Film „Helden auf Schwalben“: Zauber der Landstraße
Mathias Spaan und Quintus Hummer sind auf DDR-Motorrädern von Hamburg bis nach Gibraltar gefahren. Unterwegs haben sie einen wunderbaren Film gedreht.
Am Ende fällt der Blick auf Gibraltar sonderbar unspektakulär aus. Zwar stehen die beiden Männer mit wehenden Capes und in Siegerpose am Hang – zu Recht, weil sie es ja schließlich ganz von Hamburg bis hierhin geschafft haben –, aber da hängt so ein diffuses Zögern in der Luft, und weit mehr offene Fragen als Antworten. Und dann ist dieses ungewöhnliche Roadmovie einfach so vorbei: Ein Affe habe die Kamera umgeworfen, behaupten die Hamburger Filmemacher in ihrem Reisetagebuch, und wahrscheinlich stimmt das sogar.
Denn erstens passen Lügengeschichten nicht so recht zu den beiden und zweitens wäre der Affenangriff auch längst nicht die einzige skurrile Panne dieser Produktion, nachdem der erste Reifen des alten DDR-Motorrads bereits in Bremen geplatzt war.
„Helden auf Schwalben“ heißt der Film, den Mathias Spaan und Quintus Hummel im Sommer 2018 gedreht haben. An 49 Tagen waren sie als Superhelden maskiert die rund 3.500 Kilometer von Hamburg nach Gibraltar gefahren; auf Simson Schwalben: den 3-PS-Kultkrafträdern aus der ehemaligen DDR.
Eigentlich hätte dieser motorisierten Reise durch Europa längst auch eine Kinotournee folgen sollen, nur kam im vergangenen Jahr Corona dazwischen. Und statt den Film ein zweites Mal zu verschieben, gibt's ihn nun eben als Stream zu mieten oder zukaufen. Es sei ihnen dann doch wichtiger gewesen, dass der Film überhaupt gesehen wird, sagt Mathias Spaan, „besonders zu dieser Zeit.“
Verrückt schien das Vorhaben wegen der Superheldenkostüme, ambitioniert aber auch wegen der Strecke. Es ist tatsächlich ein Kraftakt, auf diesen Minirädern mit kaum mehr als Handgepäck über Amsterdam, Den Haag, Brüssel, Paris, La Rochelle, San Sebastian und Madrid zu reisen.
Der Kinostart von „Helden auf Schwalben“ ist ungewiss, der Film kann aber auf Vimeo als Stream gemietet oder gekauft werden.
Eine Extrem-Challenge, eine PR-trächtige Selbstverheizung ist es dann aber auch wieder nicht. Tatsächlich braucht es erst den Schock eines kleinen Unfalls nach einer halben Stunde Film, um den Ernst der Lage endgültig zu klären – und zu zeigen, was so eine Reise eigentlich heißt. „Wir werden Superkräfte brauchen, um Gibraltar zu erreichen“, hatten Spaan und Hummel vorab gesagt: „Superkräfte, den ADAC und viel, viel Zeit.“
Tatsächlich ist „Helden auf Schwalben“ ein sehr ruhiger Film geworden, der gar nicht so sehr auf der Straße spielt als vielmehr auf Parkplätzen, Bänken und in den Wohnungen ihrer zahlreichen Gastgeber:innen. In einem der eindringlichsten Momente des Films lehnen die beiden in Boxershorts erschöpft an einer Waschmaschine, durch deren Trommel die eingeschäumten Superheldenkostüme in meditativer Ruhe zirkulieren.
Und warum das Ganze? „Um ehrlich zu sein, verstehen wir bis heute nicht so richtig, warum wir diese Tour gemacht haben“, entschuldigt sich der Film bereits im Vorspann. Am Kneipenabend damals habe das alles noch Sinn ergeben „und irgendwie tut es das auch heute noch“.
Dieses Irgendwie hat es allerdings in sich. Natürlich hat das alles seinen kreativen Indie-Charme mit diesen sensiblen Jungs auf ihren bunten Maschinen – aber in den Zwischentönen geht es doch um mehr: Um Europa, das hier längst nicht nur eine melancholisch-schöne Kulisse abliefert. In einer unscheinbaren Einstellung schieben die beiden am EU-Parlament vorbei. Und hupen einmal zum bescheidenen Gruß.
Um das Land geht es also und um seine verschrobenen Bewohner:innen. Zum Beispiel um diesen Typen auf einem niederländischen Campingplatz mit seinem alten Transporter und dem zugemüllten Klapptisch, der sich als Schriftsteller, Filmemacher und Schauspieler vorstellt. Er würde mal einen ganz ähnlichen Film machen wie Spaan und Hummel, sein Problem sei nur: Er habe zu viel zu erzählen.
Unaufdringliche Philosophiestunde
Diese Menschen tauchen auf Rastplätzen auf, am Wegesrand oder die Reisenden lernen sie beim Couchsurfing kennen. Einen langen Abend feiern die schlacksigen Filmstudenten im Ganzkörperanzug mit einer Death-Metal-Band in Poitiers. Dann wohnen sie bei einem Künstler mit einer Wasserpfeife zwischen drei Schachbrettern – von einer selbsternannten Hexe lassen sie sich die Zukunft vorhersagen.
Erklärt wird nur wenig: Wo wir sind und bei wem, man muss es sich zusammenreimen. Das gilt für Zufallsbegegnungen, spontane Verabredungen und geplante Besuche. Spaan und Hummel hören aufmerksam zu und stellen gelegentlich Fragen, vor allem nach der Fantasie, was wohl so was wie die Leitfrage der ganzen Geschichte ist.
Die beste Antwort gibt ein braungebrannter Aussteiger, der irgendwo auf einem Boot lebt, kurz bevor er aufsteht, um sein Schwert zu holen. Über die Fantasie sagt der: „Alles, was wir uns vorstellen können in unserem Kopf, muss irgendwo existieren. Anders wär’s nicht möglich, dass man auf die Idee kommt.“
Verkopft ist „Helden auf Schwalben“ nicht. Oder wenigstens ist der philosophische Grundton des Film sehr unaufdringlich. Die Grübelei ist eben eines der Elemente der Freundschaft zweier Männer, die einander auch mal mit der Zahnbürste im Mund ein paar Zeilen Novalis vorlesen. Dass es zwischendurch mal knatscht, ist allerdings auch kein Wunder. Wirklich dramatisch wird das nie und die Sorge davor ist auch schon wieder total süß.
„Meinst du, wir hassen uns, wenn wir zurück sind in Hamburg?“, flüstert Spaan einmal kurz vorm Einschlafen. „Ganz im Gegenteil. Ich glaube wir werden noch enger zusammengeschweißt sein“, sagt Hummel nach einer Pause. „Oder hast du das Gefühlt, du würdest mich hassen?“ „Nein?“ „Ich auch nicht.“ Es ist einfach schön mit den beiden – und dann auch tatsächlich ein bisschen traurig, als die eine Schwalbe irgendwann den Geist aufgibt. Weil sich dann kurz auch die beiden trennen: Die überlebende Maschine schafft es nicht mit zwei Personen plus Gepäck über die Berge nach Madrid.
Und das ist wirklich das Schönste an „Helden auf Schwalben“: Nicht dass da wer eine sonstwie krasse Leistung vollbringt und sich dafür feiern lässt. Sondern wie gut die beiden unterwegs aufpassen: aufeinander, auf die Welt und auf die anderen Menschen da draußen, die alle ganz tolle und verrückte Sachen machen.
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