Festspiele in Bayreuth: Routine aufbrechen
Streit belebt – das gilt auch für die Festspiele in Bayreuth. Es zeigte sich wieder beim „Ring des Nibelungen“ in der Regie von Valentin Schwarz.
Wenn in Bayreuth ein Ring auf dem Spielplan der Festspiele steht, dann ist der natürlich das Zentrum. Allein schon wegen der Masse an Musik und Aufwand. Außerdem ist er beim Publikum beliebt fürs Interaktive. Wagnerianer knöpfen sich besonders gerne die Regisseure vor. Vor allem, wenn diese das Diktum des Festspielgründers „Kinder, macht Neues!“ szenisch beim Wort nehmen und gegen den Strich inszenieren.
Auch in diesem Jahr rufen mehr oder weniger sachkundige Politiker wieder nach mehr Öffnung der Festspiele, nach Transparenz und Diversität. Und übersehen dabei, wie weit sich Deutschlands einzige echte Weltmarke in Sachen Hochkultur unter Leitung von Richard Wagners Urenkelin schon verändert hat.
So wurde gleich mehrfach (in Herheims „Parsifal“ und Koskys „Meistersingern“) das braune Kapitel der eigenen Geschichte offensiv thematisiert. Wie selbstverständlich wurde gerade das zweite Debüt einer Dirigentin („Tannhäuser“) gefeiert. Hier werden technische Innovationen (wie im AR-Brillen-Parsifal) ausprobiert.
Ideen hat die Festspielchefin jeden Menge, man müsste sie nur machen lassen. Doch sie muss ein Unternehmen auf Kurs halten, bei dem viele ziemlich rigide mitreden und entscheiden wollen und es strukturell auch können. Wenn dann, wie in diesem Jahr, partout kein Skandälchen im Vorfeld zu haben ist, dann werden eben ein paar ohne jahrelange Wartezeit (ganz offiziell) zu kriegende Karten zum Menetekel des Untergangs stilisiert …
Katharina Wagner wagt einiges
Künstlerisch riskiert Katharina Wagner eine Menge. Vom eigenwilligen Altstar (Frank Castorf) bis zum jungen, noch unbekannten Regietalent Valentin Schwarz. Dass das nicht jedem gefällt, ist klar. Dass man auf dem Grünen Hügel musikalische Spitzenqualität erwarten darf – und die längst auch wieder fast durchgängig bekommt –, versteht sich fast von selbst.
Zumindest in diesem Punkt waren sich die Zuschauer auch beim ersten Durchlauf des aktuellen Rings von Valentin Schwarz vom Vorjahr einig. Nach jedem Abend wurden die Protagonisten gefeiert. Auch der junge finnische Dirigent Pietari Inkinen, der sich im vorigen Jahr noch vertreten lassen musste, wurde jetzt mit seiner Ring-Lesart am Anfang noch ermutigt, ab „Walküre“ aber gefeiert.
Als sich nach der „Götterdämmerung“ auch der Regisseur und sein Team dem Publikum stellten, waren die erwartbaren Buhrufer natürlich zuverlässig zur Stelle. So verbissen wie im vorigen Jahr fielen die Attacken aber nicht aus. Natürlich ist Schwarz bei seiner Grundidee geblieben. Aber er hat die Chance genutzt, die die gerne beschworene „Werkstatt Bayreuth“ bietet. Bei der Personenführung in der Arbeit mit seinen fabelhaften, teils neu eingestiegenen Darstellern. Aber auch szenisch.
Nach dem Vorgänger-Ring von Castorf, der das Scheitern großer Utopien bildmächtig durchdekliniert hatte, bricht der Österreicher die Erzählung vom Untergang der Götterwelt beim Kampf um die Macht (für die der Ring steht) konsequent auf Menschenmaß herunter und macht daraus eine Art Familiensaga. Dabei kommen in der Ausstattung von Andrea Cozzi (Bühne) und Andy Besuch (Kostüme) zwar etliche Utensilien, die eigentlich wie der Ring (also das Gold) selbst dazugehören, abhanden. Dafür gibt es zusätzliches Personal und ein eigenes System von optischen Leitmotiven.
Kampf um den Nachwuchs
Ein kleines, leuchtendes Walhall-Pyramiden-Modell taucht immer wieder auf, der Hut von Wotan oder der Schal des Riesen. Vor allem aber wird der Ring vom Schmuckstück zu einem Menschen. Bei Schwarz sind Wotan und Alberich nicht nur zwei Seiten einer Medaille, sondern bekämpfen sich im Video schon als Embryos im Mutterleib. Um ihren Machtanspruch zu sichern, setzen beide auf ihren Nachwuchs. Alberich kidnappt vom Swimmingpool weg Klein-Hagen, den er dann freilich wieder an Wotan rausrücken muss. Schließlich wächst der bei Fafner (hier eine Art superreicher Bauherrenfiesling, dem alle um ihn herum den Tod wünschen) heran.
Diesen Handlungsstrang hat Schwarz dem Drehbuch von Wagner hinzugefügt und (wenn man sich drauf einlässt) spannend durchgezogen und jetzt noch mal klarer zu Ende geführt. Auch Wotan kennt in der Nachwuchsfrage keine Tabus. Schon das Zwillings- und Liebespaar Siegmund und Sieglinde ist das Resultat eines Seitensprungs. Bei deren Sohn Siegfried setzt Schwarz noch einen drauf und macht Wotan selbst zu dessen Erzeuger.
Dass dann Brünnhilde und Siegfried ihrerseits in einer Kleinfamilie mit Kind leben, versteht sich da fast von selbst. Das klingt schräg – ist es auch. Aber es ist eine These, die nicht so weit von Wagners Untergangsvision entfernt ist, wie es scheint, wenn man es liest. Wer bereit ist, sich auf die Binnenlogik dieser Erzählung einzulassen, wird allemal spannend unterhalten.
Dazu gehört auch, dass in diesem Jahr ganz am Ende im eiskalten Neonröhren-Feuerzauber ein erhängter Wotan den Untergang seiner Welt wie ein optisches Ausrufezeichen abrundet.
Brillante Besetzung
Die packende Gesamtwirkung dieses Rings liegt natürlich zu einem Großteil auch am (Um-)Besetzungsgeschick der Festspielchefin. Wo bekommt man schon in einer Produktion vokale Kraftpakete wie Andreas Schager als Siegfried und einen so prachtvoll tönenden Wotan wie Tomasz Konieczny. Oder eine so intensiv und frei gestaltende Brünnhilde wie Catherine Foster (die schon im Vorgängerring brillierte).
Wo können schon Klaus Florian Vogt als Siegmund und Elisabeth Teige als Sieglinde zusammenfinden, oder Christa Mayer als Fricka (und als Waltraute) oder der unverwüstliche Georg Zeppenfeld als Hunding so überzeugend vorführen, wie wortverständlicher Wagnergesang geht. In diesem Jahr beeindruckten besonders auch Mika Kares als Hagen und Aile Asszonyi als Gutrune mit ihrer Verbindung aus Spiellust und stimmlicher Prachtentfaltung.
Das Protagonisten-Ensemble und der Chor wurde durchweg – ganz zu Recht – immer wieder bejubelt. Dass die szenische Umsetzung beim Publikum umstritten bleibt, ist kein Nachteil und bei Überschreibungen nicht anders zu erwarten. Im Vergleich mit der Lesart, die Dmitri Tchernjakow an der Staatsoper in Berlin durchexerziert hat, muss sich die von Schwarz in Bayreuth jedenfalls nicht verstecken.
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