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Fibel klappt doch besser

Auch Niedersachsen schafft „Schreiben nach Gehör“ jetzt ab

Die Idee ist faszinierend: Ich baue mir eine Welt, bastle mir Worte aus Lauten zusammen. Ich höre, was ähnlich klingt, und merke: „Vater“ klingt wie „Fahrrad“, also schreibe ich „Fata“. „Schreiben nach Gehör“ heißt das Konzept, das Grundschulkindern Kreativität und Freiheit beim Ergründen der Rechtschreibung erlauben soll und jahrelang praktiziert wurde.

Später sah man die Schönheitsfehler: Nicht nur, dass sich so jedes Kind eine sprachliche Parallelwelt baut, weil ja jeder anders hört. Auch wird bei dieser Methode falsche Rechtschreibung jahrelang nicht korrigiert, weil das demotivieren könnte. Aber irgendwann kommt der Tag der Wahrheit, der Initiation, und der Schock ist groß: Viel zu spät erfährt das Kind, wie Worte korrekt geschrieben werden, lernt nur mühsam um.

Die Folge: Viertklässler*innen, die „Schreiben nach Gehör“ oder „Lesen durch Schreiben“ gelernt hatten, machten einer Bonner Studie von 2018 zufolge 55 Prozent mehr Rechtschreibfehler als Kinder, die mit „Fibeln“ strukturiert ­Schreiben gelernt hatten. Auch den Sinn von Texten erfassten die „Fibel-Kinder“ deutlich besser. Zudem lernen Kinder mit Migrationshintergrund anhand der „Fibel“ besser Deutsch; „Schreiben nach Gehör“ wäre also auch ein Integrationshemmnis.

Darauf ist jetzt – als eines der letzten Bundesländer – auch Niedersachsen gekommen. Einem Land, in dem 28 Prozent der Schüler*innen am Ende der vierten Klasse die Mindeststandards beim ­Schreiben, Lesen und Rechnen nicht erreichen. Deshalb hat der Hannoversche Landtag vorige Woche beschlossen, das „Schreiben nach Gehör“ abzuschaffen.

Stattdessen will man den Lehrkräften Materialbände – man mag es wohl nicht „Fibel“ nennen – geben. Zusätzlich werde „ein Maßnahmenkatalog entwickelt, um die Vermittlung der Grundkompetenzen Lesen, Schreiben und Rechnen zu stärken“, heißt es.

Die Kreativität wird das nicht töten, im Gegenteil: Nur wer die Standards und Regeln kennt, kann sie in mündiger Entscheidung brechen. Als Künstler*in zum Beispiel. Petra Schellen

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