Film „Die Katzen vom Gokogu-Schrein“: Den Katzendreck räumen die Menschen weg
In seinem beobachtenden Film „Die Katzen vom Gokogu-Schrein“ verzichtet Regisseur Kazuhiro Sōda auf Recherche und Drehbuch. Das Ergebnis ist herzig.
In unserer digitalisierten Welt nehmen Katzen einen besonderen Platz ein. Kein anderes Tier gibt noch in den beiläufigsten Posen ein so begehrtes Objekt fürs Fotografieren und anschließende Posten und Sharen ab. Hunde, Fische und Vögel, die anderen weit verbreiteten Haustiere, können nicht mithalten. Herumliegende und gleichgültig blinzelnde Katzen aller Größen und Farben pflastern die Social-Media-Feeds der einschlägigen Plattformen.
Für das Verlassen von X (Twitter) zugunsten von Bluesky wurde zum Beispiel eigens damit geworben, dass es hier neben Kategorien wie „News“ und „Science“ einen auf „Cat Pics“ spezialisierten Kanal geben würde. Was zum einen nicht gut funktionierte und zum andern bald die ebenfalls zeittypischen „Hater“ auf den Plan rief.
Mit Kazuhiro Sōdas Dokumentarfilm „Die Katzen vom Gokogu-Schrein“ mag das alles auf den ersten Blick nicht viel zu tun haben. Schließlich führt uns der Film nach Japan, ins leicht abgelegene Ushimado an der „japanischen Ägäis“. Dort allerdings hat ein Shinto-Schrein als sogenannter „Katzenschrein“ eine gewisse Popularität erlangt. Touristen kommen hierher, um Katzen zu füttern und zu fotografieren.
Und auch Kazuhiro Sōda beginnt seinen Film mit einer Videoaufnahme, die ideales Futter für Tiktok et al. wäre: Eine rote Katze – der Champion der Tier-Fotogenität – greift da nach dem fellüberzogenen Mikrofon über der Kamera, immer wieder, in dieser Katzen so eigenen Nicht-Irritierbarkeit, bis sie es herunter, somit vor die Kamera gezerrt hat und daran zu lutschen beginnt. Es ist sehr, sehr herzig.
„Die Katzen vom Gokogu-Schrein“. Regie: Kazuhiro Sōda. Japan 2024, 119 Min.
Der japanische Regisseur besteht darauf, statt von „Dokumentar-“ von einem „beobachtenden Film“ zu sprechen. Für diesen hat er sich „zehn Gebote“ auferlegt, die seine Arbeit von herkömmlichen Fernsehdokumentationen unterscheiden sollen. Die wichtigsten davon lauten, dass es keine Recherche, kein Vorabtreffen mit Protagonisten und kein Drehbuch gibt. Was das bringen soll? Nun, dass man hinguckt und erlebt, statt vorher festgelegten Themen mit redaktionell abgestimmter Dramatik zu folgen. „Die Katzen vom Gokogu-Schrein“ ist ein herrlicher Beweis dafür, wie wohltuend diese Strategie sein kann.
Die Gegend kennenlernen
Ein weiteres Gebot lautet, dass man einen kleinen Bereich, den aber mit gebotener Tiefe abdecken soll. Die Kamera bleibt für die knappen zwei Stunden des Films, der über mehrere Jahreszeiten hinweg gedreht wurde, ganz in der unmittelbaren Umgebung des Gokogu-Schreins. Gelegentliche Schwenks zeigen die Aussicht aufs Meer und die nächsten Inseln oder den Blick zu den Häusern am Hafen. Man lernt tatsächlich die Gegend kennen: die Treppe hinauf zum Schrein, der Parkplatz am Ufer, den von Bäumen beschatteten Hügel darüber.
Es kommt zu diversen Begegnungen vor der Kamera. Zum einen natürlich mit den Katzen, die pittoresk herumliegen oder in allen möglichen Ecken und Nischen kauern, um vorm Regen Schutz zu suchen. Es sind Straßenkatzen, weshalb sie mit ihren von Verletzungen gezeichneten „Visagen“ in Nahaufnahmen oft ein weniger social-media-freundliches Bild abgeben. Dann wiederum sind Szenen, in denen sie den Anglern am Hafen den gefangenen Fisch stibitzen und unter sich verteilen, allerliebst.
Die wichtigeren Begegnungen, die vor Kazuhiro Sōdas Kamera stattfinden, sind dennoch die mit den Menschen. Zum Beispiel mit den Anglern, die größtenteils Pensionäre sind, wie sich herausstellt. Für ältere Herren wie ihn sei das ein günstiger Platz, weil man mit dem Auto vorfahren und nur wenige Meter weiter die Angel auswerfen könne, erzählt einer lachend. Es seien mindestens 25 Männer, die regelmäßig hierherkämen, er kenne alle Gesichter, aber keinen mit Namen.
Erinnerung an die Jahre des Kriegs
Überhaupt scheint sich in der kleinen Gemeinde die notorische Überalterung der japanischen Gesellschaft widerzuspiegeln. Ein 79-jähriger ehemaliger Lkw-Fahrer kümmert sich um die Blumen an diesem öffentlichen Platz und pflanzt mit einem 88-jährigen Ingenieur und Fabrikbesitzer – „ich gehe noch jeden Tag zur Arbeit, aber nur, um von dort Freunde anzurufen“ – wohlriechende Minze an der Treppe hinauf zum Schrein. Letzterer kann sich noch gut an die Jahre des Kriegs erinnern, etwa an die tiefen Verbeugungen, die sie als Schüler üben mussten.
Neulich habe er sich mit Freunden darüber unterhalten, und sie hätten sich gefragt, wem gegenüber sie eigentlich so tiefen Gehorsam hätten schwören müssen. Erst dann sei es ihnen wieder eingefallen: dem Kaiser! Der alte Mann lacht dabei, wie erleichtert, dass das so lange her ist.
Die jüngere Generation in Form von Erstklässlern läuft auch einmal durchs Bild. Mit ihrer Lehrerin zusammen üben sie die Orientierung anhand einer selbst gezeichneten Landkarte, nicht etwa mit Google Maps. Dass sie dennoch über eine gewisse Medienerfahrung verfügen, schlägt sich in ihrem Interesse für die Kamera und ihrer Begeisterung über die Ankündigung, Teil eines Films zu sein, nieder. Wie einige der Alten interessieren sich auch die Erstklässler vor allem für das flauschig-überzogene Mikrofon.
Aufgeschlossen für die Gegenwart
Solche Interaktionen zwischen den Protagonisten vor und den Filmenden hinter der Kamera werden üblicherweise aus Dokumentarfilmen herausgeschnitten; dass Kazuhiro Sōda einige davon stehen lässt, trägt nicht nur zum eigenwilligen Charme seines Films bei, sondern macht manchen Austausch bedeutungsvoller. „Toll, dass dein Hobby deine Arbeit ist“, sagt der 88-Jährige zu ihm, ganz im Denken seiner Generation verhaftet, in der so etwas wie „Filmen“ nur Hobby sein kann, und doch so aufgeschlossen für die Gegenwart, dass er sich für sein Gegenüber echt zu freuen scheint.
Keinem Drehbuch folgen zu wollen, bedeutet für Kazuhiro Sōda übrigens nicht, es dabei zu belassen, sich an den Katzen vor Ort als reine Fotomotive zu erfreuen. Immer wieder spricht er seine Protagonisten auf die Straßentiere an. Und siehe da, die wenigsten reagieren positiv, wollen sich aber auch nicht als Katzenhasser outen. Dennoch sehen viele Anwohner die Katzen vor allem als Problem.
Empfohlener externer Inhalt
Trailer „Die Katzen vom Gokogu-Schrein“
„Überall, wo man gräbt, findet man Katzenscheiße“, klagt etwa der 79-Jährige beim Blumengießen. Ein paar ältere Frauen schildern rabiate Maßnahmen, mit denen sie verhindern, dass die Katzen in ihre Gärten kommen. Ein anderer fordert spöttisch, dass die, die hierherkommen, um die Katzen zu füttern, doch bitte auch den Müll, soll heißen die Scheiße, die sie so verursachen, wieder mitnehmen sollen. Wo er kann, räumt er allerdings selbst den Katzendreck weg.
Durch den Film zieht sich die von der Gemeinde gesponserte Aktion, bei der einige der Katzen eingefangen und im Anschluss sterilisiert werden. Gekennzeichnet mit einem Einschnitt in einem Ohr, lässt man sie nach dem Eingriff wieder frei. Kazuhiro Sōda ist bei einer Sitzung der lokalen Selbstverwaltung dabei, in der eine Mitarbeiterin der Aktion schildert, dass man im Jahr zuvor siebzehn und in diesem Jahr immerhin zehn Katzen behandeln konnte. Das Ziel sei es, die lebenden Katzen so gut wie möglich zu versorgen, aber zu verhindern, dass es mehr werden.
Hier könnte dieser Film selbst eine verheerende Rolle spielen. Ein weiterer älterer Mann, der mit der Ausrüstung eines Berufsfotografen die Katzen ins Visier nimmt, bringt den Teufelskreis auf den Punkt: Je bekannter der Schrein als „Katzenschrein“ werde, desto mehr Leute kämen hierher zum Tierefüttern. Oder sie kämen auf die Idee, ihre eigenen überflüssigen Katzen hier auszusetzen. Und so würden es immer mehr werden. Aber ein Gokogu-Schrein ganz ohne Katzen, das mögen sich die Anwohner hier auch nicht mehr vorstellen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Künstler Mike Spike Froidl über Punk
„Das Ziellose, das ist doch Punk“
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour