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Festival in UtrechtNeue Legenden

Ein besonderer Fokus lag dieses Jahr auf Musik aus Afrika. Zu Besuch beim kleinen, aber feinen Festival „Le Guess Who?“ in Utrecht.

Kleines Festival in Utrecht: Le Guess Who? Foto: Juri Hiensch/Le Guess Who?

In den ersten Jahren war das 2007 gegründete Festival Le Guess Who? im niederländischen Utrecht eine Art Indierock-Veranstaltung, wenn auch mit ambitionierterem Anspruch als viele andere Großereignisse dieser Art. Im Laufe der Zeit verlegte das Team um die Festivalgründer Johan Gijsen und Bob van Heur den Fokus auf eine internationale Ausrichtung mit unterrepräsentierten Musikern aus nahezu allen Ecken des Planeten.

„Mit über sieben Milliarden Menschen auf der Welt ist die Musik, die wir hören, nur ein Ausschnitt dessen, was da draußen existiert. Das ist der Instinkt, der uns weiter graben lässt“, twitterten die Festivalmacher nach der letztjährigen Ausgabe. Dieser „One World“-Spirit fand sich auch im Programm des Le Guess Who? 2019 wieder.

Ein besonderer Fokus lag dieses Jahr auf Musik aus Afrika, was angesichts der Präsenz afrikanischer Musik in der euro-amerikanischen Popgemeinde seit gut zehn Jahren – mit einer Flut an Wiederveröffentlichungen und hybriden Pop- und Clubsounds – fast schon wieder ein Schritt in Richtung Mainstream ist.

Kathartischer Abschluss

So gehörte Fatoumata Diawara, Grammy-nominierte Weltmusik-Diva aus Mali, auch eher nicht zu den randständigen Stimmen, denen das Le Guess Who? (das Fragezeichen im Titel suggeriert bereits die Idee der überraschenden Entdeckung) in erster Linie Aufmerksamkeit verschaffen will. Als fast kathartischer „Feel good“-Abschluss nach einem auch in diesem Jahr wieder umfangreichen Programm funktionierte aber auch Diawaras Show im Großen Saal des Hauptveranstaltungsortes Tivoli Vredenburg. Musikalisch bot sich hier zwar nicht mehr als solider Afropop, der aber von der mitreißenden Performance der Sängerin lebte.

Unter anderem mit dem Auftritt der Ethio-Groove-Legende Ayalew Mesfin wurde das Festival seinem Ruf als Plattform für im Westen unbekannte Musiklegenden gerecht. Der Sänger und Gründer der Black Lion Band saß während des Derg-Regimes im Gefängnis und hatte Auftrittsverbot, ließ seine Musik aber weiterhin im Untergrund zirkulieren. Bei seiner euphorischen Show im knackevollen Ronda-Saal ließ es sich der gut 70-Jährige nicht nehmen, zwei Mal das komplette Auditorium inklusive Balkon zu durchschreiten. Dass er bis zum Ende Utrecht mit Amsterdam verwechselte, nahm das Publikum mit Humor.

Im Gegensatz dazu war das Konzert der Dur Dur Band International aus Somalia im Großen Saal eine komplett unglamouröse Veranstaltung. Ein Conférencier sagte die Songs der neunköpfigen Funkband an, die in den 70er Jahren in Mogadischu Stadien füllte. Sängerin und Sänger rangeln sich fast um die Bühnenpräsenz, es wirkte ein bisschen wie eine schiefgelaufene Familienaufstellung.

Gospel Porn Rap

Dass Musik aus Afrika auch mit politischem Anspruch auftritt, zeigten die FOKN Bois aus Ghana im Club-Bereich des Edelrestaurants LE:EN, einem der vielen Satellitenorte des Le Guess Who?. Das Trio nennt seinen Sound „Gospel Porn Rap“, was auch für verstecke Subversivität stehen könnte. Die Band kritisiert Ghanas LGTB-Gesetze als geprägt aus der englischen Kolonialzeit und dreht auch bei ihrer Wohltätigkeit den Spieß um: Kürzlich haben sie angefangen, Geld für die Armen und Bedürftigen in den USA zu sammeln.

Ähnlich wie die FOKN Bois spielt auch Octavia Mendoza aka La Bruja de Texcoco aus Mexiko in ihrer Performance mit sexuellen Identitäten. Ihre Musik wechselt zwischen der Folklore ihrer Heimat und Jazz­anflügen mit sakralem Gesang. Mendoza, selbst transsexuell, singt und kommentiert, während sie mit einem Handspiegel auf der Bühne die Kostümierung ihres massigen Körpers wechselt. Eine Performance zwischen barocker Oppulenz und rasselndem Schamanismus.

La Bruyas Musik war im Programmheft als „Hidden Music“ ausgewiesen, eine passende Bezeichnung für das Festivalmotto „Representing the Underrepresented“, bei dem es erklärtermaßen nicht um eine Gegenkultur, sondern eine Ausweitung der eigenen Perspektive gehen soll. Auch der wundervolle Musikvortrag des Autors Christopher C. King über die Folk-Tradition in Epirus gehörte dazu, einer Grenzregion zwischen Griechenland und Albanien. „Ich habe noch nie eine so voll besetzte Kirche gesehen, ich fühle mich wie ein Priester“, scherzte King, nachdem er in der Jakobikirche die verblüffende Ähnlichkeit zwischen der magisch-traurigen Dronemusik aus Epirus mit ebenfalls in den 1920er Jahren aufgenommenen amerikanischen Blues-Klassikern offengelegt hatte.

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