piwik no script img

Festivaltipp für BerlinAnaloges Gegenmodell

Beim Festival für selbstgebaute Musik werden im Moabiter ZK/U drei Tage lang Geräte zur Klangerzeugung gebastelt. Dazu gibt es Vorträge und Konzerte.

Klänge lassen sich auf viele Arten erzeugen – auch mit Nähmaschinen Foto: Annika Hallerberg

Okay, unter einem Schlagbaum können sich die meisten Menschen noch etwas vorstellen. Doch was, bitteschön, ist eine Teleskoprohrfagott? Oder eine Schlauchtrompete? Hinter solch hübsch mäandernden Begrifflichkeiten verbergen sich Bezeichnungen für selbstgebaute Instrumente, die fast immer aus Alltagsmaterialien hergestellt werden und entsprechend günstig sind. Kennenlernen kann man sie am kommenden Wochenende bei einem Festival, das sich mit dem weiten Feld selbstgebauter Geräte zur Klangerzeugung befasst.

Und natürlich steckt auch hinter dem erwähnten Schlagbaum in diesem Kontext etwas anderes als die Grenzschranke, die man spontan assoziiert, nämlich ein Baum aus Rohren, auf dem man Herumschlagen und -trommeln kann: ein Perkussionsinstrument also.

Das Festival für selbstgebaute Musik findet zwischen kommendem Freitag und Sonntag drei vollgepackte Tage lang statt; zum zweiten respektive fünften Mal – je nachdem, wie man zählt. Hervorgegangen ist die Veranstaltung aus einem Kiezmusikfest, seither ist es stark gewachsen. Nun findet es zum zweiten Mal, entsprechend umfänglich, im Moabiter Zentrum für Kunst und Urbanistik statt.

Selbstgebaute Musik

Das Festival für selbstgebaute Musik findet vom 13. bis zum 15. 9. im Moabiter Zentrum für Kunst und Urbanistik (Z/KU), Siemensstr. 27, statt. Programm unter: www.selbstgebautemusik.de

Es darf gebastelt werden; und es darf auch nur geguckt beziehungsweise gelauscht werden, wie man mit simplen Mitteln unterschiedlichste Geräte zur Klangerzeugung bauen kann. Und wie die sich dann anhören. Neben dem Anspruch, der neugierigen Öffentlichkeit, und zwar auch ganz unterschiedlichen Alters- und Interessensgruppen – es gibt etwa Workshops für Kinder – einen Einblick zu geben, will man mit dem Festival auch Musikern und Künstlern eine Plattform zur Vernetzung geben.

Wachsende Maker-Szene

„Es geht darum, Ideen kursieren zu lassen“, betont Hajo Toppius, einer der Ini­tiatoren, auch zwischen Szenen, die sonst nicht miteinander in Kontakt stehen. Berliner Instrumenten-Eigenbauer sind in unterschiedlichsten Kontexten unterwegs, und Tüftler treffen auf Klangforscher; zudem gibt es Überlappungen mit der sogenannten stetig wachsenden Maker-Szene, in der es darum geht, Dinge selbst herzustellen oder existierende umbauen.

Doch worin liegt im Zeitalter der digitalen und mittlerweile auch günstigen Erzeugbarkeit eines fast jeden Tons und jeder Klangfarbe der Reiz, solche Gerätschaften selbst zu bauen? Hajo findet, dass es genau darum geht: „Etwas selbst zu machen, im Sinne von Selbstermächtigung. Natürlich steckt darin auch ein analoger Gegenentwurf zu der Idee dieser totalen Verfügbarkeit.“ Nicht zu vergessen sei, dass Klangerzeugung aus Alltagsgegenständen zudem eine performative Seite habe: „Es geht auch um die Sichtbarkeit von Sound und Soundproduktion.“

An der können sich dann auch Menschen erfreuen, die sich bisher gar nicht mit der Thematik beschäftigt haben oder lieber passiv bleiben. Am Sonntag gibt es nämlich, wie an den vorhergehenden Tagen, nicht nur ein Tagesabschlusskonzert, sondern schon am Nachmittag mehrere Performances, etwa von britisch-bajuwarischen Duo Beißpony. Bei ihnen trifft ein Punk­ethos auf Gender-Theorie und glitzernde Kostüme. Musiziert wird übrigens auf Nähmaschinen. Ebenfalls erleben kann man den eigenwillig-verschrobenen Musiker und Lyriker Hans Unstern.

Und auch richtig große Instrumente werden bespielt, etwa eines von F. S. Blumm und Ansgar Wilken, der sich „kitchen sink avantgarist“ nennt. Gebaut werden diese Gerätschaften, die fast Installationscharakter haben, zwar nicht auf dem Festival. In den Workshops widmet man sich eher überschaubareren Projekten. Doch auch große Instrumente werden zumindest vorgestellt – unter anderem von gleich drei Acts am Sonntagnachmittag.

Physik der Instrumente

Der Berliner Musiker F. S. Blumm alias Frank Schültge, der sich von Dub über Singer-Songerwritertum bis hin zum Avantgarde-Minimalismus schon in allerhand Nischen ausprobierte, ist ein ausgewiesener Fan selbstgebauter Klangerzeuger. Das Thema begleitet ihn seit 20 Jahren. Er wird am Samstagnachmittag einen Workshop zum Thema „Klangbox“ veranstalten (bitte anmelden, auch für die anderen Workshops).

Darüber hinaus gibt es Vorträge zu ganz praktischen Aspekten, etwa zur „Physik der Instrumente“; aber auch zu Metathemen, wie etwa feministischen Potenzialen, die in dieser Form des Selbermachens stecken – übrigens veranstaltet vom Duo Beißpony. Kurzum: Das Festival versucht den Rundumblick und macht neue Nischen auf.

Einen Vorgeschmack auf das breite Spektrum von Ansätzen gibt der Freitagabend. Nach einem Künstlergespräch und einem Abendessen (bitte ebenfalls anmelden!), veranstaltet vom Speisekino Moabit, die im Sommer ihr Freiluftfilmprogramm mit feinen Menüs ergänzen, gibt es den auf der vergangenen Berlinale vorgestellten Dokumentarfilm „Système K“ zu sehen. Der erzählt von Künstlern, die den Müll von den Straßen Kinshasas in für die Allgemeinheit nutzbare Kunst verwandeln.

Im Anschluss spielt dann das Elektronikduo Driftmachine, obgleich der Festival-Schwerpunkt auf nichtelek­tronischen Instrumenten und den damit einhergehenden haptischen Erfahrungen liegt: Doch was die beiden Musiker, Andreas Gehrt (auch unterwegs mit dem Tied & Tickled Trio) und Florian Zimmer (Saroos), machen, besteht nicht nur aus Tastendrücken am Laptop, sondern ist durchaus erlebnisreich, auch fürs Publikum. Das Duo lässt klangtechnisch gerne dahin treiben, wohin sie ihre Lieblingsmaschine, der modulare Synthesizer, führt.

Treiben lassen kann man sich sicher auch als Besucher durch dieser Festival.

Dieser Text erscheint im taz Plan. Mehr Kultur für Berlin und Brandenburg immer Donnerstags in der Printausgabe der taz

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!