: Figaro auf dem Standesamt
Die letzten Salzburger Festspiele unter Gérard Mortier: Christoph Marthaler inszenierte W. A. Mozarts „Figaro“, Peter Mussbach „Lady Macbeth“ von Schostakowitsch, und John Eliot Gardiner dirigierte Leos Janáceks „Jenufa“
Der „Figaro“ gehört seit jeher zum Kernrepertoire der Salzburger Festspiele. Gerade dort aber ist in den 90ern unter Gérard Mortier einiges in Bewegung geraten, und so gab es auch in dessen nunmehr letzter Spielzeit als Intendant keine ungetrübt heitere und in historischer Ferne angesiedelte Mozart-Oper.
Der Regisseur Christoph Marthaler und die Bühnenbildnerin Anna Viebrock verlegten die Geschichte um Figaros Hochzeit aus dem feudalen Andalusien vor ein Standesamt der 1970er-Jahre. In diesem Vorraum eines modernen Mehrzweckgebäudes kreuzt der gut aussehende Arbeitgeber Almaviva auf. Er nimmt sich mit der Figur und der Stimme von Peter Mattei tatsächlich wie einer aus, der auf erhebliches Entgegenkommen der jungen Frauen rechnen kann. Ziemlich absurd erscheint dann aber ein „Page“ in diesem Dunstkreis, doch erweist sich dieser Libero auf der erotischen Spielfläche – in Gestalt und mit dem fulminanten Sopran von Christine Schäfer – als Trumpf der Produktion: Wenn diesem dauergeilen pubertierenden Jüngling die Büstenhalter und Höschen aus den Taschen gezogen werden, die er auf seinen Rundgängen im Bekanntenkreis erbeutete, dann haben Marthaler und sein Team das Spiel gewonnen: Warum sollte das Theater denn nicht eine solche ironische Kommentierung der Mozart-Rezeptionsgeschichte anbieten?
Den Machern ging es offensichtlich nicht um die Transposition der Geschichte in eine neue realistische Welt, sondern um die Erschaffung eines zumindest leicht grotesken Rahmens für die künstliche Konstellation von da Ponte und Mozart – eine Versuchsanordnung, in der dann die Geschichte mit viel Geschick der Konfrontation von Personen und Konstellationen, mit leicht nostalgischer Wehmut und schönen Slapstick-Momenten erzählt wird. So wird mit Theaterwitz ein musikalischer Kosmos ausgeleuchtet, das Stück mit viel Sinn für Schärfe und Peinlichkeit reaktiviert – und aus angegilbten Vorlagen noch einmal festspielwürdiges Theater.
Ebenfalls von der Liebe und den Irritationen in der Tiefe des erotischen Raums handelt Janáceks Bauerndrama „Jenufa“. Zum Auftakt der Festspiele prozessierte der Dirigent John Eliot Gardiner mit der Tschechischen Philharmonie aus Prag den rhetorischen Realismus der Partitur sehr genau heraus, insgesamt höchst bedacht auf ein ausgewogenes Verhältnis der Stimmgruppen und gelungen in der Balance von Singstimmen und Orchester. Die Schärfen der frühen, noch nicht geglätteten Fassung wurden dabei keineswegs nivelliert. Doch der Filmregisseur Bob Swaim ordnete dem wohl dosierten Triebleben der Klänge eine Inszenierung zu, die den Edelrost des naturalistischen Dramas hervorkehrte – ein schwerer Rückfall!
Ursprünglich hatte Gérard Mortier beabsichtigt, seine letzte Salzburger Spielzeit – in Zusammenarbeit mit der Pariser und der Stuttgarter Oper – mit Helmut Lachenmanns „Mädchen mit den Schwefelhölzern“ zu eröffnen, einem der avanciertesten Werke des neuen Musiktheaters. Doch dann fehlte es an den Mitteln und wohl auch am ästhetischen Mut, nicht nur einigermaßen „sozialverträgliche“ Avantgarde – wie Luciano Berios „Cronaca del luogo“ oder Kaija Saariahos „L’amour de loin“ – zu präsentieren, sondern wenigstens ein großes radikales Werk in sieben Jahren.
Eher enttäuschend geriet dann auch der dritte Salzburger Zugriff auf die große Liebe. In Koproduktion mit dem Mariinski-Theater in St. Petersburg inszenierte Peter Mussbach die „Lady Macbeth“ von Dmitri Schostakowitsch. In der stark abstrahierenden Bühneninstallation zeigte er, in und um einen Torbogen herum, ein Versuchsfeld der Befindlichkeiten, der großen und vor allem auch der „niedrigen“ Gefühle. Doch erst im Schluss-Tableau, für das die Bühne leer geräumt wird, beglaubt sich ingeheurer Weite die tiefe Verzweiflung der Protagonistin, die von Larissa Shevchenko mit starker Stimme und viel Willen zu weiblicher Selbstverwirklichung ausgestattet wird. Gerade auch das nicht immer konzentriert wirkende Dirigat von Valery Gergiev verhinderte aber am Ende, dass die Inszenierung den Eindruck eines großen Abends hinterließ. FRIEDER REININGHAUS
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