenspiel sagt Mascis: „Ich hab immer so laut gespielt, um das gleiche Gefühl wie beim Schlagzeugspielen zu bekommen, und wollte mit Effekten eine gewisse Dynamik erreichen.“ Barlow erzählt: „Ich wollte nie auf der Bühne stehen, um vor Publikum zu spielen, sondern um Menschen zu attackieren.“
Genauso fühlte sich das auch an auf Dinosaur-Jr.-Konzerten: Der dichte Sound aus den Marshall-Türmen hatte immer einen Wahnsinnswumms, durchdrang den Körper voll und ganz. Dabei schafften sie es, trotzdem noch melodisch zu klingen.
Beispiel misslungener männlicher Kommunikation
Besonders ist auch die gegenseitige Abneigung zwischen J Mascis und Lou Barlow. Die beiden mögen sich bis heute nicht, sie sprechen kaum miteinander, was zwischenzeitlich auch zu einer Trennung und neuen Bandbesetzung führte. Schlagzeuger Murph steht teils wie ein (zum Scheitern verurteilter) Mediator dazwischen – im Film beschreiben mehrere die Band als eine Art psychotische Familie.
Kim Gordon, damals mit Sonic Youth oft auf Tour mit Dinosaur Jr., sieht es als ein Beispiel misslungener männlicher Kommunikation an, dass Mascis und Barlow sich nur über die Musik miteinander verständigen: „Sie kommunizieren, und sie kommunizieren auch wieder nicht.“
Dass diese Konstellation – nach der Trennung kamen sie 2005 im Original-Line-up wieder zusammen – so gut funktioniert, dass Dinosaur Jr. noch große Alben wie „Farm“ (2009) und „I Bet on Sky“ (2012) nachlegten, ist das eigentliche Wunder. Eine Erklärung dafür hat Henry Rollins: Die drei hätten einfach irgendwann kapiert, wie groß das ist, was sie als Band zusammen sind – und aus Respekt vor der gemeinsamen Leistung akzeptierten sie die konfliktbehaftete Situation.
Erfreulich an diesem Film ist, dass die O-Töne keine (Selbst-)Beweihräucherungsorgien sind; man hat das Gefühl, die Interviewpartner versuchen zu greifen und begreifen, wer und was Dinosaur Jr. sind. Auch die Ästhetik der Band kommt bestens rüber, dank der Videoclips aus der Frühzeit, der psychedelisch anmutenden neongrünen und lilafarbenen Farbfilter oder wenn man immer wieder sieht, wie sich die Bandmitglieder zwischen den Verstärkertürmen einigeln oder hinter dem Schlagzeug verschanzen.
Für das Triumvirat Mascis/Barlow/Murphy ist die Musik wahlweise Zuflucht, Betäubung oder Aufputschmittel – für ihr Publikum gilt das aber ganz sicher gleichermaßen.
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