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Film über Murat KurnazWelt wahlloser Demütigungen

In dem Film „5 Jahre Leben“ erzählt Stefan Schaller die Geschichte von Murat Kurnaz, der in Guantánamo inhaftiert war. Der Regisseur verzichtet auf gängige Effekte.

Der Regisseur erzählt die Geschichte des ehemaligen Guantánamo-Gefangenen Murat Kurnaz. Bild: Zorro Film / dpa

Das erste Bild zeigt die Silhouette eines Boxers. Dazu hört man eine Stimme, ein Gebet, in dem Schutz von Allah erbeten wird. Es ist keine selbstbewusste spirituelle Anrufung, eher ein monotones Murmeln. In „5 Jahre Leben“ geht es um die Gewalt, die Menschen zu Silhouetten macht, zu Schattenrissen ihrer selbst. „5 Jahre Leben“ erzählt die Geschichte eines Passionswegs. Murat Kurnaz, türkischstämmiger Bremer, wurde 2001 in Pakistan verhaftet und 1.725 Tage in Guantánamo inhaftiert.

Regisseur Stefan Schaller inszeniert diesen Albtraum distanziert, fast kalt. Er will uns nicht überrumpeln. Er verzichtet auf die marktgängigen Effekte, um Gewalt auszumalen, und auch auf moralische Erpressungsmanöver, die uns nötigen, die Täter verkommen, das Opfer edel zu finden. Sein Ethos ist der Respekt vor diesem Fall, die Ästhetik eine Art des analytischen Zeigens. Die brachialsten Folterungen, die Kurnaz erdulden musste, Elektroschocks und fünf Tage Affenschaukel, werden visuell ausgespart.

Man kann Folter nicht 1:1 visualisieren. Wenn es gelänge, wäre es Kitsch. Guantánamo ist ziemlich überzeugend nachgebaut und -inszeniert. Klinische Gänge, klaustrophobische Zellen. Die Wärter brüllen, und prügeln scheinbar wahllos auf Gefangene ein. Doch das Willkürliche ist Teil eines ausgeklügelten Systems von Strafe und Belohnung. Das Ziel ist es, die Gefangenen zu zerbrechen und alles Vertrauen zu ihrer Umgebung zu zerstören.

Sascha Alexander Gersak spielt Kurnaz mit enormer Präsenz: vital, beherrscht, auch rätselhaft. Woher er die Kraft nimmt, die raffinierten Demütigungen zu überstehen, bleibt unserer Fantasie überlassen. Sein Gegenspieler ist Gail Holford (Ben Miles), Verhörspezialist der U.S. Army, mit scharf geschnittenen Gesichtszügen und blütenweißem Hemd, „Ich bin hier, um ihnen zu helfen“, sagt er ruhig, wie ein freundlicher Vater. Als Kurnaz partout nichts gesteht, auch sein Zellennachbar, der ihn bespitzelt, nichts Terrorverdächtiges zu berichten weiß, beginnt das Crescendo des Terrors.

Heavy Metal in der Isolatationsbox

Der Delinquent wird in eine weiße Isolatationsbox mit Glasscheibe gesteckt und mit Heavy Metal Musik malträtiert. Dann wird das glückliche Ende des Martyriums verkündet: Kurnaz darf, endlich als Unschuldiger erkannt, nach Hause. Er sitzt bereits im startbereiten Hubschrauber, um zurück nach Deutschland zu kommen – da reißen in Wärter aus dem Fluggerät, prügeln ihn blutig und sperren in wieder in Isolationshaft.

Holford hat nichts Diabolisches. Er ist ein Techniker der Gewalt, der seinen Job macht. Und der ist getan, wenn der Verdächtige gesteht. Eine professionelle Prozedur, nichts Persönliches. Das Psychologische ist auf ein Minimum beschränkt. Darin ähnelt „5 Jahre Leben“ Kathryn Bigelows „Zero Dark Thirty“, der ebenfalls den Blick auf ein System, die Terrorbekämpfung, scharfstellte. Allerdings produziert „5 Jahre Leben“ keine moralisch ambivalenten Bilder der Folter wie „Zero Dark Thirty“.

Die Arrangements sind kühl, die Bilder oft achsensymmetrisch gebaut, die Kamerafahrten meist langsam. Schaller greift manchmal zur Slowmotion. Doch dies soll nicht Schock oder Mitleid evozieren, es ist ein Mittel, um den Bilderfluss zu rhythmisieren. Auch der komplexe Soundtrack zielt nicht auf die Tränendrüse.

Das Drehbuch fußt auf den Erinnerungen von Murat Kurnaz. Rückblenden, die mitunter wie Träume wirken, bebildern dessen Vorleben in Bremen. Erst ist er ein bulliger, zorniger, junger Mann, Türsteher in einer Disco. Dann wandelt er sich zum Muslim – oder Islamisten.

Es ist, skizzenhaft erzählt, eine typische Biografie einer islamistischen Wende. Allerdings ohne Weichzeichner für den Helden. „Du Schlampe“, fährt Kurnaz eine Freundin an, als er sich vom Disco-Drogenmilieu abwendet. Ob Seral, sein charismatischer Freund in der Moschee, ein religiöser Fundamentalist ist oder mehr, bleibt offen.

Der Leguan, der einzige Vertraute

Die Klimax ist eine Art Duell. In Kurnaz’ Zelle ist gelegentlich ein Leguan, das einzige Wesen, von dem kein Verrat zu befürchten ist. Holford befiehlt: „Töte ihn.“ Weil es in Guantánamo kein Vertrauen geben darf. Nach Folter und Isolationshaft tut Kurnaz, was verlangt wird. Er zerdrückt das Tier, ganz eng angeschmiegt an seinem Körper.

Dies ist ein melodramatischer Moment – und der, in dem Sieg und Niederlage kippen. Der Delinquent versteht, dass der Folterer ihn nur noch quält, weil er nichts gegen ihn in der Hand hat. Das ist, in einer Welt wahlloser Demütigung, eine Erklärung. Es ist der Moment, in dem das Opfer die Machtlosigkeit seines Peinigers erkennt. Und dass hinter der Gewalt kein Geheimnis existiert.

 „5 Jahre Leben“. Regie: Stefan Schaller. Mit Sascha Alexander Gersak und Ben Miles. D/F, 96 Min. Kinostart Donnerstag, 23. Mai.

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14 Kommentare

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  • C
    Chandrika

    Die Türkei wird wohl ihre Gründe gehabt haben, wenn sie sich nicht für ihren Staatsangehörigen verwendet und eingesetzt hat.

     

    Die Deutschen ging das doch überhaupt nichts an, denn zumindest zur damaligen Zeit war Kurnaz kein deutscher Staatsbürger.

     

    Dass er in Deutschland einen Wohnsitz hatte, war doch in diesen Zusammenhang völlig irrelevant.

  • LR
    Lena Reiner

    Der Leguan ist ein Bartagame. Auch wenn Leguane dort heimisch wären, sind sie etwa groß, um durch ein Loch zu passen.

    Das hat Gersak im Gespräch betont und ich weiß langsam, wieso er das erwähnenswert fand. Irgendwie steht nämlich in allen Berichten, die ich finde was von einem "Leguan".

    Warum ich so spitzfindig bin?

    Ich finde, das ist das besondere an diesem beeindruckenden und ruhigen Film. Distanziert erlebe ich ihn nicht. Nur nicht reißerisch ist er. Er ist ruhig, nah dran, detailliert... und geht genau deswegen so unter die Haut, wie es nur wenige Filme schaffen.

    Danke, taz, für die ausführliche Berichterstattung zu Kurznaz.

  • S
    Seehaus

    "von Thomas Trasolt:

     

    Was wollte Kurnaz kurz nach 9/11 in Pakistan? Hat seine Verhaftung und anschließende Sicherungsverwahrung in Guantanamo vielleicht verhindert, dass er sich den Taliban anschloss?"

     

    Chapeau! Das ist der bisher zynischste Versuch einer Erklärung für eine Menschenrechtsverletzung der mir je zu Ohren kam.

    Sie sollten diese Begabung nutzen und Karriere bei den dafür zuständigen Stellen machen. Sie werden es weit bringen.

  • A
    anke

    Sollte es tatsächlich das Ziel der Wärter in Guantanamo ist, "alles Vertrauen der Gefangenen zu ihrer Umgebung zu zerstören", müssen sie scheitern. Schließlich sind sie selber diese Umgebung. Nach ein paar Jahren und diversen "Rückwärtsrollen" sind menschliche Bosheiten genau so vorhersehbar, wie der Sonnenuntergang oder der alljährliche Wintereinbruch. Die Frage ist nicht, ob sie kommen, sondern wann und wie. Und mit dieser Frage kann man sich immerhin befassen.

     

    Klar, Murat Kurnaz hatte seinen Gott. Viel hilfreicher aber war womöglich die Gewissheit, dass man ihn am Leben lassen würden. Zumindest so lange, wie seine Peiniger noch eine Hoffnung hatten. Holford und co. mussten die Fassade der Rechtschaffenheit wahren. Und die verbietet es jedem Profi, Leute umzubringen, denen er nicht wenigstens ein Schuldeingeständnis aus dem Kreuz geprügelt hat. (Das Mittelalter lässt grüßen. Noch kann es nicht persönlich kommen. Auch nicht nach Guantanamo.) Nur: Wer nicht an sich zweifelt der kann auch andere nicht dazu bringen. Und wer nicht zweifelt, der ist stark.

     

    Übrigens: Dieser Film, scheint mir, ist mindestens so sehr ein Film über Gail Holford, wie er ein Film über Murat Kurnaz ist. Die Erklärung für Kurnaz‘ Überleben nämlich ist vergleichsweise einfach. Dass Holford aber "nur seinen Job" macht, ist keine Erklärung, sonder ein einziges großes Rätsel. Wer Kurnaz keine Wahl lässt, ist klar. Wer Holford zwingt, zu tun was er tut, erfährt man offenbar nicht. Und wenn der Regisseur tatsächlich auf alles Gefühlige verzichtet hat, rafft das vermutlich auch der Zuschauer. Dann "kippt" die Sache erneut. Aus dem Täter Holford wird ein Opfer. Und für die Opfer bzw. die Täter hinter ihnen interessieren wir uns brennend. Vor allem dann, wenn wir gerade nichts besseres zu tun haben, als im Kinosessel zu sitzen. Wir sind schließlich Menschen. Nun ja. Zumindest die meisten von uns.

  • HL
    Heike Lindenborn

    Wer Menschlichkeit als positiv besetzt empfindet, ist offenbar nicht nur taub sondern auch blind.

  • D
    DerDemokrator

    Soll man hinschmeissen wenn man gesteckte Ziele nicht erreichen kann oder soll man es wieder und wieder versuchen-auch gegen Anfeindungen von "Freund wie Feind"?

    Wenn nicht kann man sich meiner Meinung nach hinlegen und sterben, denn dann ist das ganze Leben sinnlos und unsere Erde wäre nur das Spielzeug für ein paar wenige Despoten.

     

    Dann hätten von Dschingis Khan über Adolf Hitler bis hin zu Osama bin Laden ja die gewonnen die die Menschlichkeit und den Freiheitsgedanken schon immer mit Füßen getreten haben.

     

    Das darf einfach nicht sein und dafür lohnt es sich zu kämpfen.

     

    Ciao

    DerDemokrator

  • A
    Aaron

    @Thomas Trasolt

    Ich nehme an, sie befürworten dann auch Gefangenlager mit Folter für alle Freiwilligen, die zur Bndeswehr gehen wollen?

    Ok, ist ein provokativer Vergleich, aber für einen überzeugten Antimilitaristen scheint der Unterschied zwischen bewaffneten Terrorgruppen, die im Namen der Religion morden, und bewaffneten Terrorgruppen, die mal mit dem Zweck einem anderen Land die Demokratie zu bringen(als hätten nicht diverse Fehlschläge gezeigt, dass derartige Änderungen nachhaltig nur aus der Bevölkerung selber ausgelöst werden) mal ganz unverhohlen für die abstrakte Sicherheit des eigenen Landes (siehe Zitat Peter Struck), morden, nicht so gewaltig zu sein.

    Ersetze "Deutschlands Sicherheit" durch "Sicherheit der Islamisten" und schon ist es das gleiche egoistische, menschenfeindliche Argument.

  • D
    D.J.

    Ob Herr Kurnaz schuldig oder unschuldig ist, wird wohl niemals herauskommen, möglicherweise handelt es sich hier um einen Graubereich. Jedenfalls im Zweifel für den "Angeklagten".

    Ich vermute übrigens mal, im Film wird zwar die zweifelhafte Rolle der deutschen Regierung thematisiert, aber nicht die schändliche Rolle der türkischen, die für ihren Staatsbürger keinen Finger krumm gemacht hat. Oder sollte ich mich irren?

  • S
    Safra

    Kurnaz, Kurnaz?!

    Ist das nicht der, der als Harz 4 Empfänger nach Afganistan reiste, mit freundlicher, finanzieller Unterstützung eines ihm nur flüchtig bekannten, vom Verfassungsschutz beobachteten Islamisten.

    Kurnaz wird zum Opfer stilisiert, um eigene dumpfe rassistische Ressentiments gegen Amerika zu leben.

    Im übrigen wäre es Sache der Türkei gewesen zu intervenieren.

  • TT
    Thomas Trasolt

    Was wollte Kurnaz kurz nach 9/11 in Pakistan? Hat seine Verhaftung und anschließende Sicherungsverwahrung in Guantanamo vielleicht verhindert, dass er sich den Taliban anschloss? Ist sein Beispiel nicht eine wirkungsvolle Warnung an alle jungen Möchtegern-Gotteskrieger in Deutschland, sich besser nicht dem Islamismus zuzuwenden? Man kann das alles auch anders sehen..

  • R
    reblek

    "Teil eines ausgeklügeltes Systems" - ausgeklügelten

    "Heavy Metal Musik" - Heavy-Metal-Musik

    "ist auf ein Minimuum beschränkt." - Minimum.

    "Dann wandelt er sich zum Muslim – oder Islamisten." - Ist das so beliebig?

     

    DIE REDAKTION: Danke für die Hinweise, die Rechtschreibfehler wurden behoben.

  • SD
    Stimme der Demokratie

    Zur falschen Zeit am falschen Ort. das hört man in diesem Zusammenhang immer wieder.

    Was hat er eigentlich zu dieser Zeit an diesem Ort gesucht?

  • VL
    vergessene Liebe

    ....Und ich wünsche, dass Herrn Murat Kurnatz-

    dem allein wegen seiner friedlichen Haltungen Respekt gebührt...

    Durch diesen Film, sein `wiedereintreten´ in die deutsche Zivilgesellschaft,

    erleichtert und

    positiviert wird !!!

  • VL
    vergessene Liebe

    Dank an Stefan Reinecke ! Der Text ist `objektiv- human und cool´...

    Ist zu hoffen das dieser Film von Stefan Schaller ein `HIT´ in den USA wird!

    ( falls er durch die USA Zensur gelangt..)

    Damit GUANTANAMO -

    als `Sargnagel´

    für die Glaubhaftigkeit der USA Politik-

    abgewickelt wird !