piwik no script img

Film-Nachwuchspreis"Die Jungen suchen die Wahrheit"

Andrea Hohnen sichtet alle eingereichten Filme zu den First Steps Awards. Und erklärt, warum es nie so viele gute Spielfilme gab wie 2007 - und welche ihr am Herzen liegen

Zum Totlachen, sagt Andrea Hohnen: "Ijon Tichy" mit Nora Tschirner Bild: first steps

taz: Frau Hohnen, in einem der nominierten Kurzfilme verhindert ein Mitarbeiter eine Massenentlassung in seiner Firma - der Film heißt "15 Minuten Wahrheit". Haben die jungen Filmemacher den Wahrheitsanspruch für sich entdeckt?

Andrea Hohnen: Wahrheit ist tatsächlich ein Thema, wonach viele in diesem Jahrgang suchen. Vor allem in den Kurzfilmen befassen sie sich auf unterschiedliche Weise mit politischen Themen. Arbeitslosigkeit, Ausländer im Illegalen-Status in Deutschland oder die Kriegsfolgen im ehemaligen Jugoslawien. Bei den Spielfilmen, geht es stärker um die Wahrheit in familiäreren Zusammenhängen. Sie zeichnen genaue psychologische Studien.

Bild: yvonne mohr

Andrea Hohnen studierte Musik in Florenz und Stuttgart sowie Theater-, Film- und Fernsehwissenschaften in Berlin. Sie arbeitete u. a. als Kabarettistin, Theaterregisseurin, Videodozentin, Dokumentarfilmerin. Seit 2000 ist sie bei First Steps.

FIRST STEPS AWARDS

Gelten als: einer der renommiertesten Nachwuchsfilmpreise. Sie werden seit 2000 verliehen.

Kategorien: Kurzfilm, Spielfilm, Dokumentarfilm und Werbespot.

Spielfilm-Jury in diesem Jahr: Ruth Toma (Drehbuchautorin), Burghart Klaußner (Schauspieler), Maria Furtwängler und Nadja Uhl (Schauspielerinnen) sowie Hans Weingartner (Regisseur).

Dokumentarfilm-Jury: Lutz Hachmeister (Publizist), Regisseurin Aelrun Goette (Regisseurin), Gerd Ruge (Journalist)

Veranstalter: Die Awards sind eine private Initiative der Filmbranche und Wirtschaft, seit 2004 unterstützt die Deutsche Filmakademie ein Mentorenprogramm.

Aufführung: Eine Auswahl der Filme ist am Donnerstag, den 30. August, um 21.15 Uhr im Berliner Kino Babylon Mitte zu sehen.

Unterscheidet sich der Jahrgang 2007 darin sehr von den ersten Preisträgern? Sie sichten ja seit acht Jahren, also von Beginn an, alle eingereichten Abschlussfilme.

Die Anfangszeit von First Steps war sehr stark von einer Nachwuchseuphorie geprägt. Die Filme muteten sehr viel stärker an wie bewusste Vistienkarten. Nach dem Motto: 'Guckt mal, das kann ich erzählen'. Daraufhin gab es eine Phase, in der handwerklich sehr viel experimentiert wurde. Die veränderte Digital-Technik hat sich stark niedergeschlagen sowohl in Spielfilmen als auch in Dokumentarfilmen. Wir bekamen viele Doku-Fiction-Formate oder fiktionale Elemente im Dokumentarfilm zu sehen. Ein eher formaler Zugang also.

Der aber weniger wichtig geworden ist?

Bereits im vergangenen Jahr ist mir die Souveränität aufgefallen, mit der sich die Absolventen ihrer Mittel bedienen. In diesem Jahr kristalliert sich das nochmals. Die Reihenfolge ist gewissermaßen: Was will ich erzählen und dann überlege ich mir, wie will ich es erzählen. Das 'Wie' scheint sich organisch zu ergeben aus dem 'Was'. Auch deshalb haben wir in diesem Jahr extrem gute und viele Spielfilme. So ein Jahr hatten wir noch nie.

Was macht einen Spielfilm in Ihren Augen so gut, dass er nominiert wird?

Jeder der Filme in diesem Jahr hat sich etwas anderes vorgenommen und kann es zu einem unwahrscheinlich hohen Grad einlösen. Zum Beispiel in den "Unerzogenen", wo es um eine chaotische, zerbrechende Familie geht, da arbeitet der Film mit Handkamera, sie ist ganz nah an den Protagonisten. Bei "Gegenüber", der eine Gewaltbeziehung zwischen zwei erwachsenen, bürgerlichen Ehepartnern in den Fokus stellt, arbeitet der Film auch mit Handkamera, aber immer in den engen Räumen des Zuhauses. Er folgt seinen Figuren. Bei all diesen Filmen hatte ich das Gefühl, sie mussten erzählt werden.

Konzentriert sich die Ausbildung an den Schulen stärker auf die Geschichten oder haben die Filmer wieder mehr zu erzählen?

Mein Eindruck ist, dass sie sich sehr viel genauer überlegen, was sie mit Kino bewirken können; mit einem Film, an dem sie teilweise jahrelang arbeiten.

Ins Kino schaffen es leider die wenigsten, zumindest ohne Fernsehförderung. Ist die konstant geblieben?

Im Moment ist sie das noch. Das "Kleine Fernsehspiel" im ZDF zum Beispiel ist wieder stark vertreten. Klopfen wir mal auf Holz, dass das auch so bleibt. An dieser Stelle breche ich immer gerne eine Lanze dafür, was Fernsehen kann, wenn es sich bemüht: Filme zu unterstützen, die unter anderen Bedingungen gar nicht mehr entstehen könnten - und gleichzeitig zu ermöglichen, dass die Filme auch auf der Leinwand erscheinen.

First Steps hat dieses Jahr eine Neuerung, die weniger auf die Leute im Hintergrund setzt: einen Preis in der Kategorie Schauspiel. Erhöht das den Starfaktor?

Ganz ehrlich, der Schauspielpreis ist ein lange gehegter Wunsch. Den DarstellerInnen kommt in Abschlussfilmen eine besondere Bedeutung zu. Sie entstehen ja mit kleinsten Budgets, das heißt Leute außerhalb des Schulkontextes stoßen zu dem Projekt, sie verdienen nichts, gehen aber volles Risiko ein, da sie mit unbekannten, jungen RegisseurInnen arbeiten - und das unter extremen Drehbedingungen. Das betrifft sowohl die Nachwuchs-Schauspieler als auch prominente Profis.

Gehen die Preise denn an die Profis?

Einige Filme, "Gegenüber" zum Beispiel, konnten nur mit solch extrem tollen Schauspielern entstehen wie Matthias Brandt und Victoria Trauttmansdorff. Daher hat die Jury lange debattiert darüber, in welche Richtung sie ein Signal setzen soll: Dass bekannte Schauspieler weiter diese Experimente mitmachen und -tragen oder dass der Nachwuchs mehr Öffentlichkeit bekommt. Sie haben sich für letzteres entschieden, denn daraus können langjährige Partnerschaften entstehen oder Leute entdeckt werden, die in den Abschlussfilmen in Nebenrollen zu sehen sind.

Ist Fördern ein Grund, weshalb First Steps sich selbst als "Der deutsche Nachwuchspreis" bezeichnet? Schließlich gibt es noch sehr viel mehr Nachwuchspreise und -festivals.

Ein wichtiger Unterschied zu anderen liegt im Ursprung von First Steps: Die Idee war, einen roten Teppich für den Nachwuchs auszurollen und damit eine Gelegenheit zu bieten, Kontakte in der Branche zu knüpfen. Die Gästeliste wird so zusammengesetzt, dass es ein ergiebiger Abend ist, nicht nur für die Preisträger, sondern auch für alle Nominierten.

Welcher Film soll denn Ihrer Meinung nach dieses Jahr preisgekrönt werden?

Für mich gibt es jedes Jahr einen Film, an dem mein persönliches Herz hängt, aber ich sehe ich ja unendlich viele im Vorfeld. Dadurch kann ich ehrlich gesagt keinen Lieblingsfilm nennen. Vielleicht nur soviel: In diesem Jahr hätten 15 Spielfilme statt sieben nominiert werden müssen. Aber das geht leider nicht.

An welchem hängt dann Ihr Herz?

"Die unsichtbare Hand", ein Kurzfilm, der sich auch mit dem Thema Arbeitslosigkeit auseinandersetzt, den finde ich schon brillant, vor allem im Umgang mit der Tonebene. So etwas sieht man selten und erfüllt meinen Anspruch: Ich gucke Filme auch mit dem Hirn, nicht nur mit dem Herzen. Ansonsten, und da oute ich mich ein wenig: Ich kann mich wegwerfen vor Lachen bei "Ijon Tichy" mit Nora Tschirner. Dabei handelt es sich ja auch um einen Versuch des "Kleinen Fernsehspiels", eine neue Form der Serie zu entwickeln, der ja bereits im ZDF zu sehen war. Aber ich weiß, darüber können nicht alle lachen...

Komödien finden sich allgemein eher selten unter den Abschlussfilmen - gibt es an Schulen nichts zu lachen?

Oh, da muss ich aber sagen: Wir haben in diesem Jahr eine wunderbare Komödie, wenn auch mit ernsten Untertönen. "Hotel very welcome", in dem es um Jugendliche geht, die durch Indien und Thailand trampen auf der Suche nach Sinn und Unterhaltung, das ist ein sehr selbstironischer Film. Er erlaubt voller Anteilnahme, diesen Figuren in komische Situationen zu folgen und während man über sie lacht, erkennt man sich selbst in ähnlichen Situationen. Das hinzukriegen ist nicht nur für NachwuchsfilmerInnen schwer. So etwas wie "Hotel very welcome" gibt es wirklich ganz selten.

INTERVIW: SUSANNE LANG

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!